Rezension zu Roman Polanski - Traumatische Seelenlandschaften

Bücherlese im Saarländischen Rundfunk vom 30. Oktober 2010

Rezension von Helga Levend

Sprecherin
Roman Polanskis Filme brennen sich ins Gedächtnis ein. Manchen sind sie zu düster, zu beklemmend, anderen zu surrealistisch oder zu unpolitisch. Schon mit seinem ersten großen Spielfilm »Das Messer im Wasser« erregte der damals noch in Polen lebende Regisseur geteiltes Aufsehen. Das war 1962. Im sozialistischen Polen wurde der Film abgelehnt, da er kein sozial relevantes Thema behandelte –so die Kritik. Im Ausland dagegen stieß der Film auf großes Interesse. Der Plot des Films ist schnell erzählt.

Sprecher
Unterwegs zu einer Segelpartie nimmt ein Ehepaar einen jungen Anhalter mit und lädt ihn ein, das Wochenende mit ihnen auf dem Boot zu verbringen. Zu dritt auf dem Schiff beginnt ein unterschwelliger Konkurrenzkampf zwischen dem älteren und dem jüngeren, rebellischen Mann, den die Frau auf subtile Weise schürt. Es kommt zur Eskalation. Bei dem Streit der beiden Rivalen fällt das Klappmesser des Jüngeren ins Wasser. Obwohl er angeblich nicht schwimmen kann, springt der junge Mann dem Messer nach, taucht unter und bleibt verschwunden. Der Ehemann glaubt sein Rivale sei ertrunken. Auf der Suche nach ihm schwimmt er an Land und steht nun vor der Entscheidung, den Unfall der Polizei zu melden oder ihn zu vertuschen.

Sprecherin
Nachdem sein erster Film in Polen abgelehnt wurde, zieht Polanski die Konsequenzen und geht nach Frankreich. In Frankreich zu leben und zu arbeiten, lag für ihn nahe. Denn dort wurde er 1933 in Paris geboren. Sein Vater war ein staatenloser Jude mit polnischer Herkunft.
Seine Mutter stammte aus einem russisch-katholischen Elternhaus mit jüdischen Wurzeln. Die Eltern hatten zuvor in Berlin gelebt und emigrierten bereits zu Beginn des Nazi-Regimes nach Frankreich. 1937 verließen sie Frankreich, als sie spürten wie auch dort der Antisemitismus sich mehr und mehr verbreitete. Als neuen Zufluchtsort wählten sie Krakau. Die Familie des Vaters stammte aus Krakau.

Sprecher
Roman Polanski lebte als Kind mehrere Jahre im Krakauer Getto. Er sah zu wie Nachbarn ermordet wurden. Er erlebte die Deportation seiner Eltern. Zuvor konnte der Vater noch die Flucht seines Sohnes aus dem Getto gegen Bezahlung organisieren. Der Junge findet Unterschlupf bei einer katholischen Familie.
Seine Mutter wird in Auschwitz vergast. Sein Vater überlebt das österreichische
KZ Mauthausen. .

Sprecherin
Polanskis Filme zeichnen sich zunächst durch ihre große Bandbreite aus. So gilt der Film »Das Messer im Wasser« als gesellschaftskritische Parabel, bei der das Segelboot und das Ehepaar als Synonym für eine saturierte, spießige Gesellschaftsschicht stehen. Seine Filme »Ekel«, »Rosmaries Baby« und »Der Mieter« werden von Filmexperten als Psycho-Thriller oder gar Horror-Filme bezeichnet. In diesen drei Filmen werden die Protagonisten von einem mysteriösen Grauen heimgesucht, dass nur sie sehen, von dem sie nur ahnen, woher es kommt, an dem sie letztendlich in ihrer Angst verzweifeln und auch scheitern.

Sprecher
In dem Film »Ekel« ist es die junge, Carole, die neurotische Berührungsängste hat. Als sie von ihrer Schwester, die mit ihrem Freund in die Ferien fährt, allein in der gemeinsamen Wohnung zurückgelassen wird, steigern sich ihre Berührungsängste, zu gespenstischen Wahnvorstellungen. Sie erschlägt ihren Freund, der zu ihr kommt, weil er sich Sorgen um sie macht und sie tötet den Vermieter mit einem Rasiermesser, weil er zu ihr kommt, um die Miete zu kassieren.
»Rosmaries Baby« erzählt die Geschichte einer Frau, die von ihrem Mann, während sie in einem fiebrigen Schlaf liegt, penetriert wird. Sie träumt, der Teufel hätte ihr ein Kind gemacht. Als sie tatsächlich schwanger ist, fühlt sie sich von einer satanischen Sekte verfolgt.
»Der Mieter« handelt von einem Mann, der in eine Pariser Wohnung zieht, in der sich zuvor eine Frau aus dem Fenstergestürzt hat. Nach seinem Einzug in die Wohnung fühlt er sich ständig durch die Nachbarn auf merkwürdige Weise bedrängt, so dass er mehr und mehr mit seiner Vorgängerin identifiziert und schließlich selbst aus dem Fenster springt.

Sprecherin
Da diese Filme immer aus der Sicht des Protagonisten erzählt werden, gerät der Zuschauer so sehr in ihren Bann, dass er die Wahnvorstellungen der Protagonisten durchaus für Realität hält. Nach den Psycho-Thrillern drehte Polanski nun einen Film, der in das Genre der Komödie fällt: »Tanz der Vampire«. Als Verhohnepipelung oder als Persiflage der Faszination düsterer Dracula-Inszenierungen ist dieses Werk in die Analen der Filmgeschichte eingegangen. Folgt man solchen Einteilungen, wäre Polanskis Film »Der Pianist« sein erster politischer Film, in dem er sich mit der Judenverfolgung der Nazis und dem Holocaust auseinandersetzt. Dass es so einfach nicht ist, versucht der Filmwissenschaftler und Filmkritiker Andreas Jacke mit einem neuen Buch über Polanskis Filme zu zeigen. Diese Filme seien die Vorbereitung zu dem Film der Pianist gewesen. Für Andreas Jacke zeigen alle Filme Polanskis :

Sprecher
Seelenlandschaften, die Folgeerscheinungen seiner verstörenden Sozialisation im Krakauer Getto sind. Weil Polanskis Inszenierungen der Angst, stets den persönlichen Hintergrund biografischer Erfahrungen haben, erreichen sie auf dieser Ebene eine andere Intensität als vergleichbare Projekte. Die traumatische Prägung durch den Holocaust in seiner Kindheit ist in seinem Werk immer wieder spürbar. Sie zeigt sich in den unterschiedlichsten Formen in vielen seiner Filme.

Sprecherin
Alle Filme Polanskis führen auf die Kindheitserlebnisse des Autors zurück, so analysiert Andreas Jacke. Da ist die frühe Trennung von seiner Mutter. Als Polanskis Mutter nach Auschwitz deportiert wird ist sie schwanger. Der kleine Junge hofft, dass sie zurückkehrt... Die Frauengestalten in Polanski Filmen sind schön und attraktiv, wie seine Mutter es war. Aber sie sind auch schwach, angreifbar und von Ängsten geplagt. Ein anderes Motiv, dass sich in Polanskis Filmen wiederholt und das Andreas Jacke herausarbeitet, ist die Doppeldeutigkeit gesellschaftlicher Moral, der Glaube an eine Religion, an eine Ideologie, die dazu berechtigt Menschen auszugrenzen und zu vernichten. Die gesellschaftliche Desintegration führt zu einer psychischen Desintegration der erlebten Realität. Das Polanskis Filme bei all ihren inszenierten Entfremdungen, ihren düsteren Grundtönen, dass das ›Böse‹ in der Gesellschaft siegen wird, von der Hoffnung und Sehnsucht des Menschen, nach Nähe und Bindung sprechen, auch das erfährt der Leser in diesem Buch.
Der Filmwissenschaftler und Filmkritiker Andreas Jacke beruft sich bei der Interpretation der Filme auf die Biografie, die Roman Polanski vor über 25 Jahren schrieb, und er versucht die Filme psychoanalytisch zu deuten. Das gelingt ihm nicht immer gut. So bleibt er manchmal in gängigen Klischees, die über die Psychoanalyse verbreitet sind, stecken. Etwa dann, wenn er die Klonflikte der männlichen Protagonisten in den Polanskis Filmen auf ödipale Konflikte und Kastrationsängste reduziert. Der Autor scheint das zu wissen und unterbricht sich auch selbst immer wieder bei diesen Erklärungsversuchen. Anstatt sich tiefer auf sie einzulassen, stellt er oberflächliche Vergleiche zu anderen Filmen oder zu anderen Filmemachern her, etwa zu Hitchkocks Film »Psycho«, breitet sein genaues Wissen über Filme und die Filmbranche aus und verliert den roten Faden.
Trotz dieser Kritik ist sein Buch zu empfehlen. Dass sich Geschichte wiederholt, ist in diesem Buch auch zu lesen.

Sprecher
Die Schauspielerin Sharon Tate, Polanski Frau, wurde durch die Mitglieder einer Sekte ermordet. Als sie ermordet wird, ist sie schwanger, wie Polanskis Mutter als sie von den Nazis vergast wurde.

Abspann
Das Buch von Andreas Jacke - Roman Polanski – Traumatische Seelenlandschaften ist 2010 im Psychosozial-Verlag in Gießen 2010 erschienen - 297 Seiten - und kostet 29,90 Euro.

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