Rezension zu In Anerkennung der Differenz
dieStandard.at am 4. November 2010
Rezension von Beate Hausbichler
»Frauen beraten Frauen« feiert 30-jähriges Jubiläum und brachte aus
diesem Anlass das Buch »In Anerkennung der Differenz« heraus –
dieStandard.at sprach mit Mitherausgeberin Bettina Zehetner.
»Frauen beraten Frauen« wurde als erste Wiener
Frauenberatungsstelle gegründet und bietet Beratung, Psychotherapie
und gezielte Weitervermittlung an spezialisierte Einrichtungen. Zum
30-jährigen Jubiläum dieses Jahr gab der Verein den Sammelband »In
Anerkennung der Differenz« heraus, mit dem feministische Beratung
und Psychotherapie »aus dem Nischendasein befreit und einer
breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht« werden soll, so die
»Frauen beraten Frauen«-Mitarbeiterinnen Traude Ebermann und
Bettina Zehetner im Vorwort. Beate Hausbichler sprach mit Bettina
Zehetner über einen kollektiven Streik von
Versorgungsarbeiterinnen, die steigende Nachfrage von
Online-Beratung und die nur wenig veränderten Problemlagen der
Frauen.
dieStandard.at: Was kann man sich unter feministischer Beratung und
Psychotherapie vorstellen?
Bettina Zehetner: Aufgrund er Vielfalt ist es etwas schwierig von
»einer« feministischen Psychotherapie oder Beratung zu sprechen.
Was allerdings alle Richtungen verbindet, ist die
gesellschaftskritische Haltung. Wir wollen daran arbeiten, dass
sich der Umstand, dass Frauen noch immer unter schlechteren
Verhältnissen leben, endlich ändert. In den einzelnen Methoden gibt
es dann sehr viele Unterschiede.
dieStandard.at: Die Autorinnen beschreiben frauenzentrierte
Beratung unter anderem auch so, dass dabei die Wünsche von Frauen
auch dann zu unterstützen sind, wenn diese lauten, dass eine Frau
zum Beispiel zu ihrem gewalttätigen Partner zurück will. Wie geht
das mit einem Frauen bestärkenden Anspruch zusammen?
Zehetner: Dazu muss man sagen: Frauen wollen nicht in einer
gewalttätigen Beziehung bleiben, sondern sie wollen die Beziehung
ändern und dass die Gewalt aufhört. Nur – sie hoffen oft sehr lange
auf Veränderungen, die leider nicht eintreten. Aber es ist de facto
so, dass die Frau uns den Auftrag gibt. Wenn sie sich nicht trennen
will, müssen wir sie bei der Veränderung der Beziehung
unterstützen. Wenn ich aber sehe, dass sich da nichts tut, muss das
auch offen angesprochen werden und geklärt werden, was sich die
Frau von der Beratung erwartet.
Die Ansage »du solltest dich trennen« bekommen diese Frauen ohnehin
überall zu hören. Für die einzelne Beraterin ist das aber eine
enorme Belastungsprobe. Ich habe auch im Frauenhaus gearbeitet und
wenn eine Frau nach einem längeren Beratungsprozess dann doch
wieder zurückgeht, ist das nicht einfach.
dieStandard.at: Wie sieht es denn mit feministischen Positionen
oder Gender Studies in der Ausbildung für PsychotherapeutInnen oder
AnalytikerInnen aus?
Zehetner: Das gibt es noch nicht im verpflichtenden Curriculum. Es
ist aber mittlerweile zumindest möglich Seminare zu frauen- oder
genderspezifischen Themen zu machen. Somit braucht es aber noch
immer das Engagement von Einzelnen, die diese Haltung und dieses
Wissen in die Beratung einbringen.
dieStandard.at: Der Verein »Frauen beraten Frauen« feiert sein
30-jähriges Bestehen. Haben sich die Anliegen und Probleme von
Frauen in den letzten dreißig Jahren verändert?
Zehetner: Für uns ist dramatisch, dass sich leider nicht viel
verändert hat. Meine Kollegin Margot Scherl, eine Gründerin des
Vereins, bedauert auch immer sehr, dass von den Anfängen bis heute
die Themen nach wie vor sehr ähnlich sind.
Armut ist ein wichtiges Thema und ist in den letzten Jahren wieder
verstärkt aufgekommen. Scheidung und Trennung sind die häufigsten
Themen – immer noch. Wir haben allerdings den Eindruck, dass sich
heute mehr Frauen trauen, Informationen zu suchen und das auch
früher tun. Es wird nicht mehr so lange gewartet, wie noch vor
zwanzig Jahren. Dennoch stellen wir fest, dass viele Frauen kaum
über ihre Rechte und Ansprüche etwa innerhalb einer Ehe informiert
sind. Auch machen sie sich relativ wenig Gedanken, bevor sie diese
Lebensform für sich wählen und fragen sich nicht »was heißt das
eigentlich für mich?«. Psychosomatische und psychische Erkrankungen
aufgrund von Anpassungen an krankmachende Verhältnisse sind auch
heute wie vor vielen Jahren ein starkes Thema.
dieStandard.at: Sie haben im Buch einen Beitrag über
Online-Beratung geschrieben. Wie kann Beratung auf dieser doch sehr
unpersönlichen Ebene gelingen?
Zehetner: Es gelingt sehr gut. Das ist einer der am schnellsten
wachsenden Bereiche bei uns. Wir haben 2006 mit etwa 250
Online-Beratungen pro Jahr angefangen, dieses Jahr hatten wir bis
jetzt schon 1.200 Online-Beratungen. Man stellt sich diese Beratung
vielleicht weniger emotional vor, als sie es dann tatsächlich ist.
Die Frauen kommen mitunter viel schneller zum Punkt als in der Face
to Face- Beratung. Dabei ist die Anonymität ein wichtiger Faktor
und die Frauen erzählen Dinge, die sie etwa am Telefon nie erzählen
würden. Es ist auch eine tolle Erfahrung, dass wir damit ganz neue
Zielgruppen erreichen. Der Prozess des Schreibens ist auch wichtig,
viele meinen, dass allein durch das Schreiben schon vieles klarer
und leichter wurde.
dieStandard.at: Im Sammelband wird auch feministische Paarberatung
angesprochen. Wie viele Männer gehen mit ihrer Partnerin zu einer
Beraterin, die sich explizit einer feministischen Praxis
verpflichtet sieht?
Zehetner: Das ist sicher für viele Männer eine suspekte Sache. Auch
ist es für die Therapeutin schwierig, weil diese parteiliche
Haltung in der systemischen Arbeit (Anm.: Eine systemische Beratung
lenkt die Aufmerksamkeit auf das System der Teilnehmenden, bzw. auf
das Familien- oder Paarsystem) nicht hinhaut. Es müssen natürlich
auch Männer zu Wort kommen, es soll ja auch ausgewogen sein. Ich
glaube auch, dass in Fällen von Gewalt systemische Paarberatung
nicht wirklich greift, viele Frauen trauen sich da einfach nicht,
etwas zu sagen. Für diese Frauen ist ein geschützter Rahmen ganz
wichtig. Aber in anderen Fällen stelle ich schon fest, dass sich
auch Männer für feministische Beratung interessieren – nachdem sie
ihre Skepsis geäußert haben.
dieStandard.at: Die Frauenberatungsstelle will den Fokus auf das
»eigene« Leben richten. Gibt es bei jungen Frauen wirklich noch
viele, die sich in erster Linie nach dem Leben des Partners
orientieren?
Zehetner: Bei den Frauen, die zu uns in die Beratung kommen, leider
schon sehr oft. Ich unterrichte auch auf der Uni und denke, dass
dort die Frauen doch mehr auch auf ihr eigenes Leben bedacht sind.
Aber sobald Kinder kommen wird es auch dann ganz häufig wieder
traditionell. Die Karriere des Partners wird in den Vordergrund
gestellt und die Frauen machen die unbezahlte Arbeit. Im
Ausbildungszeitraum haben Frauen und Männer oft noch gleiche
Chancen und Möglichkeiten, mit der Familiengründung verändert sich
das aber.
dieStandard.at: Die feministische Beratung beschäftigt sich
offensichtlich sehr viel mit Problemen, die in heterosexuellen
Beziehungen entstehen. Beraten Sie auch Frauen, die in lesbischen
Beziehungen leben und ähnliche Probleme haben?
Zehetner: Bei zwei Frauen kommt vielleicht weniger diese Hierarchie
von außerhalb in die Beziehung rein. Aber auch Frauenpaare, gerade
solche mit Kinderwunsch, haben Schwierigkeiten mit den Strukturen
von bezahlter/unbezahlter Arbeit. Damit geht auch Gewalt einher im
Sinne »die, die das Geld nach Hause bringt, schafft an«. Es ist
nicht sehr häufig, aber ab und an habe ich hier schon ähnliche
Muster wie in heterosexuellen Beziehungen festgestellt.
Wir haben schon auch dezidiert den Wunsch, lesbische Frauen
einzuladen und sie sind auch auf unserer Homepage als Zielgruppe
angesprochen. Ich hoffe, dass es sie auch erreicht. Auch bei
unseren Beraterinnen schauen wir, dass Vielfalt gewährleistet
ist.
dieStandard.at: Sie haben im Buch ihre persönliche Vision einer
feministischen Zukunft formuliert. Damit sich etwas verändert,
haben sie einen »kollektiven Streik der Versorgungsarbeiterinnen«
vorgeschlagen. Wie könnte es dazu kommen?
Zehetner: Es gibt eine große Macht, die ungenützt bleibt, weil die
unbezahlten Versorgungsarbeiten so bereitwillig geleistet werden.
Es ist aber in der Praxis sicher schwer, weil es dann die eigenen
Kinder oder die älteren Angehörigen betrifft. Aber es würde relativ
schnell zum Chaos führen, das dann Handlungsbedarf erzeugen würde
und es wäre eine Bremse in diesem schneller werdenden
kapitalistischen System.
dieStandard.at: Sie schreiben in ihrer feministischen Vision auch
davon, dass das klassische Modell der Erstfamilie nur eine Form des
Zusammenlebens neben vielen anderen sein wird. Welche politischen
Voraussetzungen müssten dafür geschaffen werden?
Zehetner: Es ist wichtig, dass man für jede gewählte Lebensform
auch bestimmte Rechte erwerben kann. Es müssen verschiedene
Wahlmöglichkeiten zur Disposition gestellt werden. Langsam geht es
ja in diese Richtung, da gibt es zumindest mal die eingetragene
Lebenspartnerschaft – allerdings wurde das recht halbherzig
umgesetzt, es gibt zum Beispiel kein Adoptionsrecht. Mehr
Flexibilität bei den Rechten und Ansprüchen sind aber
notwendig.
BETTINA ZEHETNER ist Philosophin, psychosoziale Beraterin,
zertifizierte Laufbahn- und Onlineberaterin und unterrichtet am
Institut für Soziologie an der Universität Wien. Zehetner arbeitet
seit elf Jahren für »Frauen beraten Frauen« und für das
angeschlossene Institut für frauenspezifische Sozialforschung.
www.diestandard.at