Rezension zu Knastmauke (PDF-E-Book)
Deutschlandradio Kultur Lesart
Rezension von Udo Scheer
Häftlinge erfinden zu allen Zeiten ihre eigene Knastsprache. Da
heißt es: »Wenn Du auf den Leo gehst, drück den Bello«, – also den
Spülknopf nach Benutzen des Zellenklos. Mauke, eigentlich eine
Hautkrankheit bei Tieren, wird zur Knastmauke und meint jenen
besonderen psychischen Zustand, der sich einstellen kann, wenn
Gefangene schutzlos Schikanen und Entmündigung ausgeliefert
sind.
Es gibt nur wenige Prominente wie Karl Wilhelm Fricke oder den 1999
viel zu früh verstorbenen Jürgen Fuchs mit seinem wieder neu
verlegten Buch »Vernehmungsprotokolle«, die mit ihren
Dokumentationen zur politischen Verfolgung eine breitere
Öffentlichkeit erreichten.
Im Allgemeinen überwiegt in unserer Gesellschaft Täterfaszination
bei weitem das Interesse an Opferschicksalen. Umso verdienstvoller
sind die von Sibylle Plogstedt versammelten Selbstauskünfte von
einundzwanzig ehemaligen politischen Häftlingen aus vierzig Jahren
SED-Diktatur. Die Autorin schreibt dazu:
»In dieser Studie geht es mir um den Preis, den all diese Menschen
für die Freiheit gezahlt haben. Es geht mir um die Beziehungen, die
durch die Haft kaputt gingen, weil die Partner unter Druck gesetzt
wurden, und es geht mir um die Langzeitfolgen der Haft, um die
heute noch bestehenden psychischen und physischen Belastungen, vor
denen sich weder Arbeiter noch Intellektuelle, weder Männer noch
Frauen, Junge noch Alte schützen konnten.«
Alle diese Menschen hatten die vom System gesetzten engen Schranken
durchbrochen. Sie wollten ihren individuellen Traum von Freiheit
leben oder sie protestierten gegen SED-Machtmissbrauch.
Nach einer 50-seitigen Einführung, die durchaus prägnanter möglich
gewesen wäre, bietet »Knastmauke« auf gut 200 Seiten authentische
Erfahrungsberichte über die ganz normale Absurdität eines
diktatorischen Strafregimes, das jeden treffen konnte.
Da ist Roland Bude, der 1950 als Student wegen Verbreitung
verbotener Bücher und Informationen verhaftet wurde. Weil er eine
Spitzeltätigkeit für die Staatssicherheit verweigerte, wurde er zu
zwei mal 25 Jahren Zwangsarbeit im sibirischen Workuta
verurteilt.
»Zu den Methoden in der Untersuchungshaft gehörte die Beschimpfung.
»Solche wie Sie«, sagte der Vernehmer zu mir, »landen auf dem
Kehrichthaufen der Geschichte«. Es gab schon damals so etwas wie
psychische Folter, zum Beispiel die schlimmen Spielchen mit dem
Kettengerassel. Man hörte die Ketten, und dann kam man mit
Häftlingen zusammen, die das erlebt hatten. Mein bester Freund hat
mir gesagt, die hätten ihn zwei Tage und zwei Nächte so
zusammengeschlagen, dass er alles unterschrieben habe… Wenn man das
hört, hat man natürlich immer Angst.«
Viele der Befragten berichten über die psychische Folter, ständig
unter Druck und im Ungewissen gehalten zu werden. Besonders wirksam
war die Psychofolter in Kombination mit Isolationshaft und extremem
Reizentzug.
Zwei Drittel der Untersuchungsgefangenen machten Erfahrung mit
Einzelhaft. Die verschärfte Form, 21 Tage in einer ungeheizten
Kellerzelle auf blankem Betonfußboden, machte jeder Fünfte durch.
Folgen dieser Tortur sind nachwirkende Hörstörungen, Kopfschmerzen,
Konzentrationsprobleme, Panik-Attacken.
Nach der Isolationshaft wurde das Redebedürfnis der Häftlinge von
Vernehmern gezielt für falsche Geständnisse missbraucht. Eine bis
1989 benutze Folterpraxis waren Nasszellen, in denen der Häftling
bis zu den Knöcheln, aber auch bis zu den Hüften in kaltem Wasser
stand. Nierenschäden waren die häufige Folge.
Heute beklagen ehemalige politische Gefangene, welchen unsäglichen
Kampf sie um die Anerkennung ihrer Haftfolgeschäden durch
Versorgungsämter führen müssen. Die Beweislast liegt bei den
Opfern. Annegret Stephan, die erste Leiterin der
Stasi-Haft-Gedenkstätte in Magdeburg, sagt über ihre Erfahrung in
der Häftlingsbegleitung:
»Ärzte gehen oft mit einer unglaublichen Unkenntnis über die
Verfolgung in der DDR an die Dinge heran. Wenn sich dann solch ein
Arzt und Gutachter mit der neuesten Forschung nicht befasst hat,
kommt er zu dem Schluss: Da das traumatisierende Ereignis schon
jahrzehntelang zurückliegt, könne es heute nicht mehr wirken… Was
diese so genannten Gutachter oder Mitarbeiter in dem Ämtern an
erneutem Schaden anrichten, sollte mittlerweile als
Körperverletzung strafrechtlich relevant sein.«
Im zweiten Teil ihres Buches untermauert Sibylle Plogstedt diese
Erfahrungen in einer Feldstudie der Universität Düsseldorf-Essen,
für die 800 politische DDR-Häftlinge befragt wurden. Sozial
integrieren konnten sich am ehesten die in die Bundesrepublik
Freigekauften.
Noch heute werden 62 Prozent regelmäßig von Albträumen heimgesucht,
47 Prozent bekommen Platzangst, zwei Drittel leiden an
Schlafstörungen, Bluthochdruck und Rückenproblemen, fast jeder
Zweite ist nach dieser Statistik herz- und magenkrank. Diese Zahlen
wären noch aufschlussreicher, hätte die Autorin statistische
Vergleichsdaten herangezogen. Zur finanziellen und sozialen
Situation fasst das Buch zusammen:
»Heute verdienen 49 % der ehemaligen Häftlinge weniger als 1.000
Euro im Monat. Bei den Frauen sind es sogar 56,9 Prozent.
Entsprechend ist die Einkommenszufriedenheit der ehemaligen
Häftlinge gering. Überproportional viele leben unter der
Sozialhilfegrenze.«
Die mühsam durchgesetzte Opferrente von 250.- Euro im Monat stößt
da vielfach auf Kritik. Denn Anspruch auf sie hat nur, wer
mindestens 180 Tage politische Haft nachweisen kann und ein
Monateinkommen von weniger als 1078.- Euro netto bezieht.
Eigentlich erwarten die Betroffenen eine angemessene Ehrenrente
statt einer Opferrente.
In ihrer sozialen Ausgrenzung – auch das zeigt Sibylle Plogstedt –
sehen viele frühere Opfer sich heute ein zweites Mal als Opfer. Es
erschüttert, welche Ignoranz unsere Gesellschaft ihnen gegenüber
dabei an den Tag legt. Auch das macht dieses Buch deutlich.
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