Rezension zu Im eigenen Rhythmus (PDF-E-Book)
EMDRIA-Rundbrief
Rezension von Dr. med. Sabine Wollnik-Krusch
Der Herausgeber, dessen Beiträge das Buch rahmen, ist
Psychoanalytiker, Leiter einer Psychotherapeutischen Klinik und
EMDR-Therapeut.
Im Eingangskapitel widmet er sich der Frage, was wir über
Heilungsprozesse wissen und eröffnet damit das Feld für die
weiteren Beiträge, die von Autoren mit unterschiedlicher
therapeutischer Herkunft geschrieben sind, Psychoanalytiker,
Verhaltenstherapeuten. Die Autoren sind niedergelassen, arbeiten an
Kliniken, in der Forschung, sind im Feld der Psychotraumatologie
aktiv.
Was eint die einzelnen? Die Beschäftigung mit EMDR und wie der
Herausgeber meint, die Tatsache, dass Heilungsprozesse unabhängig
von der therapeutischen Schule nach bestimmten Prinzipien
verlaufen, weshalb von dem Schulen übergreifenden Werkstattbericht
alle profitieren sollten. Grundlage ist das Prinzip, dass sich
mentale Prozesse kreativ selbst organisieren, dass den Menschen
inhärent ein Heilungsprozess zu Eigen ist und dass es darum geht,
eingetretene Blockaden wegzuräumen. Der Therapeut sollte diesen
Heilungsprozess soweit begleiten, dass sich nach eingetretenen
Stockungen der natürliche Prozess wieder verflüssigen kann, deshalb
im eigenen Rhythmus. Der Patient hat seinen eigenen Rhythmus, aber
auch der Therapeut hat den seinen. Jedem kann er gelassen werden.
So kommen in dem Buch die Autoren in ihren Beiträgen in all ihrer
Unterschiedlichkeit zu Wort. Da die einzelnen auch jeweils ihr
therapeutisches Konzept und ihren Umgang mit EMDR darstellen,
lassen sich die Beiträge auch einzeln lesen.
Reinhard Plassmann schildert seine Arbeit mit essgestörten
Patienten, die er mit ressourcenorientierter EMDR –Therapie
behandelt, einzeln und in Gruppen. Dabei setzt er auf die
Eigenverantwortung der Patienten und deren Fähigkeit zur
Selbstorganisation. Wie bereits in seinem Eingangskapitel
geschildert, beachtet er einige Grundregeln: Er arbeitet
prozessfokussiert, im Hier und Jetzt, im emotionalen
Toleranzfenster, bipolar, d. h. immer auch ressourcenorientiert,
unter Einbezug von Körperempfindungen und fokussiert auf eine nach
Ort und Zeit genau bestimmbare Situation. Die Erfolge sind
beeindruckend.
Im dritten Kapitel beschreibt Marion Seidel, wie sie
bindungsgestörte Mütter und deren Kinder, teilweise auch zusammen
mit dem Vater und den Geschwistern mit EMDR therapiert. Sie
arbeitet im stationären Rahmen, was Halt und Sicherheit schafft und
einen Entwicklungsrahmen für die Familie zur Verfügung stellt. Die
Mütter sind überwiegend traumatisiert und in ihrer Entwicklung
blockiert, was den emotionalen Austausch mit ihren Kindern
stört.
Thomas Burkart stellt im vierten Kapitel seine Arbeit bei Patienten
mit Bulimia nervosa vor. Er ist Verhaltenstherapeut und vergleicht
seine therapeutische Arbeit mit verhaltenstherapeutischen Ansätzen,
zeigt Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf. Bulimische Patienten
weisen häufig einen unsicher-ambivalent vermeidenden Bindungsstil
auf. Burkart fokussiert in seinen Behandlungen mikrotraumische
Ereignisse, wie schwere Kränkungen, öffentliche Beschämung oder
Demütigung, die wiederholt und häufig von primären Bezugspersonen
ausgeübt wurden.
Das fünfte Kapitel zeigt eine Erweiterung in der Indikation von
EMDR. In ihrem Bericht beschreibt Claudia Erdmann, wie sie EMDR in
der Behandlung von Allergien erfolgreich einsetzte. Eine
ausführliche Falldarstellung der Allergiebehandlung eines
13jährigen Jungen beendet ihre Darstellung.
Das sechste Kapitel behandelt EMDR und chronischen Schmerz. Claudia
Erdmann beschreibt, dass das Störungsbild der PTBS große
Ähnlichkeiten mit dem chronischen Schmerzsyndrom zeige. Chronischer
Schmerz könne als eigenständiges Trauma gelten mit dem eigenen
Körper als Täter und Opfer. Häufig fänden sich allerdings auch
Traumata im Vorfeld oder begleitend. Chronischer Schmerz sei
signifikant häufig assoziiert mit Posttraumatischen
Belastungsstörungen, mit Angsterkrankungen, Depressionen und
weiteren psychischen Störungen. Ausführliche Behandlungsprotokolle
runden dieses Kapitel ab.
Martin Sack, Oberarzt an der TU München, beschreibt eine eigene
Studie zur Frage der Wirkfaktoren von EMDR. Dass EMDR bei Patienten
mit posttraumatischen Belastungsstörungen wirkt, ist mittlerweile
in über 20 kontrollierten Studien untersucht und überzeugend
nachgewiesen worden. Martin Sack geht der Frage nach dem »wie«
nach. Es gibt in der Literatur Hinweise darauf, dass die
Augenbewegungen zu einer parasympathischen Entspannungsreaktion
über eine Orientierungsreaktion führen. Damit wird in den
EMDR-Sitzungen die traumatische Belastung mit einer Entspannung
verknüpft. Sack überprüfte den Parasympathikotonus über die Messung
der Herzratenvariabilität und fand unter EMDR eine signifikante
Zunahme letzterer. In einer Folgestudie konnte sein Team
nachweisen, dass der Behandlungserfolg durch EMDR mit der Abnahme
des psychophysiologischen Arousals während der EMDR-Behandlung
korreliert.
Im Kapitel acht schreibt Christine Rost über die
Ressourcenorganisation mit EMDR. Ressourcen helfen uns Lösungen zu
finden. Ein zu frühes Hinführen zu einem positiven Gefühlszustand
durch den Therapeuten störe allerdings den Prozess der
Selbstorganisation. Bei der Bewältigung traumatischer Ereignisse
werde das vorher isolierte Traumanetzwerk mit einem
Ressourcennetzwerk verbunden. Das Kapitel wird abgerundet durch
Hinweise zur Technik.
Im neunten Kapitel schreibt die gleiche Autorin, Christine Rost,
über die Behandlung traumabedingter Angststörungen. Während frei
flottierende Angst mit EMDR nicht zu behandeln sei, sei Angst als
Traumafolgestörung erfolgreich behandelbar. Sie schildert
detailliert ihr Vorgehen.
Fikret Zengin modifizierte das EMDR-Standard-Protokoll für die
Behandlung von Tinnitus-Patienten. Er fokussierte auf den Tinnitus
und erreichte in wenigen Sitzungen beeindruckende Erfolge, die er
selber in einer Katamneseuntersuchung nach einem Jahr überprüfte.
Der Behandlungserfolg war weitgehend stabil geblieben. Rückfälle
bei zwei von 17 untersuchten Patienten konnten durch weitere
EMDR-Sitzungen behoben werden.
Michael Hase stellt im Kapitel elf die CravEx-Reprozessierung des
Suchtgedächtnisses mit der EMDR-Methode vor. Ausgehend von der
Theorie eines Suchtgedächtnisses wird als ein neuer innovativer
Ansatz die Maladaption mit EMDR prozessiert. Ziel ist die
Verringerung des Suchtdrucks. An jeweils 15 Patienten
(Behandlungsgruppe und Kontrollgruppe) einer offen geführten
Entgiftungsstation eines Landeskrankenhauses wurde das Verfahren
überprüft. Nach im Mittel 2,3 EMDR-Sitzungen von jeweils 60 Minuten
fand sich in der Behandlungsgruppe ein statistisch signifikanter (p
(größer als) 0,5) verringerter Suchtdruck, gemessen mit der
Obsessive-Compulsive-Drinking-Scale in deutscher Übersetzung. Auch
in einer Katamneseuntersuchung sechs Monate nach Therapie war der
Unterschied in den Gruppen hinsichtlich der Rückfallhäufigkeit
statistisch signifikant. Der Autor selber weist auf methodische
Mängel der Studie hin, da Behandelnde und Untersucher nicht
getrennten Personenkreisen angehörten und die Kontrollgruppe keine
Therapie erfuhr. Trotz dieser Mängel überraschen die Ergebnisse in
ihrer Eindeutigkeit. Ein »Standartprotokoll Substanzabhängigkeit«
sollte Vergangenheit, Gegenwart und die Zukunft berücksichtigen,
also das Suchtgedächtnis berücksichtigen, die gegenwärtigen Trigger
und die für die Zukunft notwendigen Verhaltensänderungen. Das
CravEx-Manual ist über HHP-Deutschland bzw. Trauma-Aid gegen eine
Spende erhältlich.
Michael Schütz, Psychoanalytiker, stellt eine analytische
Psychotherapie mit zwei Wochenstunden vor. Er schildert die
detaillierte Kasuistik einer Patientin mit einer sehr belasteten
Lebensgeschichte, die unter anderem an Migräne litt. In den
Behandlungsverlauf wurde in einer EMDR-Sitzung der »Sichere Ort«
eingeführt. Für mich, die Rezensentin, ebenfalls
Psychoanalytikerin, ist beeindruckend zu sehen, inwieweit die
Beschäftigung mit EMDR die Technik verändert, ohne dass, wie ich
meine, psychoanalytische Standards aufgegeben werden. Der Autor
arbeitet mit Übertragung, Gegenübertragung, es kommt zur
Mentalisierung und damit einhergehend zu Affektdifferenzierung und
Symbolbildung. Der Analytiker arbeitet an einer sicheren Bindung.
Eines unterscheidet sich in meiner Wahrnehmung von vielen
herkömmlichen analytischen Behandlungen. Die negative Übertragung
wird zwar berücksichtigt, aber dosiert angewendet. Es wird am
Affekt gearbeitet, d. h. fokussiert, aber immer bipolar, d. h.
ressourcenorientiert. Die begabte Patientin begreift dies schnell.
Nach der Etablierung des »Sicheren Ortes« findet sie selber immer
wieder neue Ressourcen auch oder vor allem zwischen den
Stunden.
Das Buch wird abgerundet durch einen Artikel des Herausgebers,
Reinhard Plassmann, in dem eben das geschieht, was ich mir nach der
Lektüre des Kapitels 12 gewünscht habe, eine Auseinandersetzung mit
dem Verhältnis von Psychoanalyse und EMDR. Zahlreiche
Psychoanalytiker haben mittlerweile die EMDR-Ausbildung absolviert
und arbeiten mit der Methode. Was können EMDR-Therapeuten und
Psychoanalytiker voneinander lernen, wie kann eine gegenseitige
Befruchtung und Weiterentwicklung der unterschiedlichen Verfahren
aussehen? Das psychoanalytische Prozessmodell beinhaltet das
»Durcharbeiten«, ein Begriff, den Freud 1914 eingeführt hat. Wie
findet nun aber Transformation statt? Zwiebel schreibt dazu 2004,
dass Transformation immer in einem intersubjektiven Prozess
stattfindet, dass Verstehen vor allem ein emotionaler und kein rein
kognitiver Prozess ist und dass Transformation und Aneignung an
emotional schwierigem Material scheitern. Die Londoner Gruppe um
Peter Fonagy hat das Mentalisierungskonzept entwickelt, dass der
modernen Traumatherapie sehr nahe ist. In einer sicheren Bindung
entwickeln sich Repräsentanzen, d. h. es kommt zur Bewusstwerdung,
Aneignung und Transformation emotionalen Materials. In der modernen
Traumatherapie wird auf den Verarbeitungsprozess fokussiert und
hier berühren sich Psychoanalyse, wie z. B. von Zwiebel
dargestellt, und EMDR. Die Kompetenz von Psychoanalytikern liegt in
der Prozessfokussierung und Prozessinduktion, EMDR-Therapeuten
lernen mittlerweile von Psychoanalytikern mit
Übertragungssituationen zu arbeiten. Im Kern des
Belastungsmaterials liegen negative Emotionen. In einer sicheren
Bindung zwischen Patient und Therapeut kommunizieren zwei
emotionale Systeme, was eine Transformation negativen Materials
ermöglicht. An dieser Stelle kann eine Weiterentwicklung beider
Methoden in Verfeinerung des Verständnisses und der Technik
stattfinden. Die moderne Traumatherapie arbeitet mit Ressourcen und
Stabilisierung, hier besteht vielleicht bei Psychoanalytikern noch
Nachholbedarf. Plassmann gibt ein Beispiel, wie sich die Technik
weiterentwickeln könnte. Dass der Mensch auf eine Wahrnehmung
zuerst körperlich reagiert, ist sogar neurobiologisch nachgewiesen,
EMDR-Therapeuten berücksichtigen dies, Psychoanalytiker könnten von
einer verstärkten Aufmerksamkeit auf Körpervorgänge
profitieren.