Rezension zu In Anerkennung der Differenz
aep informationen. Feministische Zeitschrift für Politik und Gesellschaft 4/2016
Rezension von Ruth Boesch-Paulitsch
»In Anerkennung der Differenz. Feministische Beratung und
Psychotherapie« wurde von vier Mitarbeiterinnen von »Frauen beraten
Frauen« - Traude Ebermann, Julia Fritz, Karin Macke und Bettina
Zehetner - anlässlich des 30-jährigen Bestehens der Wiener
Frauenberatungsstelle herausgegeben.
Gleich zu Beginn: ich habe dieses Buch mit großem Interesse und
Freude gelesen. Ich war immer wieder beeindruckt von der Vielfalt,
dem hohen fachlichen Niveau und dem breiten Spektrum, das dieses
Buch umfasst. Es enthält 20 Beiträge von 18 Autorinnen, sowie einen
Text von Marlene Streeruwitz und Gedichte von Elfriede Gerstl. Dies
macht es zu einer kurzweiligen Lektüre.
Dem Bereich »Feministische Beratung« sind mehrere Artikel von Ruth
Großmaß, Agnes Büchele, Sylvia Groth und Felice Gallé, Bettina
Zehetner und Marion Breiter gewidmet. Breit gefächert gehen die
Autorinnen auf Themen wie »Frauenberatung im Spiegel von
Beratungstheorie und Gender-Diskursen«, Gewalt gegen Frauen,
Frauengesundheitsbewegung, Trennung und Scheidung, Online-Beratung,
sowie auf die immense Bedeutung von Vernetzung für autonome
Frauenberatungsstellen ein.
Neben der »Feministischen Beratung« ist die »Feministische
Therapie« der zweite Schwerpunkt dieses Buches. Hier ist
anzumerken, dass es die feministische Psychotherapie nicht gibt.
»Es handelt sich eher um eine vor die Methodik gesetzte Analyse der
gesellschaftlichen Verhältnisse.« (Sabine Scheffler, S.31).
Therapeutinnen verschiedener Therapieschulen beschreiben das
Unterschiedliche sowie das Gemeinsame ihrer theoretischen und
praktischen Arbeit und hinterfragen ihre jeweilige Methode aus
einem feministischen Blick. (Brigitte Schigl - Integrative
Gestalttherapie, Traude Ebermann - Katathym Imaginative
Psychotherapie, Anna Koellreuter - Psychoanalyse, Sabine
Kirschenhofer - Systemische Paartherapie, Marietta Winkler -
Personenzentrierte Psychotherapie).
Alice Pechriggl sowie Regina Trotz widmen sich in zwei Beiträgen
der weiblichen Identität in sozialen Zusammenhängen. Sie
beschreiben die in Veränderung begriffenen Geschlechtsidentitäten
sowohl aus der Sicht der Gruppenpsychoanalytikerin als auch aus der
der Gruppendynamikerin.
Es ist recht verwunderlich, dass es - trotz der zahlreich
publizierten Theorie - immer noch an der Eigeninitiative einzelner
engagierter Frauen (und Männer?) liegt, sich für ein Reflektieren
des Geschlechterverhältnisses einzusetzen. »In der Praxis ist es
nicht gelungen, feministische Psychotherapie institutionell zu
etablieren. Wir haben keinen Eingang gefunden in die
Ausbildungssysteme.« (Sabine Scheffler, S.31) Daher fühlen sich
viele engagierte Frauen allein und als Einzelkämpferinnen in ihrem
Bemühen um eine Verbindung von feministischem Blick und
Therapiemethode.
Für die KIP gibt hier Traude Ebermann wertvolle Impulse zur
Integration des Genderthemas. Als Beispiele seien hier die
Einführung der Motive »Muschel« und »Amazone« genannt. Das Ausmaß
ihres wissenschaftlichen Rückhalts erschließt sich beim Lesen:»Es
muss gefordert werden, dass in den Therapieausbildungen aller
Schulen die Herstellungen von Geschlecht theoretisch beleuchtet,
reflektiert und praktisch erfahrbar werden, da Psychotherapie als
dritte Sozialisationsinstanz an der Bildung von Identität mitwirkt
(vgl. Krause-Girth 2004).« (Brigitte Schigl, S.146).
Neben den Themen der feministischen Beratung und Therapie zieht
sich die Geschichte der Frauenbewegung als roter Faden durch dieses
Buch. Es wird ein Bogen von der Vergangenheit über die Gegenwart
bis in eine mögliche Zukunft gespannt, der zeigt, wie viel
Feministinnen erreicht haben. Gleich zu Beginn steht ein spannendes
Gespräch zwischen Sabine Scheffler, Margot Scherl und Christina
Thürmer-Rohr. Stellvertretend für die Pionierinnen der
2.Frauenbewegung der 1970er Jahre erinnern sie sich gemeinsam der
Anfänge und schildern ihre Sicht der Entwicklung des
Feminismus.
Julia Fritz benennt noch weitere Generationen frauenbewegter
Frauen: die Initiatorinnen der Projektbewegung (Frauenhäuser,
Frauenberatungsstellen,…), die heute etwa 40-50-jährigen Frauen,
die schon Frauen- und Mädchenprojekte und vereinzelt
Frauenforschung an Universitäten vorfanden bis zu den Frauen, die
nach 1970 und 1980 geboren wurden. Sie sind diejenigen, an die die
Zukunftsvisionen der »Älteren« gerichtet sind. Und auch da wird
Differenz erkennbar: Sabine Scheffler spricht von einer »Atempause«
der feministischen Bewegung. »Solange es für die Widersprüche, die
durch die linke Bewegung und durch die Frauenbewegung
gesellschaftlich sichtbar geworden sind, keine gesellschaftliche
Empörung und kein Ungerechtigkeitsempfinden gibt,… glaube ich, dass
es so weiter geht.« (S.37). Julia Fritz gibt ihr zwar zum Teil
Recht, denn nach der derzeit vorherrschenden gesellschaftlichen
Meinung sei individuell (fast) alles verwirklichbar. »Der Schritt
von einem individualisierten Selbstverständnis zu einem politischen
Programm sei sehr groß.« (S.253). Andererseits beobachtet sie
»parallel dazu auch ein buntes Mosaik an (feministischen)
Aktivitäten:...interessante Bücher zum Thema von jungen
Autorinnen,...feministische Weblogs, Grrrl Zines, Frauenradios...«
(S.253).
Auf Initiative der Frauenberatungsstelle reflektierten Expertinnen
aus dem Raum Wien gemeinsam ihre feministische Positionierung und
deren Wandel im Laufe der Zeit. Beeindruckend ist hier schon allein
die Auflistung der Arbeitsfelder, in denen Frauen frauenspezifische
Aspekte und Probleme mit berücksichtigen - besonders wenn man die
Tatsache bedenkt, dass es sich hierbei nur um einen kleinen
Ausschnitt von Fachfrauen handelte. Die Herausgeberinnen (Karin
Macke, Bettina Zehetner, Traude Ebermann, Julia Fritz) verfassten
im Anschluss daran persönliche Texte zu diesem Austausch.
Spätestens an dieser Stelle wird die wichtige Rolle der
Frauenberatungsstelle deutlich, die sie seit mittlerweile 30 Jahren
nicht nur für ihre zahlreichen Rat suchenden Frauen, sondern auch
für viele Kolleginnen spielte und spielt.
»Also: Genug gemangelt!... Was in den letzten Jahrzehnten
geschaffen wurde, hat Qualität und kann weitergegeben werden.«
(Regina Trotz, S.224)
Die Vielfältigkeit macht dieses Buch für mehrere Zielgruppen so
wertvoll:
1. durch das hohe fachliche Niveau für alle Frauen und Männer, die
in Beratung oder Psychotherapie arbeiten,
2. für alle Frauen, die sich der Frauenbewegung zugehörig
fühlen,
3. für alle historisch und an gesellschaftlichen Fragen
interessierte Frauen und Männer.
Ich möchte an dieser Stelle den Herausgeberinnen, Autorinnen und
Mitwirkenden dieses Buches, aber auch allen anderen Frauen danken,
die Theorie und Praxis der Frauenbewegung weiter tragen. Sie
leisten wertvolle Veränderungsarbeit für eine tolerantere Welt, in
der mehr Vielfältigkeit lebbar ist.
Am Ende des Buches bleibt mir die Neugier auf die Wege, die die
jungen Frauen einschlagen werden, da diese Generation
vergleichsweise weniger zu Wort gekommen ist. Es werden und müssen
andere/eigene sein! »Die jüngere Generation hat andere Strategien,
ihren Feminismus zu vertreten. Es wäre nicht gerecht, dies als
vergleichsweise braver, weniger vorlaut zu beschreiben, als dies
die Generation der Mütter bzw. Großmütter taten, noch tun mussten,
um sich öffentlich Gehör zu verschaffen.« (Traude Ebermann,
S.245).
Ich wünsche mir, dass dieses Buch die ihm gebührende Resonanz
findet und lege es besonders allen BeraterInnen,
PsychotherapeutInnen und AusbildnerInnen ans Herz!
www.frauenberatenfrauen.at