Rezension zu Heilpädagogik als Kulturwissenschaft
VHN – Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete 1/2011
Rezension von Barbara Jeltsch-Schudel
Markus Dederich, Heinrich Greving, Christian Mürner, Peter Rödler
(Hg.) (2009):
Heilpädagogik als Kulturwissenschaft Menschen zwischen Medizin und
Ökonomie Giessen: Psychosozial Verlag. 282 S., € 29,90
Ausgehend davon, dass Medizin und Ökonomie von entscheidender
Bedeutung seien für die kulturellen Wandlungsprozesse, die sich auf
das Soziale (S. 7) und somit auch auf die Situation der
Heilpädagogik auswirken, luden die vier Herausgeber elf Kollegen
und zwei Kolleginnen zur Teilnahme an der Diskussion der These ein.
Die Konzeptualisierung des Bandes ist nicht interdisziplinär
angelegt; die Beiträge stammen von Autorinnen und Autoren, die im
Sozialbereich tätig sind und zumeist auch über eine heil bzw.
sozialpädagogische Ausbildung verfügen. Die Verschiedenheit der
Beiträge zeigt auf, wie vielfältig das Aufgabenverständnis der
Heilpädagogik sein kann (und soll): Im ersten Teil den Buches,
überschrieben mit Ökonomisierung, werden neben mehr globalen und
gesellschaftlichen Überlegungen direkte Bezüge zu den Auswirkungen
auf die Heilpädagogik und die Pflege hergestellt. Der zweite Teil
beschäftigt sich mit der Medizinisierung und im Besonderen mit der
Verbesserung des Menschen, die ja mit verschiedenen Techniken
bewerkstelligt werden kann, nicht nur mit genuin medizinischen,
sondern auch mit pädagogischen. Der dritte Teil stellt die im
Buchtitel genannte Beziehung her, eben Heilpädagogik als
Kulturwissenschaft. Nach einem historischen Rückblick werden
heilpädagogisch relevante Themen aufgegriffen und in einen
kulturwissenschaftlichen Zusammenhang gestellt, so etwa das
Spannungsfeld von Abhängigkeit und Differenz.
Im Rahmen einer solchen kurzen Rezension ist es nicht möglich,
einzelne Beiträge angemessen zu würdigen. Dennoch sei mir erlaubt,
drei Artikel herauszuheben, die mich besonders angesprochen haben.
Patrizia Tolle beschäftigt sich mit der Frage, ob die
kommunikativen Bedürfnisse pflegebedürftiger Menschen
berücksichtigt werden können, wenn sozioökonomische Verhältnisse
bzw. Sparmassnahmen die Handlungsspielräume vorgeben. Denn es
zeichnet sich ab, dass die Pflege ihrer sozialen Dimension
beschnitten und auf ein körperbezogenes Konzept verengt wird. Dies,
obschon in den Pflegewissenschaften eine Veränderung stattgefunden
hat und Aspekte wie Selbstbestimmung miteinbezogen werden sollten.
Der drohende Abbau kann nach Ansicht der Autorin nur verhindert
werden, wenn sich die verschiedenen humanwissenschaftlichen
Fachgebiete zusammentun und gemeinsam agieren.
In seinen Darlegungen zum Thema »Der Mensch als Projekt« geht
Markus Dederich der Frage nach, welche Versuche zur Verbesserung
des Menschen unternommen wurden und werden, gerade auch vor dem
Hintergrund ethischer Überlegungen. Sein Fazit, was zu tun sei,
mündet in Fragen persönlicher und gesellschaftlicher (und somit
politischer) Art.
Hans Uwe Rösner will in seinem Beitrag anhand der Darstellung der
moralischen Standpunkte verschiedener Philosophinnen und
Philosophen überprüfen, »inwieweit sie sich als normative Grundlage
einer kulturwissenschaftlich orientierten Heilpädagogik eignen« (S.
205), und zwar im Hinblick auf die beiden Begriffe Differenz und
Abhängigkeit.
Insgesamt ist der Band sehr anregend und empfehlenswert!
PD Dr. Barbara Jeltsch-Schudel
www.reinhardt-verlag.de