Rezension zu Das Freud-Museum in London
www.amazon.de am 25. November 2010
Rezension von Dr. med. Christoph Biermann
Endlich können wir auch in deutscher Sprache und aus der Ferne mit
Hilfe dieses Buches Freuds Ort der Zuflucht vor der Shoah besuchen,
in das er - spezifisch dank Marie Bonaparte und ihrer
fordernd-diplomatischen Kontakte - seine persönliche Habe,
Schriften, Möbel, Bücher, Antiken-Sammlung usw. mitretten konnte.
Der »Führer« betont die ästhetische Faszination in Leben und Werk
des Begründers der Psychoanalyse. Nach der Ankunft in England Juni
1938 lebte Freud vom Sept. 1938 bis zu seinem Tod am 23.9.1939 hier
mit seinen nächsten Angehörigen. Er arbeitete in seinem gewohnten
Ambiente - Couch und Sessel - mit Analysanden bis zum Juli 1939 und
hinterliess zwei unvollendete Schriften. Sein Wunsch »to die in
freedom« erfüllte sich. Haus, Garten und Interieur blieben
weitgehend bis heute erhalten in Obhut einer Stiftung. Verfasser
des Bandes sind fünf Mitarbeiter des Freud-Museums, darunter der
Forschungsdirektor Michael Molnar. Die Übersetzung stammt von Udo
Germer, der für Aktualisierungen gegenüber dem 12 Jahre alten
englischen Original sorgte. Mir scheint die Interpretation der
Autoren von Freuds Existenz im London im Vergleich zu Wien (s.
E.Engelman: »Berggasse 19«, 1977) bemerkenswert: »Wien ist eine Art
Fegefeuer, durch das er hindurch muss und gegen das er ankämpfen
muss, es ist eine Zerreißprobe, die ihm von seinem Vater
aufgebürdet wurde. Es ist der Ort, wo er sich als Mann bewähren und
sich gegen alle Schwierigkeiten, gegen Widerstand, Ignoranz und
Antisemitismus durchsetzen muss. In seinen Gedanken aber existiert
weiterhin die Fantasie des Englandbildes als ein freundlicher Ort,
wo die Dinge besser sind, wohin sein bester Spielkamerad gegangen
war und wo die ganze Familie wieder vereint sein könnte« (S. 25).
Als 19-jähriger Student hatte Freud 1875 erstmals England und seine
Verwandten in Manchester besucht. Darüber schrieb er am 9.9. d.J.
an Eduard Silberstein: »Ich darf gerade heraussagen, dass ich dort
lieber wohnen würde als hier, trotz Nebel und Regen, Trunkenheit
und Konservatismus. Viele Eigentümlichkeiten des englischen
Charakters und des Landes...stimmen mit meiner Natur sehr gut
zusammen.« 11 Kapitel geleiten durch die Räume des Museums. Angaben
zu Freuds Biographie und Werk, drei Chronologien zu Freud, seiner
Tochter Anna, zur allgemeinen Geschichte und Literaturangaben
ergänzen das Buch zu einem handlichen Kompendium. Mir ist besonders
aufgefallen die Auseinandersetzung mit Freuds Sammelleidenschaft,
die er nicht analysierte, dazu aber in Briefen assoziierte. Die
Sammlung, bevorzugt aus dem klassischen Altertum, umfasste 1939
über 2000 Objekte und war überwiegend in seinem Arbeits- und
Behandlungsraum, darunter auf seinem Schreibtisch, aufgestellt.
Hier kommt - neben methodischen Analogien von Archäologie und
Psychoanalyse - offenbar Freuds leidenschaftlich ästhetisches
Interesse zum Ausdruck. Bekanntlich umfasst die freud/'sche
psychoanalytische Methode einerseits »freie Assoziationen« des
Analysanden, andererseits die »gleichschwebende Aufmerksamkeit« und
»Deutungskunst« des Analytikers. Die ästhetisch-optisch in Freuds
»psychoanalytischen Räumen« dominierende »Sammlung« dürfte ein zum
psychoanalytischen Abenteuer der beiden Menschen ermutigendes,
inspirierendes Klima begünstigt haben, wie dieser Begleiter durch
das Freud-Museum nahelegt.
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