Rezension zu Knastmauke (PDF-E-Book)

NDR Info - Forum Zeitgeschichte vom 30.10. 2010

Rezension von Michael Hollenbach

»Knastmauke. Das Schicksal von politischen Häftlingen der DDR nach der Wiedervereinigung« (Psychosozial-Verlag)

»Knastmauke« heißt das Buch von Sibylle Plogstedt über das Schicksal von politischen Häftlingen aus der DDR. Knastmauke - so nennen die Inhaftierten selbst die kleineren und größeren Macken, die man sich im Gefängnis zuzieht. Zum Beispiel, wenn man psychischer Folter ausgesetzt wurde, wie das seit den 70er Jahren bei den politischen Gefangenen oft vorkam. Sibylle Plogstedt hat aus den Gesprächen mit den Inhaftierten erfahren, dass in den Gefängnissen mit Angst gearbeitet wurde:

»Es wird einem vorgemacht, dass jemand anders in der Zelle nebenan gefoltert wird, das macht ja Angst, und dann geht es um die Angst, die das auslöst.«

Das hat auch Gabriele Stötzer erlebt, die Anfang 1977 inhaftiert wurde, weil sie gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann protestiert hatte. In der Haft trat sie in einen Hungerstreik. Die Folge waren heftige Schmerzen wegen einer Nierenkolik. Obwohl die Ärzte zunächst sagten, es würde ausreichen, wenn sie viel trinken würde, veranlasste die Stasi sofort eine Operation - angeblich wegen einer Bauchhöhlenschwangerschaft:

»Im Knastkrankenhaus, wo ich nicht wusste, was passiert war, ob die mir untenrum vielleicht alles weggenommen haben, ich wusste ja nicht, wie weit sie gehen. Ich bin ja da eingeliefert worden und mein Körper ist benutzt worden von ihnen, ich kam mir vergewaltigt vor, missbraucht vor.«

Gabriele Stötzer wurde nichts wegoperiert, aber wochenlang wurde ihr nicht mitgeteilt, was die Ärzte mit ihr gemacht hatten. Sie wollte sich nicht noch einmal so ausgeliefert fühlen und passte sich im Knastalltag an. Heute - mehr als 30 Jahre nach ihrer Haft - sagt die 57-Jährige, die einst dachte, sie könnte den Sozialismus in der DDR demokratisieren:

»Ich hatte die Hybris und ich bin gebrochen worden und das hatte jeder von uns, das haben wir wirklich mitgekriegt, das wir wirklich, wenn ich mal das Synonym nehme: wer einmal aus dem Blechnapf frisst, da bleibt was zurück und dann muss man sich auch eingestehen, dass ich nie wieder in meine Kraft gekommen bin wie damals.«

Als Gabriele Stötzer aus dem Knast kam, durfte sie an keine Hochschule und sie durfte auch nicht mehr als medizinisch-technische Assistentin arbeiten. Sie musste in eine Schuhfabrik - in die Produktion. Eine typische Reaktion des DDR-Staates nach einer Haftentlassung, sagt Sibylle Plogstedt:

»Es sind ja etwa 51 Prozent in der DDR geblieben, die sind in ihrem Berufsleben häufig behindert worden, wenn, dann haben sie als Arbeiter gelebt, haben nicht ihre akademischen Berufe weiter machen können, die sind sozial deklassifiziert und im Westen ist es auf eine andere Art passiert: es gab nicht wirklich Unterstützung.«

Die Folge: viele der politisch Inhaftierten haben nicht nur psychische Verletzungen davon getragen. Eines der Ergebnisse der Studie: Der Großteil lebt heute auf Hartz IV-Niveau. Obwohl sich keiner von ihnen den Honecker-Staat zurückwünscht, heben etliche von ihnen die besseren sozialen Absicherungen der DDR hervor.

Sibylle Plogstedt war als junge Frau selber politische Gefangene - 1969 hatte sie, nach dem Einmarsch der sowjetischen Truppen in Prag, Flugblätter verteilt. Sie wurde verhaftet und eineinhalb Jahre inhaftiert. In den 800 schriftlichen Befragungen und 20 intensiven Gesprächen ergab sich für sie ein neues Bild des politischen Häftlings:

»Für mich war ›politische Haft‹ immer ›In den Untergrund gehen‹, Flugblätter drucken und verteilen, das ist aber in der DDR nicht so (...) es gab immer wieder Liebesgeschichten und Verwandte und dieses waren ganz starke Gefühle, und insofern ist in diesem politischen Widerstand der DDR die Macht der Gefühle extrem hoch.«

Doch dieser Widerstand - egal aus welchen Motiven er geschah - fand nach dem Ende der DDR - und das gilt bis heute - wenig Anerkennung:

»Ich glaube, das ist die große Enttäuschung für die politischen Häftlinge, dass deren Leistung nicht gesehen wird, dass sie mit ihrem Körper, mit ihrer Seele dafür gezahlt haben, und nachher mit einer Bundesrepublik konfrontiert waren, die sie eigentlich so gar nicht wollten.«

Im Jahre 20 nach der Einheit - so klagt Sibylle Plogstedt - würden die politisch Inhaftierten von einst meist ignoriert:

»Es ist ein katastrophales Desinteresse an dem Thema. im Westen kann man mit dem Thema gar nichts anfangen, und im Osten will man mit den Leuten ja sowieso nichts zu tun haben.«

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