Rezension zu Behandlungsberichte und Therapiegeschichten
Zeitschrift für Individualpsychologie 2010
Rezension von Gerd Lehmkuhl
Einleitend führen Kächele und Pfäffiin aus, dass die Tätigkeit
eines Psychoanalytikers vor allem aus Zuhören und Sprechen bestünde
und nur für einige der Zunft zu einem nicht kleinen Teil aus
Schreiben. Der Status der Fallberichte, seien sie als ideologisch
anspruchsvolle Krankengeschichte gemeint oder als pragmatische
Behandlungsberichte, sei immer wieder neu zu reflektieren, wobei
sich folgende Fragen stellen: »Welche Funktionen kommen ihnen im
professionellen Kontext zu? Wie sollen Behandlungsberichte
geschrieben werden, die den kritischen Leser zufriedenstellen, die
die Transformation der multimodalen Wirklichkeit einer Behandlung
in eine literarische Form bewältigen können? Ist dies eine Aufgabe,
die im Grunde genommen nur Schriftsteller zu leisten vermögen?«
Insgesamt zwölf Beiträge gehen diesen Fragen nach, überprüfen die
wissenschaftliche Relevanz dieser Methode, ihre Funktion für die
Ausbildung, ihre Bedeutung für die Forschung, indem sie das
»Logbuch des Therapeuten« einen »Psycho Kompass« (Kächele)
darstellen. Die verschiedenen Facetten und Aufgaben der
Therapiegeschichte werden anspruchsvoll herausgearbeitet und auch
ihre Funktion in Abschlussberichten im Rahmen der Ausbildung nicht
vergessen (Psychoanalytiker auf dem Prüfstein, A. Voigtländer).
Neben all den offiziellen Aufgaben der Fallgeschichte können sie
nach Kächele auch der »nautischen Verortung« (S. 204) dienen und
vorzugsweise Momente der Gefährdung aufzeichnen, oder eher wie
Tagebücher der Funktion systematischer Selbstanalyse dienen: »Wozu
sind solche privaten, auf therapeutische Prozesse bezogene
Aufzeichnungen nun nützlich? Sind sie hilfreich für die
Rekonstruktion latenter Modelle der schreibenden Therapeuten durch
die Metaphern Analyse, wie Buchholz (1997) aufzeigt? Was lässt sich
daraus lernen, erfahren, was weder in den üblichen Fallberichten
noch in Tonbandaufzeichnungen zu erfahren ist? Ist es das Material
der Subjektivität des Analytikers per excellance, der Schlüssel zu
dem Nicht Gesagten und oft Nicht Sagbaren? Als engagierter
Logschreiber plädiere ich für eine größere Bereitschaft, solche
privaten Aufzeichnungen, natürlich gut anonymisiert, in die Hände
der ›Scientific Community‹ zu geben, um die Nahtstelle zwischen
therapeutischer Tätigkeit und post therapeutischer Verarbeitung
besser zu begreifen« (S. 217).