Rezension zu Handbuch psychoanalytischer Begriffe für die Kunstwissenschaft

medien und zeit. Kommunikation in Vergangenheit und Gegenwart 25 (2), 2010

Rezension von Steffen Krüger

Ein »Handbuch psychoanalytischer Begriffe für die Kunstwissenschaft« in einer kommunikationswissenschaftlichen Publikation zu besprechen, erscheint nicht nur thematisch abwegig, sondern obendrein auch recht delikat, war doch die Beziehung zwischen Kommunikationswissenschaft und Psychoanalyse nie eine besonders glückliche. Dabei hatte diese Beziehung schwungvoll angesetzt: Haudegen der Disziplin, wie Harold Dwight Lasswell und Edward Bernays, waren eifrige Studenten psychoanalytischer Schriften. Die Erwartungen jedoch, die sie an den Einsatz der Psychoanalyse auf dem Feld der Massenkommunikation knüpften, waren problematisch, ging es in ihnen doch vornehmlich um das Herausarbeiten solcher Schlüsselsymbole, von denen man sich den direktmöglichsten Zugang zum kollektiven Unbewussten der Massen erhoffte. Eine Kommunikationselite, so Bernays Weisung, müsse das Unbewusste der Massen zu steuern lernen, »to bring order out of chaos« (1928; 1955; 2005, S. 168). Lasswell wiederum formulierte dasselbe Interesse wie folgt: »How may specific objectives be reached by means of symbols, violence, goods, practices?« oder einfacher: »Who gets What. When. How«, so der Titel seiner bekanntesten Schrift aus den 1930er Jahren (1936; 1958, S. 24). Noch Vance Packard sprach in seiner aufrührend investigativen Studie »Die Geheimen Verführer« von 1957 von einer »Massen-Psychoanalyse«, die beim Werbepublikum »conditional reflexes« ausbilden sollte, und zwar »by flashing on trigger words, symbols, or acts« (1957; 1981, S. 23). So repräsentierte die Psychoanalyse für eine gewisse Zeit in der Geschichte der Sozialwissenschaften sowohl die Drohung als auch das Versprechen der exakten Manipulierbarkeit des massenmedialen Publikums - ›feuchter Traum‹ und aufschreckender Alptraum zugleich, der allerdings vielmehr dem Unbewussten der Forscher selbst entsprungen als an den realistischen Möglichkeiten der Beeinflussbarkeit orientiert war.

Im Anbetracht solcher Irrungen und Wirrungen ist es nur wenig verwunderlich, dass die Verbindungen zwischen den beiden Disziplinen im Laufe der Zeit gekappt wurden. Und während sich die Kommunikationswissenschaft nun zunehmend von den Geisteswissenschaften abwendet und nach psychologischer und naturwissenschaftlicher Grundierung ihres Erkenntnisinteresses sucht, hat die Psychoanalyse in just diesen Geisteswissenschaften - in Literatur, Film und bildender Kunst - einen festen Platz eingenommen.
Dass die Psychoanalyse mit ihrem Interesse am unbewusst Wirksamen allerdings auch der Medien- und Kommunikationswissenschaft noch einiges zu bieten hätte, wird besonders auf jenem Feld deutlich, auf dem sie am nachhaltigsten gewirkt hat: auf dem der Werbepsychologie. »Die Dinge haben eine Seele. (...) Menschen auf der einen Seite und Waren, Güter und Gegenstände auf der anderen unterhalten eine dynamische Verbindung ständiger Wechselwirkungen«, zitiert der Werbeforscher Guido Zurstiege Ernest Dichter, einen bekannten Werbepsychologen der 1950er Jahre, und schreibt weiter: »Seitdem spürt eine ganze Heerschar an Marktforschern der Frage nach, was uns die scheinbar trivialen Dinge des Lebens bedeuten, und - was in diesem Zusammenhang in aller Regel vergessen wird - mehr noch: was uns diese scheinbar trivialen Dinge bedeuten sollen« (2007, S. 33).
Es ist besonders dieser in der Werbekommunikation angelegte Imperativ des Bedeuten Sollens, dem sich mit einer durch psychoanalytische Konzepte bereicherten Kommunikationswissenschaft genauer nachspüren ließe. Und es ist just an diesem Punkt, dass das »Handbuch psychoanalytischer Begriffe für die Kunstwissenschaft« (Gießen 2009) ins Spiel gebracht werden kann. Alphabetisch geordnet werden hier jene Begriffe erläutert, die sich aus der Erfahrung für die Kunstwissenschaft als relevant erwiesen haben und die auch der Kommunikationswissenschaft als Orientierung willkommen sein dürften. Vom »Affekt« zur »Aggression - Destruktion« und weiter zum Begriffspaar »bewusst - unbewusst«, über »Bild«, »Einfühlung - Empathie« sowie »Idealisierung« und »Identifizierung«, zu »Mythos« und »Narzissmus«, hin zu »Pathologisierung«, »Projektion«, zum »Symbol« und zur »Übertragung« und letztlich zum »Voyeurismus und Fetischismus«.
Die Tatsache, dass die Konzepte mit Blick auf ihre Anwendbarkeit auf den Bereich der Kunst besprochen werden, verschafft dem Band einen entscheidenden Vorteil vor dem Standardwerk Das Vokabular der Psychoanalyse von Laplanche und Pontalis (1973), bei dem der Bezug auf einen außerhalb der therapeutischen Situation liegenden Gegenstandsbereich fehlt. Ein solcher Anwendungsbezug ist von kommunikationswissenschaftlicher Warte aus sowohl in Analogie als auch in Abgrenzung zum Bereich der Kunst hilfreich. So mag ein Kommunikationswissenschafter zwar weit weniger bereit sein, dem kommunikativen Output der werbetreibenden Branche sublimierende Wirkungen zusprechen zu wollen, er wird aber anhand des Begriffes der Sublimierung in jedem Falle darauf verwiesen, über Phänomene psychischer Verschiebungen in und durch Werbekommunikation nachzudenken. »Potenziell wird die Öffnung eines (entleerten) leeren Raums impliziert, aus dem sich ein neuer symbolischer Kosmos erheben kann«, erläutert die Autorin des Beitrags zur Sublimierung Insa Härtel (S. 355), und es scheint durchaus wert, Stellen wie diese abrufbereit zu haben, wenn man sich an die Lektüre etwa von Kai Uwe Hellmanns und Guido Zurstieges »Raume des Konsums« (2007) macht.

Gerlinde Gehrig und Ulrich Pfarr, die Herausgeber des »Handbuch(es) psychoanalytischer Begriffe für die Kunstwissenschaft«, waren beide Mitglieder im Graduiertenkolleg des Kunsthistorikers Klaus Herding zum Thema der Psychische(n) Energien in der bildenden Kunst (1996-2004). Der Titel dieses Kollegs, der auch für Gehrigs und Pfarrs Band programmatisch ist, zielt ab auf ein Forschungsinteresse, das, ganz wie Zurstiege es im weiter oben angeführten Zitat für die Werbeforschung konzipiert, am Symbolischen, sprich: an der Beschaffenheit der Kommunikation selbst ansetzt.
Diese Herangehensweise wird im Handbuch exemplarisch für das Filmgenre dargestellt: Weder der Produzent noch der Rezipient würden hier einer Interpretation unterzogen, so Gerhard Schneider, der Autor des Beitrags zu »Film und psychoanalytische(r) Theorie«, sondern der »Film als Filmganzes« werde »als quasi personales Gegenüber« konzeptualisiert, mit dem der Analytiker in Kontakt trete (S. 113). Filme, so der Autor, dürften nicht als simple Anwendungsfälle der analytischen Theorie missverstanden werden; d. h. die Theorie dürfe dem Film nicht einfach übergestülpt werden. »Vielmehr sollte psychoanalytisches Wissen als ›Resonanzraum‹ bei einem von der wahrnehmbaren Oberfläche ausgehenden bottom up Erkenntnisprozess fungieren (...), d. h. im Ausgang ›von den formalen Gestaltungselementen des Films (...), so wie sie in den Bildern und Bildersequenzen dramatisiert sind‹« (S. 109).
Analog zu dieser Beschreibung ließe sich eine Anwendung psychoanalytischen Wissens auf mediale Inhalte im Feld der Werbung vorstellen: nicht als ein festes interpretatorisches Raster, sondern als ein Instrument, das die Diskursanalyse ergänzt und das hinzugezogen wird, wenn die zu interpretierende Botschaft (im weitmöglichsten Sinne des Wortes) dies selbst nahe legt. Eine solche Anwendung würde nicht darauf abzielen, das bewährte Instrumentarium der Kommunikationswissenschaft, das in der systemtheoretischen Beobachtung, durch empirische Erhebungen oder im medienpsychologischen Experiment gewonnen wird, zu ersetzen - ganz im Gegenteil bliebe sie weiterhin auf dieses Instrumentarium angewiesen. Sie würde es allerdings dort erweitern, wo sie in besonderer Weise zur Analyse befähigt ist: auf dem Feld der unbewusst ablaufenden Bedeutungs und Gratifikationsmechanismen.

Die »Massen-Psychoanalyse« der werbetreibenden Industrie, vor der Vance Packard in seiner Studie mit erhobenem Zeigefinger warnte, mag zwar längst nicht mehr dieselbe moralische Entrüstung hervorrufen wie noch vor einigen Jahrzehnten. Dass sie aber nach wie vor eine allseits gebräuchliche Praxis darstellt, darf als ebenso unstrittig gelten: »Just do it« (Nike); »Be stupid« (Diesel); »I m loving it« (McDonalds letzter claim (neuerdings: »simple, easy enjoyment«)); »Das Beste oder Nichts« (Mercedes); diese und andere Markenclaims stellen allesamt Appelle dar, die die soziale Attraktivität der zu bewerbenden Produkte steigern sollen. Dies erreichen die Claims, indem sie »privilegierte Anschlussstellen für Kommunikationen und Handlungen« schaffen, wie Siegfried J. Schmidt in einem seiner Essays zum System der Werbung treffend formuliert (in: Schmidt - Westerbarkey - Zurstiege 2003, S. 259). Worin jedoch das Privileg dieser Anschlussstellen liegt, lässt sich allein systemtheoretisch nicht entschlüsseln und bleibt vage und unbestimmt, solange man es nicht mit dem Abbau von Hemmungen verknüpft sieht - Hemmungen, die zwar gesellschaftlich eingeübt sind, deren sexueller und-oder aggressiver Kern jedoch kaum zu übersehen sein dürfte.
Auch eine Kommunikationswissenschaft, die zunehmend von Interpretationsfragen einzelner Kommunikationen absieht, sollte sich nicht der Möglichkeit beschneiden, diesen psycho energetischen Kern adäquat in den Blick zu bekommen.

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