Rezension zu Ich bin geblieben - warum?
www.hagalil.com am 20.01.2008
Rezension von Roland Kaufhold
Der von der in Berlin aufgewachsenen Schriftstellerin Katja Behrens
herausgegebene Band »Ich bin geblieben - warum?« enthält Beiträge
von 10 Autoren, die als Juden in Deutschland aufgewachsen sind.
(...) Auch in diesem Band zeigt sich sehr rasch die Brüchigkeit
unserer scheinbar gefestigten »Normalität«. Der Historiker Wolfgang
Benz skizziert die in dem mit »Zwischen Antisemitismus und
Philosemitismus. Juden in Deutschland nach 1945« betitelten Beitrag
den Neuanfang des Judentums in Deutschland, welcher zu einer
scheinbaren Akzeptanz jüdischen Lebens sowie einer Hochschätzung
einiger ihrer intellektuellen »Protagonisten« (Brumlik, Broder,
Diner, Giordano, Seligman, Reich-Ranicki, Schneider) geführt habe.
Er beschreibt den »gönnerhaften Blick der wohlwollenden Mehrheit,
die den jüdischen Anteil an deutscher Kultur in erster Linie als
Verlust des Eigenen sieht - die Emigration und den Holocaust als
Minderung deutschen kulturellen Ertrages wahrnimmt« (S. 10) - die
scheinbare Einfühlung, das vorgegebene Interesse erweist sich für
ihn rasch als ein narzisstisches, die mörderische Täterseite
verleugnendes Bemühen. Der alltägliche Antisemitismus als der
andere Pol dieses die eigene Ambivalenz verbergenden
Spannungsbogens wird in diesem - wie auch in weiteren Buchbeiträgen
- illustriert. Dieser zeige sich auch in dem bis heute
ungebrochenen, ausgrenzenden Geredes von »den Juden«, welches »auf
der tradierten Überzeugung vermeintlicher Andersartigkeit der Juden
beruht« (S. 12). Der wachsende zeitliche Abstand zum Holocaust
spiele für die Juden als Opfer psychologisch keine Rolle. Dies
werde von der Mehrheitsgesellschaft nicht verstanden und in einen
Vorwurf einer vermeintlichen »Unversöhnlickeit« verkehrt.
Sehr lesenswert sind die posthum veröffentlichten beiden Beiträge
des Schriftstellers Jurek Becker. Becker, 1937 in Lodz geboren,
verbrachte er seine Kindheit in Konzentrationslagern. In »Mein
Vater, die Deutschen und ich« reflektiert Becker seine
Sozialisation als Kind einer jüdischen Familie in der DDR und
verknüpft dies mit einer Analyse des Verhältnisses zwischen Ost-
und Westdeutschen. Die Beziehung seines Vaters zu seinem Judentum
war prägend für Jurek Becker: »Eigentlich war er gar kein Jude, das
heißt, ihm lag nicht viel daran, einer zu sein. Aber er versteckte
es nie. Ich glaube sogar, daß er sein Judentum oft dicker auftrug,
als ihm selbst angenehm war: aus Furcht, für angepasst gehalten zu
werden, also aus Stolz. Einmal sagte er, dass es ihm nie im Leben
eingefallen wäre, sich für einen Juden zu halte, wenn es keinen
Antisemitismus gäbe. Nichts auf der Welt fördere den Zusammenhalt
der Juden und ihr Bewusstsein von ihren Eigenarten so sehr wie
Judenhass.« (S. 40) In dem zweiten Beitrag »Gedächtnis verloren -
Verstand verloren« setzt Becker sich in vorausschauender Weise sehr
kritisch mit einem ZEIT-Beitrag von Martin Walser auseinander - und
antizipiert hierbei Walsers unrühmliche, rechthaberische
Friedenspreisrede.
Katja Behrens beschreibt in »Von Symbiose war einmal die Rede« in
nachdrücklicher, literarischer Weise die Phasen der Aufarbeitung
ihrer Familienbiographie. Sie erinnert an das bittere Resümee des
Historikers und Holocaustüberlebenden Joseph Wulf, welcher sich
1974 das Leben genommen hat. Zwei Monate vor seinem Freitod schrieb
er seinem Sohn: »Ich habe hier achtzehn Bücher über das Dritte
Reich veröffentlicht, und alles hatte keine Wirkung. Du kannst dich
bei den Deutschen totdokumentieren, es kann in Deutschland die
demokratischste Regierung sein - und die Massenmörder laufen frei
herum, haben ihre Häuschen und züchten Blumen.« (S. 82)
Der Kölner Schriftsteller und Journalist Peter Finkelgruen, dessen
höchst außergewöhnliche Biographie von Shanghai über Prag und
Israel nach Deutschland vom Kölner Filmemacher Dietrich Schubert
verfilmt worden ist, erinnert an die Geschichte der ungesühnten
Mordes an seinem Großvater. Alle juristischen
Aufarbeitungsbemühungen scheiterten an der bundesdeutschen Justiz.
In »Ich bin geblieben - warum?« beschreibt der kämpferische Kölner
Schriftsteller und Journalist Ralph Giordano die Wurzeln,
insbesondere die sprachlichen Wurzeln, die ihn immer noch und immer
wieder an Deutschland binden. Weiterhin enthält das Buch
literarische Beiträge von Esther Dischereit, Benjamin Korn: »der
Mensch, die Maschine des Vergessens« und Salomon Korn »Erbschaft
der Nachgeborenen«. Abgeschlossen wird der anregende Sammelband
durch drei knappe literarische Skizzen von Ulrike Maria Hund, in
welchen sie Episoden aus ihrer sozialarbeiterischen Arbeit mit
russischen Juden, die in den letzten Jahren nach Deutschland
eingewandert sind, schildert.
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