Rezension zu Sie küssen und sie schlagen sich
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Rezension von Jasmin Göttinger
Rezensiert wird das 177 Seiten starke Softcover- Buch »Sie küssen
und sie schlagen sich - Das Dr.-Jekyll-und-Mr.-Hyde-Muster in
Misshandlungsbeziehungen« von Dr. phil. Diplom-Eheberaterin und
Bewährungshelferin Barbara Kiesling; Psychosozial-Verlag;
Erstauflage 2010 Gießen.
Zum Inhalt:
Vorwort
Einführung
1. Dr. Jekyll und Mr. Hyde – Die Strukturen der Partner in
Misshandlungsbeziehungen
Was sind das für Menschen?
Borderline-Persönlichkeiten oder Menschen mit einer
posttraumatischen Belastungsstörung
Die Entstehung gespaltener seelischer Strukturen
Die Aufspaltung der Lebenswelt
Neurobiologische Erkenntnisse
2. Gespaltene Lebenswelten
»Fliegender Wechsel«
Der Gewaltkreislauf
Why do they stay?
Die Abhängigkeit der Partner in Misshandlungsbeziehungen
3. Das Unbewusste – Die geheimnisvolle Dimension
Spuren des Unbewussten in der Sprache
Auszüge aus der Interpretation von Erzähltexten von Täterinnen
Die Verwirrung der Umwelt
Die Gewalttaten als psychischer Notwehrakt
4. Gewalt kann nicht toleriert werden
Der Mensch ist von Natur aus gut
Hintergründe erkennen – Bewusstsein schaffen
Die derzeitige Praxis
Die Notwendigkeit präventiver Maßnahmen
Schluss
Literatur
Anhang
Zu I:
Im ersten Kapitel beschreibt die Autorin, dass sowohl die Täter als
auch die Opfer in Misshandlungsbeziehungen vielfältige psychische
Störungen haben, die durch äußerst verletzende Erfahrungen in der
Kindheit einhergehen (diese Ansicht vertreten auch viele weitere
Autorinnen, die im Anhang näher beschrieben werden). Da sie eine
»gespaltene Persönlichkeit« – »gut« und »böse« – haben, wobei die
Betroffenen das »böse« womöglich vor sich selber, sicher aber vor
anderen verbergen, werden sie in psychotherapeutischen oder
psychiatrischen Fachkreisen nicht vorgestellt/erkannt. Die
Betroffenen verhalten sich sogar nach außen hin völlig angepasst
und oft besonders selbstsicher. Durch den Aspekt, dass diese
Personen »nicht lieben« können, können sie sich auch selbst nicht
lieben, dadurch stecken beide Partner große Hoffnungen in die
Partnerschaft. Da aber beide Partner nicht lieben können, ist diese
Beziehung von vorne herein zum Scheitern verurteilt. Im
Unterbewusstsein erhofft sich ein jeder in dem Partner einen
»Retter«, der die quälenden Erinnerungen und Gefühle der Kindheit
von einem befreit. Aus den nicht erfüllten Hoffnungen entwickelt
sich Selbsthass, der so übermächtig wird, dass er sich auf den
Partner projiziert. Dadurch entsteht Frustration und Aggression
über den »lieblosen Partner« - was zu einem Teufelskreis führt.
Durch die verletzenden Ereignisse in der Kindheit beider Personen
bezeichnet die Autorin beide Betroffenen sowohl als »Opfer« als
auch als »Täter«.
Im Anschluss daran beschreibt die Autorin ausführlich die
Borderline-Persönlichkeit/ posttraumatische Belastungsstörung
(Symptome, teilweise verdeckte Verhaltensmuster) und vor allem die
Entstehung solcher gespaltenen Seelen. Dazu dienen Skizzen,
Schaubilder und Fallbeispiele.
Die neurobiologische Erkenntnisse erläutert sie unter 5 Aspekten:
Soziale Konstruktion des Gehirns, Erinnerung aus vorsprachlicher
Zeit, Atrophien der Gehirnstruktur, Fehlfunktionen des Gehirns, Das
MAO- Gen).
Zu II:
Gespaltene Lebenswelten bedeutet, so die Autorin, für sich selbst
und für andere unberechenbar zwischen zwei »Behausungen« und davon
abhängigem Verhalten, Denken und Gefühlen hin und her zu springen
-> Identitätsstörung.
Besonders bei Misshandlern zeigt sich dies typischerweise in
»lebensstark« und »beziehungsschwach«. Dies beschreibt die Autorin
an einem alltagsnahen und gut verständlichen Fallbeispiel und
erläutert diesen Schritt für Schritt.
Fliegender Wechsel
Jede geringfügige Enttäuschung kann den plötzlichen Wechsel zur
anderen »Lebenswelt« produzieren. Dadurch kann ein Zusammenbruch
drohen, der dann einen Zustand höchster Erregung hervorruft. Nun
verfügt der Betroffene über keinerlei Kontrollemechanismen.
Gewaltkreislauf
Erste Phase: aufsteigende Spannung durch Enttäuschung; mit
zunehmender Spannung wächst auch die Enttäuschung; vielfache
Bemühungen den Partner »in die Knie zu ziehen« und die immer
unerträglicher werdende Spannung abzuladen; Folge: Spannung steigt
noch mehr, da sich der Partner zu wehrt -> Gipfelpunkt ->
Explosion: akutes Gewaltereignis (körperlich oder verbal).
Zweite Phase: Spannung ist entladen
Dritte Phase: geprägt durch extrem liebevolles, freundliches und
reuevolles Verhalten; scheint dem anderen versichern wollen, dass
er sich wirklich ändern kann; beide glauben nun die Kontrolle über
sich (und den anderen) zu haben.
Why do they stay?
Dass viele in der Kindheit misshandelte Menschen sich eben solche
Partner suchen, erklärt die Autorin mit dem von Sigmund Freud
beschriebenen Ödipuskomplex.
Weitere Informationen zu der Abhängigkeit in
Misshandlungsbeziehungen folgen, die die Autorin in den folgenden
Überschriften näher beschreibt: fehlende symbiotische Erfahrungen,
Angst vor Nähe, Selbstwertproblematik, Zersplittertes Selbst-und
Fremdbild, Angst vor dem Verlassen werden.
Zu III:
Im dritten Kapitel wird die Lebensgeschichte von Frau A aus
verschiedenen Aspekten beleuchtet: Die Rolle der Frau; Die Rollen
der Partner; Die Beziehungen; die Tötungstat und ein Fazit. Sowie
bei Fallbeispiel von Frau B: Die fehlende Kindheit in der
Erzählung; Das Puppenspiel, zwei verschiedene Schauplätze; Die
Doppelgestalten; Die fundamentale Rollenkonfusion; Die Art, über
Liebe zusprechen; Die Mitwirkenden als Funktionsträger; Das
zentrale Thema Sexualität; Schuldzuweisung und Ressentiments; Die
Tötungstat wie auch ein Fazit.
Die beiden vorrausgegangenen Fallbeispiele lassen sich weder mit
Logik noch an Hand klarer Strukturen nachvollziehen, obwohl es sich
in keiner Weise um verwirrte Menschen handelt. Es ist schwer die
Betroffenen zu verstehen, da es für Menschen mit eindeutiger
Identität nicht nachvollziehbar ist, dass man zwischen zwei oder
mehreren »Lebenswelten« springen kann und die jeweils andere
»Lebenswelt« samt aller Konsequenzen völlig auszublenden.
Frau Kiesling gibt Erklärungen über mögliche Ursachen von
Gewalttaten und Partnerschaften mit dem Ziel diese verstehen zu
können (was keinesfalls mit toleriert gleich gesetzt werden
soll/kann!).
Zu IV:
Ein traumatisierter Mensch sucht unterbewusst nach Wegen sich von
dem aufgestauten Aggressionspotenzial zu entlasten. Am wenigsten
Widerstand bildet dabei die »Lösung« ein eigenes Kind zu erziehen
und daran die überschüssige Energie abzulassen (Schätzungen zufolge
werden in jeder 5. Familie regelmäßig Kinder geschlagen). Eltern
oder andere Bezugspersonen, die ihrer Kinder schlagen, zerren oder
anderweitig misshandeln, sind sich in der Regel nicht bewusst,
welchen Schaden sie ihren Kindern mit diesem Verhalten zufügen.
In der Behandlung von Gewalttätern stehen viele lerntheoretische
Ansätze zur Verfügung, dabei spielt das Lernen am Model (nach
Albert Bandura) ein große Rolle, da Kinder ihre Eltern nachahmen
und verehren.
In der Theorie wird besagt, ein Mensch könne sich (ver-)ändern,
wenn er nur wolle – die Praxis sieht allerdings anders aus! Deshalb
beschreibt die Autorin präventive Maßnahmen mit Eltern, Kindern
sowie die große Bedeutung der Aufklärung. Außerdem stellt sie neue
Therapiekonzepte für Misshandlungstäter vor.
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