Rezension zu Traumatisierungen in (Ost-)Deutschland
Trauma & Gewalt. Forschung und Praxisfelder, August 2010
Rezension von Prof. Dr. H. J. Freyberger
Text:
Die beiden in Berlin tätigen Psychoanalytiker Christoph Seidler und
Michael Froese haben ihr bereits 2006 in erster Auflage
publiziertes Buch überarbeitet vorgelegt, das ausgesprochen
spannend zu lesen ist und auch an Aktualität gewonnen hat. Es
gliedert sich in 6 Kapitel.
Abschnitt 1 beschäftigt sich mit der äußeren und inneren Realität
in (Ost-) Deutschland. Zunächst wird die psychohistorische
Perspektive für die erweiterte 2. Auflage neu aufgegriffen und dann
eine Arbeit von Mario Erdheim zur Produktion von Unbewusstheit in
der Erinnerungskultur präsentiert.
Der Abschnitt 2 beschäftigt sich mit den Traumatisierungen durch
den Krieg und leuchtet die Hintergrundmatrix aus, auf der die
DDR-Diktatur wirksam werden konnte.
Der Abschnitt 3 beschäftigt sich mit den Traumatisierungen durch
politische Repressionen. Hier werden psychoanalytische Reflexionen
zur Funktion der Stasiunterlagenbehörde, die Traumatisierungen
durch politische Haft in der DDR, deren transgenerationale
Weitergabe und die Bedeutung von KZ-Traumata diskutiert.
Der Abschnitt 4 beschäftigt sich mit der Psychoanalyse in Zeiten
von Wende und Mauerfall und deutscher Vereinigung. Unter dem Titel
»Zwischen Traum und Trauma« werden hier Gedanken zu ostdeutschen
Biografien präsentiert, der Bereich der Traumatisierung durch
sexuelle Gewalt ausgeleuchtet und die intrapsychischen Folgen der
Veränderungsprozesse thematisiert.
Den Abschluss des Bandes bilden zwei Beiträge, die sich mit den
Herausforderungen für das psychoanalytische Denken beschäftigen,
die durch die historischen Umbrüche entstanden sind.
Gemeinsam mit elf Autoren haben die beiden Herausgeber einen Band
geschaffen, der nicht nur für mich als im Osten lebender
Westdeutscher viele verschlossene oder halbverschlossene Tore
öffnet. Die besondere Aufeinanderfolge zweier Diktaturen wird hier
in ihren Konsequenzen für individuelle und kollektive unbewusste
Prozesse durchleuchtet und mit den auch daraus resultierenden
(alltags-)kulturellen Unterschieden zwischen Ost und West breit
diskutiert.