Rezension zu Sex, Lügen und Internet
Mathilde Juli/August 2010 (107)
Rezension von Gundula Pause
Romantik und Zärtlichkeit waren gestern. Schleichend verändert sich
unsere Wahrnehmung gegenüber Darstellungen von nackten Körpern. Sex
ist allgegenwärtig. Es ist keine Anstrengung gefordert, explizite
Bilder und Filme zu finden. Stattdessen werden wir bombardiert mit
sexistischer und sexualisierter Werbung, Casting Shows, Video
Clips, Pop-Songs und Milliarden von Pornobildern und Filmen in
World Wide Web. Was uns da begegnet hat nicht die kreative Kraft
von lustvollem Sex sondern entfernt uns immer mehr von uns selbst.
Der Körper wird von uns abgespalten und benutzt, um Waren zu
verkaufen.
Wer mit Kindern und Jugendlichen zu tun hat, bekommt mit, dass der
Konsum von Pornomaterial Normalität geworden ist. Haushalte mit
Jugendlichen verfügen mittlerweile zu 99 Prozent über einen
Internetanschluss, über die Hälfte der jungen Leute haben ihren
eigenen unkontrollierten Zugang ins Netz. Die Musikindustrie
erleidet Verluste, da schneller kopiert als gekauft wird. Nur noch
die krassesten DarstellerInnen, die anderen die Show stehlen,
geraten in den Focus und können mit ihrer Musik reich werden.
Shakira, die sozial engagierte und erfolgreiche kolumbianische
Sängerin zeigt sich in ihrem neusten Hit »She Wolf« als Werwölfin
sexuell aufreizend fast nackt in einem Käfig, Lada Gaga und Beyonce
produzieren einen Sado Maso Clip mit Lesben in Gefängniskulisse mit
Schlägen und Ketten. Alles ganz normal.
Zwei aufschlussreiche Bücher möchte ich vorstellen, die sich mit
der Sexualisierung und der Veränderung der Sexualität durch das
Internet beschäftigen.
McSex
Ausgehend vom Sexualverhalten der vorletzten Generation spannt die
junge Autorin Myrthe Hilkens den Bogen bis ins Internetzeitalter.
Sie hat umfassend recherchiert, vielfältige Ergebnisse von Studien
vorgelegt und Interviews geführt. So kann sie belegen, dass
Sexualstraftaten der unter 18jährigen zunehmen, sogar die Zahl der
Täter unter 14 Jahren ansteigt. Sexuelle Grenzüberschreitung findet
zunehmend statt.
Sie kritisiert, dass die Pornoindustrie ein überkommenes Frauenbild
der 50er Jahre stilisiert: Konservativ, die Frau unterwürfig ohne
Rechte, im Käfig, aber gekoppelt mit der sexuellen Darbietung. Sex
als Essen zum Mitnehmen, als pappiger Happen konsumiert, billig,
gut und du bist schnell wieder draußen. Die Assoziation zu einer
Fastfoodkette verleiht dem Buch seinen Namen.
Dabei gehe es geht beim Sex um die Verbindung von Lust und Liebe,
betont Hilkens. Wirkliche Lust entbrennt, wenn Gefühle da sind,
egal wir groß ein Geschlechtsteil oder wie wohlgeformt Schamlippen
sind. Die Zeit sei reif für eine Kultur, die Gleichberechtigung
propagiere, reif für eine neue sexuelle Revolution.
Myrthe Hilkens, Jahrgang 1979, arbeitete lange als
Musikjournalistin in den Niederlanden. Als freie Autorin schreibt
sie für verschiedene niederländische Zeitungen. Ihre Kritik der
Jugendkultur kommt von innen. Sie sucht nach Lösungen, so forderte
sie in einem Manifest die Einführung des Faches »Medienerziehung«
an Schulen. Es wurde in den Niederlanden bereits von über 10.000
Menschen unterzeichnet.
Sex, Lügen und Internet
Verschiedene WissenschaftlerInnen aus Psychologie, Psychoanalyse,
Pädagogik und Soziologie gehen in dem gemeinsamen Band jeweils in
ihrer Disziplin der Frage nach, ob sich die Sexualität der Menschen
durch das Ineinanderwirken von realen Körpern und virtueller
Fantasieanregung im Netz verändert und in wieweit schädlich oder
gefährlich sein könnte.
So verschiedenartig die Ansätze, gefächert sind auch die meist
offen dargestellten Ergebnisse. Einige betrachten die entstandenen
»Neosexualitäten« mit neugierigem Interesse, andere sind alarmiert
und diskutieren denkbare Entwicklungen.
In dem Versuch, alles wertfrei zu betrachten, wird leider die
unterschiedliche Wirkung von Pornografie auf Männer und Frauen kaum
thematisiert, ebenso wenig die Folgen der
Geschlechtsrollenzuweisung auf die Entwicklung der Sexualität bei
heranwachsenden Mädchen und Jungen. In der Beratungsarbeit und der
weiterführenden Diskussion sind die Beiträge in jedem Fall
bemerkenswert und hilfreich.