Rezension zu Übertragungsliebe
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Rezension von Sophie Schmalian
»Übertragungsliebe« bezeichnet nach Freud das Phänomen, dass das
Gefühle der Liebe, die durch das Gespräch mit dem Psychoanalytiker
an die Oberfläche (und ins Bewusste) treten auf ein neues Ziel
übertragen werden.
Das Buch »Übertragungsliebe« erscheint im Psychosozial-Verlag in
der Reihe »Bibliothek der Psychoanalyse«. Schon vorab auf der
ersten Seite wird das Anliegen des Verlags, mit dem Herausgeber
Hans-Jürgen Wirth, erläutert.
Das Ziel der »Bibliothek des Psychoanalyse« ist es, der »(...)
klinischen Theorie und Praxis neue Impulse zu verleihen« indem man
die verschiedenen Strömungen der Psychoanalyse zu Wort kommen lässt
und einen kritischen Diskurs mit Nachbarwissenschaften
intensiviert.
Durch die Etablierung als medizinisch-psychologisches Heilverfahren
habe die Psychoanalyse »(...) ihre geisteswissenschaftlichen,
kulturanalytischen und politischen Ansätze vernachlässigt«, der
durch den Dialog zu den Nachbarwissenschaft wiederbelebt und
weiterentwickelt werden soll.
Es sollen »(...) die gemeinsamen Wurzeln der von der Zersplitterung
bedrohten psychoanalytischen Bewegung(...)« gestärkt werden.
Die Psychoanalyse steht in Konkurrenz zu benachbarten
Psychotherapieverfahren und sollte sich als anspruchsvollste unter
ihnen »(..) der Überprüfung ihrer Verfahrensweisen und ihrer
Therapie-Erfolge durch die empirischen Wissenschaften stellen«,
denn keine andere moderne Psychotherapie ist so umstritten und von
Vorurteilen behaftet, wie die Psychoanalyse.
In diesem Zuge führt natürlich kein Weg an Sigmund Freund, seinen
Werken und seiner Person vorbei, denn er ist es, der das Phänomen
der »Übertragungsliebe« als erster in seiner Psychoanalyse
untersucht und ihr Namensgeber war.
So wie es sich der Psychosozial-Verlag zur Aufgabe macht die
Psychoanalyse von ihren scharlachroten Buchstaben zu befreien,
wollen H. Sebastian Krutzenbichler und Hans Essers dies mit der
»Übertragungsliebe« tun. »Übertragungsliebe als zentrales Agens
(Ursache/Kraft) jeder psychoanalytischen Behandlung ist durch
seinen Schwefelgeruch des Leibhaftigen in den psychoanalytischen
Gemeinschaften jenem Diskurs-Tabu anheimgefallen, von dem die
Psychoanalyse gerade angetreten war, ES zu befreien!«
Im ersten Kapitel wird der erste Fall von Übertragungsliebe
beschrieben. Es beginnt 1880 mit der Behandlung von Bertha
Pappenheim (weiter als Anna O. bezeichnet) durch den Arzt Joseph
Breuer, ein Wiener Internist und Wissenschaftler, der über
ausgeprägtes psychoanalytisches Verständnis verfügt.
Anna O. (21) wird als intelligente, attraktive junge Frau
beschrieben, die eine sehr enge Beziehung zu ihrem Vater hat.
Dieser erkrankt allerdings im Sommer 1880 an Lungentuberkulose und
muss fortan von seiner Frau und Tochter gepflegt werden. Dadurch
erleidet Anna O. einen solchen Schock, dass sie Sprach-, Seh- und
Essstörung, psychogene Lähmungen und schwere Verworrenheitszustände
davonträgt. Nach verschiedenen erfolglosen Therapien wird sie von
Breuer konsultiert. Mit ihm kehrt Anna O. das bis dahin übliche
Verfahren, dass allein der Therapeut den Verlauf bestimmt, um. Sie
erzählt einfach alles was ihr zu ihren Beschwerden einfällt und sie
beschäftigt. Immer mehr bauen Patient und Therapeut eine Bindung zu
einander auf. Bis Breuer 1882 nach eineinhalbjähriger
Behandlungszeit in weit über 1000 Stunden erklärt, die Patientin
sei vollständig geheilt.
Dies entsprach nicht der Wahrheit. Er wollte nur die Behandlung
abbrechen, da seine mittlerweile verzweifelt eifersüchtige Frau
einen Selbstmordversuch unternommen hatte. Kurze Zeit später wurde
er erneut zu der Familie der Anna O. gerufen, die unter psychogenen
Geburtswehen litt und immer wieder schrie »jetzt kommt das Kind«.
Breuer war mit der Situation überfordert. Er rannte aus dem Haus
und überwies seine Patientin an einen Kollegen.
Anna O. wird daraufhin im Sanatorium Bellevue und im
Privat-Sanatorium in Groß-Enzersdorf behandelt. Zwischen Juli 1883
und August 1887 wird sie 3 Mal in Inzersdorf stationär behandelt,
auch dort erlebt sie die Übertragungsliebe und ihr Psychiater
erlebt die Gegenübertragungsliebe, bis er so heftig in die junge
Frau verliebt ist, dass sich ihre Mutter veranlasst sieht, sie
wieder nach Hause zu holen.
Im weiteren Verlauf des Buches befassen sich die Autoren mit
weiteren ihnen bekannten und selbst erlebten Fällen bei denen es
zur Übertragungsliebe kam. Immer wieder wird gezeigt, welche Formen
die »Verwirrung stiftende Liebe« annehmen kann und wie sich langsam
die Gegenübertragungsliebe des Therapeuten auf seinen Patient
entwickelt.
Auch heute sind die Therapeuten meistens überfordert wie damals
Joseph Breuer.
Das Buch sollte ein Anstoß sein, sich diesem Phänomen offener zu
stellen und einen Umgang damit zu finden, anstatt es als verrucht
und unangemessen tot zu schweigen oder die Flucht anzutreten.
Genauso wie die Autoren im Verlauf das Buch sich immer wieder auf
den Ausspruch »in dubio pro libido« beziehen und der
Übertragungsliebe ihren Schrecken absprechen, schließen sie mit dem
Zitat: »Nicht die Deutungsfuror, sondern der Tanz zweier
Übertragungen rundet die Übertragungsliebe zur Schönheit!«
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