Rezension zu Befreiungsbewegung für Männer
Freiburger GeschlechterStudien Band 24 »Feminism Revisited«, S. 391-394.
Rezension von Ruth Brand-Schock
Zwischen geschlechterpolitischer Retourkutsche und aktiver
männlicher Subjektwerdung: Der steinige Weg zu einer echten
Männeremanzipation
»Was kommt eigentlich nach dem Feminismus?«, so fragen die
Herausgeber einleitend zu Beginn ihres Sammelbandes. Das Foto auf
dem Einband - eine Reihe von Reststofftonnen, getrennt nach
»Dosen«, »Altpapier«, »Altmetall«, ,»Altglas« und im Vordergrund
»Männer« - lässt einen polemischen Frontalangriff auf die
Gleichberechtigung der Geschlechter erwarten. Der findet in Teilen
auch statt, die Textsammlung enthält jedoch eine Reihe von
Beiträgen, die im polternden Getöse verschütt zu gehen drohen.
Paul-Hermann Gruner, bildender Künstler und freier Journalist,
stellt einleitend die These auf, dass sich »der Feminismus« zu Tode
gesiegt habe - wobei er der Leserln vermutlich aus Unwissen
schuldig bleibt, welche der zahlreichen feministischen Strömungen
er meint. Die Diskriminierung »der« Frau - auch hier wählt der
Autor tatsächlich den Singular - existiere nur noch in den
Geschichtsbüchern, werde aber dennoch durch das »organisatorisch
durchgegliederte Netzwerk des Gender Mainstreaming« (10) als Mythos
am Leben gehalten, so dass auch Männer mittlerweile an den
Schaltstellen der Gesellschaft wie Verwaltungen und Parlamenten
stets damit beschäftigt seien, Frauen durch Gleichstellungspolitik
Vorteile gegenüber Männern zu verschaffen, während diese bestehende
Defizite für das eigene Geschlecht gar nicht mehr erkennen könnten.
Durch manipulativ gewählte Ausschnitte des Blickwinkels würden
Gehaltsabstände, geringere Berufschancen und andere
gesellschaftliche Nachteile für »weiblich« erklärt und führten
dadurch zu einer stetigen Diffamierung männlicher Biografien als
per se unterdrückerisch gegenüber Frauen. Dem stellt Gruner die
Forderung einer Männerbewegung entgegen, die Mannsein mit einer
Pluralität positiv konnotierter Lebensmöglichkeiten verbindet.
Dabei könne es darum gehen, Rollenbilder aktiv in Frage zu stellen,
um so u.a. zu einer intensiver gelebten Vaterschaft zu kommen.
Ebenso könnten dabei Strömungen Eingang finden, die von Scheidungs-
und Unterhaltsrecht benachteiligten Vätern zu mehr Gleichstellung
verhülfen. Gruner fordert also eine Männeremanzipation, die
lebbaren Fortschritt für Männer und Frauen erzeugt.
Leider muss sich die Leserln dann aber zunächst durch eine Reihe
von Texten durcharbeiten, die genau diesen Fortschritt einer
Pluralität der Möglichkeiten für beide Geschlechter nicht
anstreben, sondern sich der Diffamierung »des« Feminismus widmen,
wobei mit »dem« Feminismus meist gleichheitsfeministische Ansätze
gemeint sind, die von einer als natürlich begriffenen
differenzfeministischen Warte aus für Ehescheidungen, psychisch
kranke Kinder und niedrige Geburtenraten schuldig befunden
werden.
So ignoriert Gerhard Ahmendt souverän gut zwanzig Jahre
Genderforschung und lässt uns wissen, dass die Idealisierung von
Müttern durch den Nationalsozialismus und ihre Fortsetzung durch
den feministischen Mainstream Frauen gehindert habe, ein kritisches
Gefühl zum Sohnesverhalten zu äußern. Mittlerweile sei »der«
Feminismus versiegt, bilde jedoch »weiterhin die treibende Kraft,
die Frauen in einem Zustand politisch anerkannter Passivität zu
halten« (53). Karin Jäckel geißelt im Anschluss alleinerziehende
Mütter und den feministischen Geschlechterkrieg als für die
Zerstörung des natürlichen Gleichgewichts des Lebens verantwortlich
(89). Unter Zuhilfenahme eines Zitats von Friedrich Engels bekommt
sogar jede öffentliche Kinderbetreuung und weibliche
Berufstätigkeit ihr Fett weg. Drei weitere Beiträge befassen sich
mit Gender Mainstreaming wobei die Autoren aus ihrem Unwissen qua
Desinteresse keinen Hehl machen -, versuchen sich darin, die
Kategorie ›Gender‹ ad absurdum zu führen und klagen über
Männerhass.
Lesenswertere Beiträge liefert endlich der zweite Teil unter dem
Titel »Macht & Ohnmacht oder: Angriffe auf den Herrschaftsraum der
Klischees«. Hier stellt der Sozialforscher Klaus Hurrelmann in
einem Interview - den suggestiv gestellten Fragen zum Trotz - eine
lesenswerte Analyse des wachsenden Phänomens von schulischem und
beruflichem Misserfolg bei Jungen vor: Er identifiziert den Verlust
der Vorbildhaftigkeit der Elterngeneration für junge Männer als
Problem und beklagt das Fehlen neuer Rollenmodelle. Eine noch zu
bildende Männerbewegung müsse daher dafür eintreten, jüngere Männer
für den Eintritt in pädagogische Berufe zu begeistern, aber auch
die Forderung entwickeln, dass Männer ihr Berufsleben mit
gesellschaftlicher Anerkennung so gestalten können, dass sie ihren
Anteil am Familienleben wahrnehmen können.
Ein interessantes Themengebiet des Sammelbandes ist die Frage nach
Gewalterfahrungen von Männern, verbunden mit der Frage nach der
noch immer erheblich niedrigeren Lebenserwartung im Vergleich zur
durchschnittlichen Lebenserwartung von Frauen. Der Demograph Marc
Luy identifiziert durch seine »Klosterstudie«, in der er die
statistische Lebenserwartung von Mönchen und Nonnen über Jahrzehnte
vergleicht, ausschließlich soziale Faktoren als ursächlich für die
geringere Lebenserwartung von Männern. Matthias Stiehler
schlussfolgert aus diesem Ergebnis, dass die »Geschlechterdynamik«,
mithin der Feminismus, zur Missachtung männlicher
Gesundheitsfürsorge geführt habe, was sich auch in der Existenz von
Gesundheitszentren für Frauen zeige, während es für Männer keine
entsprechenden Institutionen gebe. Konstruktiver für die Diskussion
ist da der Beitrag von Joachim Lenz, der die kulturelle Verdrängung
der gegen Männer gerichteten Gewalt untersucht. Sein Beitrag hebt
sich auch wohltuend vom polemischen Ton einer sich durch die
Mehrheit der Texte ziehenden Annahme eines noch immer tobenden
Geschlechterkampfes ab. Lenz identifiziert das Umfeld des Militärs
- Kriege, aber auch Wehrdienst - als besonders risikoreich für
Gewalt gegen Männer. Weitere Aspekte seiner Untersuchung sind die
kulturelle Verdrängung von Gewalt gegen Männer, die beispielsweise
dazu führe, Beschneidungen bei Mädchen als schwere Körperverletzung
anzuerkennen, nicht aber die Beschneidung von Jungen. Selbst bei
Therapeuten oder in Gerichtsverhandlungen werde davon ausgegangen,
dass Jungen sexuelle Gewalt weniger erführen und weniger an den
Traumata litten als Mädchen. Lenz plädiert im Ergebnis dafür, dass
eine noch zu vollziehende männliche Subjektwerdung von der bereits
bestehenden Frauenbewegung lernen könne und neben der Schaffung
eines öffentlichen Bewusstseins für Gewalt gegen Männer auch ein
kompetentes Hilfssystem für männliche Gewaltopfer einfordern müsse
(305).
Im letzten Teil »Initiation, Initiative und Bewegung« sind
verschiedene Konzepte für eine Männerrechtsbewegung versammelt.
Einen lebensweltlichkonkreten Ansatz vertritt Warren Farrell: Er
plädiert z.B. für die Einführung von ›Men/'s Studies‹ neben
›Women/'s Studies‹ an Universitäten und eine rechtliche
Gleichstellung von Vätern bei der Vergabe des Sorgerechts für
Kinder im Falle einer Scheidung. Eine ›Gender- Transition-Bewegung‹
soll den Geschlechtern bei der Überwindung rigider
Rollenzuweisungen helfen. Der Schweizer Markus Theunert plädiert
für eine Männerlobby sowie Männer-/Väterarbeit und -forschung, um
Männer aus dem Korsett traditioneller Männlichkeit zu befreien. Der
Autor gehört selbst dem Verein ›männer.ch‹ an, der seit 2005 als
Dachverband von 20 Schweizer Männer- und Väterorganisationen mit
insgesamt rund 3.000 Mitgliedern besteht. Eine Männerbewegung
müsse, so Theunert, zuerst ihre eigenen Vorstellungen eines
attraktiven ausgewogenen Männerlebens formulieren und
gesellschafts- und wirtschaftspolitische Konzepte entwickeln. Dazu
müsse jedoch zunächst ein Bewusstsein für die männliche
Sozialisation geschaffen werden, um dann auch zum Bewusstsein ihrer
Veränderbarkeit zu kommen. ›männer.ch‹ konzentriert sich dabei auf
Themen wie Arbeit (Einführung und Etablierung von Teilzeitarbeit
und Jobsharing-Modellen), Vaterschaft (z. B. Forderung nach einem
Vaterschaftsurlaub) und Sexualität (z. B. Forderung nach voller
rechtlicher Anerkennung männlicher Prostituierter). Martin
Verlinden entwirft ein Konzept zur Entwicklung von Vaterrollen
jenseits geschlechtlicher Stereotypen. Er plädiert für eine
möglichst frühzeitig einsetzende Väterarbeit schon in der
Jungenarbeit, um auf eine Entstereotypisierung von Vaterrollen
hinzuarbeiten. Diesem Bestreben müssten auch Beauftragte für
Väterfragen, z.B. in Ministerien und Gewerkschaften zu Seite
gestellt werden, die diese Anliegen in die entscheidenden
Institutionen tragen sollten. Im letzten Beitrag des Bandes fordert
Herausgeber Kuhla schließlich noch eine kommunale Männerarbeit, um
beispielsweise der einseitigen Förderung von Mädchen zu Ungunsten
der Jungen in Kommunen auch eine spezifische Jungenarbeit entgegen
zu setzen.
Der Band enthält insgesamt eine Reihe lesenswerter Beiträge
insbesondere für Leserlnnen, die sich für Konzepte einer künftigen
Männerbewegung interessieren, die sich mit neuen Lebensentwürfen
für Männer jenseits alter Genderrollen auseinandersetzt. Die
Textsammlung zeigt aber auch sehr deutlich die Gefahr, dass die
noch zu entwickelnde Männerbewegung sich lediglich für eine
geschlechterpolitische Retourkutsche einsetzt und so
Geschlechterrollen eher zementiert als zu ihrer Enttabuisierung
beiträgt.
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