Rezension zu C.G. Jung - Zerrissen zwischen Mythos und Wirklichkeit
Hospitalhof Stuttgart, Evangel. Bildungswerk
Rezension von Dr. F. Born
Brigitte Spillmann, 10 Jahre Präsidentin des Curatoriums des C.G.
Jung-Instituts in Zürich, und Robert Strubel, Dozent des C.G. Jung
Instituts in Zürich, schildern sehr ausführlich und gestützt auf
ihre psychotherapeutische Erfahrung, Verlauf und Hintergründe der
Auseinandersetzungen an ihrem Institut.
Teil 1 (Spillmann): Im Mittelpunkt steht hier Jungs, des
Schweizers, Paktieren mit dem deutschen Nationalsozialismus und
seinem Antisemitismus. In zahlreichen Zitaten von und über Jung
wird dies akribisch nachgewiesen. Nach dem Krieg verschweigt und
verdrängt Jung seine damalige Haltung konsequent bis zu seinem
Lebensende. Bereits im Mal 1945 diagnostiziert er »eine allgemeine
psychische Minderwertigkeit des deutschen Menschen« (Spillmann
Strubel, Seite 75)
Die Autoren fragen wie es zu diesem Versagen des von seinen Jüngern
hoch verehrten und idealisierten Ur und Übervaters kommen konnte.
Sie finden eine Antwort in Jungs früher Beziehung zu Siegmund
Freud. Freud hatte Jung in quasi religiösen Formen zu seinem
Kronprinzen »erkoren, gesalbt und konfirmiert«. Als Jung eigene
Ideen entwickelte, zerbrach die Freundschaft und schlug in
erbitterten Hass um. Die Nationalsozialisten verdammten die
Psychoanalyse des »Juden« Freud und Jung bot ihnen seine
»Analytische Psychologie« mit ihren mystischen Elementen als
ariergerechten Ersatz an, wohl wissend, dass Freud derweil in
Lebensgefahr schwebte.
Eher kurz zeigen die Autoren noch weitere Seiten in Jungs labilem
Charakter auf, so dass sie zu der Diagnose kommen, Jung sei, bei
voller Anerkennung seines Genies, eine »bipolare« Persönlichkeit
gewesen. All das hätte von Jungs Nachfahren analysiert und
aufgearbeitet werden müssen. Dass dies nicht, oder eher
bagatellisierend, geschehen sei, wirke sich bis heute destruktiv
auf die Jungsche Gemeinschaft aus.
Teil 2 (Strubel) Der Autor behandelt ausführlich Grundprobleme der
Psychoanalyse. Im Zusammenhang mit der Problematik Jungs und seiner
Anhängerschaft erscheint wichtig, wie sich entwicklungsgemäß der
kindliche Reifungsprozess von der dyadischen Mutter Kind Beziehung
zu einer triangulären Beziehung wandeln soll, in dem der Mensch
Vater, weitere Menschen und schließlich die umgebende Welt in seine
Wahrnehmung einbezieht. Die Gefahr in solch dyadische Beziehungen
zu regredieren besteht im Erwachsenenalter und wäre dann Gegenstand
einer Psychoanalyse. In der einseitigen Fixierung der Jungianer auf
den Urvater Jung, und ihre Flucht in die heile, familiäre Welt der
Jungschen Analytikergemeinschaft unter Ausblendung der umgebenden
Realität, sehen die Autoren eine kollektive Regression in ein solch
dyadisches Verhalten, mit allen diesbezüglichen Konsequenzen.
Teil 3 (Spillmann) Hier beschreibt die Autorin, wie es zu den
Streitigkeiten am C.G. Jung Institut in Zürich gekommen ist. 1948
gründete Jung das nach ihm benannte Institut als Stiftung. Der
Stiftung sollte ein Stiftungsrat, genannt Curatorium, aus 7
Mitgliedern, daraus der Präsident, vorstehen. Die
Curatoriumsmitglieder sollten den Präsidenten und für frei werdende
Stellen im Curatorium Nachfolger wählen. Da der Wille des Stifters
im schweizerischen Stiftungsrecht stark geschützt ist, lassen sich
an dieser Leitungsstruktur keine Veränderungen vornehmen. Das
Curatorium wurde in strenger Deduktion mit Anhängern Jungs besetzt,
entsprechend ihrer historischen Nähe zum "Urvater" Jung. Auf Treue
zur überkommenen Lehre wurde großer Wert gelegt. Fragen der
Wirtschaftlichkeit und Organisation spielten im Curatorium nur eine
untergeordnete Rolle.
In den 70er und 80er Psychoboomjahren wuchs das Institut rapide auf
bis zu 400 Analytiker Mitglieder und entsprechende Studierende an.
Aber ab den 90er Jahren setzte ein starker Mitgliederschwund ein,
der auch einschränkende finanzielle Konsequenzen hatte. Jetzt
berief man mit Brigitte Spillmann zum ersten mal eine Frau zur
Präsidentin, die auf Grund ihrer Erfahrung in der Leitung anderer
Bildungseinrichtungen, sich um organisatorische Reformen am
Institut bemühen sollte. Dabei hatte sie enorme Schwierigkeiten im
Curatorium selbst. Darin saßen noch zwei Altpräsidenten, die
zusammen mit zwei anderen Mitgliedern jeweils die Stimmenmehrheit
im Curatorium hatten, und die Spillmannschen Reformen blockierten.
Der Streit eskalierte, als von der Präsidentin zur Sicherung des
Etats, Mitgliedsbeiträge von den eingeschriebenen Analytikern
erhoben werden sollten, und nichtzahlende Mitglieder aus der
geheiligten Analytikergemeinde ausgeschlossen werden sollten. Der
Streit endete schließlich damit, dass die "Opposition" ein eigenes
Jung-Institut gründete. Seit dem konnten die Finanzen konsolidiert
und der Lehrbetrieb des C.G. Jung Instituts wieder ordnungsgemäß
aufrechterhalten werden.
Neuerdings wollen die Professorinnen Kast und Riedel die beiden
Institute wieder zusammenführen, was bei Spillmann, die inzwischen
die Präsidentschaft niedergelegt hat, auf erhebliche Skepsis
stößt.
Die Auseinandersetzungen wurden mit einer für Außenstehende
erschreckenden Aggressivität und einer erschütternden Neigung
rechtliche und finanzielle Tatsachen zu negieren, geführt. So
jedenfalls nach Spillmann.
Für die Autoren liegen die Gründe in vom Gründervater übernommenen
und unbearbeiteten Problemen. Der an die Jüngerschar tradierte
Narzissmus der führenden Jungianer und die dyadische Regression in
eine helle Innenwelt verhinderten einen adäquaten Umgang mit der
realen Weit.
Die Autoren konstatieren jedoch, dass die deutschen Jungianer die
oben beschriebenen Probleme besser aufgearbeitet hätten.