Rezension zu Psychotherapie mit Müttern und ihren Babys

Kinderanalyse 18 (3)/2010

Rezension von Agnes von Wyl

Das Werk ist allen im Frühbereich tätigen KollegInnen nachdrücklich empfohlen. Aber nicht nur ihnen: für diejenigen, die mit Kindern und Jugendlichen in Einzeltherapien arbeiten, bieten die Therapiebeispiele viel Anschauungsmaterial, wie sich die Interaktion zwischen Müttern und Kindern in der frühen Kindheit gestalten kann.

Endlich liegt dieses wichtige Buch von Cramer und Palacio Espasa über die psychoanalytisch psychotherapeutische Arbeit mit Müttern und ihren Säuglingen oder Kleinkindern in deutscher Sprache vor. Wir haben dies der Einzelinitiative von Marie-Jeanne Augustin Forster zu verdanken, die die Übersetzung und Herausgabe initiiert und umgesetzt hat. Zwar kann man inzwischen etliche Bücher zur Behandlung dieser spezifischen Klientel auf Deutsch finden. Doch für die psychoanalytisch interessierten und arbeitenden PraktikerInnen war bisher die vorhandene Literatur doch eher spärlich. Französische Fachliteratur wird im deutschsprachigen Raum wegen mangelnder Sprachkenntnis eher wenig rezipiert. Und so dürfte dieses Buch von Cramer und Palacio Espasa, die beide in Genf arbeiten, wenig bekannt sein.

Es ist ein umfangreiches Buch mit gehaltvollem Inhalt. Marie Jeanne Augustin Forster sagt denn auch in ihrem Vorwort, dass das 1993 erstmals erschienene Buch mit dem Originaltitel La pratique des psychotherapies meres bebes im französischen Sprachraum eine Art Bibel für die im Frühbereich tätigen Psychoanalyti¬kerlnnen sei. Ihr Vorwort wie auch die einführenden Hinweise der Autoren helfen, sich einen ersten Überblick zu verschaffen. Die Autoren betonen gleich am Anfang, dass sich die Psychopathologien des Kleinkindes am besten verstehen lassen, wenn man sowohl den Bereich des Intrapsychischen wie auch den der wechselseitigen Beziehungen in den Blick nehme. Dazu sei das Setting der gemeinsamen Psychotherapie geeignet. TherapeutInnen, die sich auf die frühe Entwicklungsphase spezialisiert haben, wird diese Aussage als selbstverständlich erscheinen. Das Buch richtet sich aber auch an diejenigen PsychoanalytikerInnen, die kaum Erfahrung in diesem Bereich haben und/oder dieser Behandlungsart kritisch gegenüberstehen. Die Autoren machen jedenfalls häufig erklärende Hinweise in Bezug auf die wechselseitige, reale Beziehung zwischen Mutter und Säugling und deren Bedeutung für die weitere psychische Entwicklung.

Das Buch besteht aus fünf Teilen mit jeweils mehreren Unterkapiteln. Der erste Teil ist mit »Die gemeinsamen Psychotherapien: klinische Studien zur Eltern Kleinkind Psychopathologie« übertitelt. Nach einem historischen Abriss der verschiedenen Konzepte, die die Mutter Säuglings-Arbeit beeinflusst haben – insbesondere jenes ihrer Genfer Schule –, gehen die Autoren hier zum ersten Mal auf die Thematik des »wahren Kindes der Psychoanalyse« und des »realen Kindes der Psychologie« ein. Sie positionieren sich klar dazwischen, das heißt, auch das reale Kind der Psychologie bekommt bei ihnen (als Psychoanalytikern) seinen Platz. Sie zeigen anschließend, wie sich die frühen Pathologien anhand der Interaktion zwischen Mutter und Kind definieren lassen und wie das zu einer Mutter Kind Therapie als eigener, psychotherapeutischer Entität führt. Die diesen Therapien eigene Dynamik ist nur zu verstehen, wenn man die charakteristischen psychischen Abläufe der Mutter (wie auch des Vaters) post partum berücksichtigt und versteht.

Im zweiten Teil schildern sie eingehend den psychotherapeutischen Prozess einer Mutter Kind Psychotherapie. Detailliert stellen sie die Erzählungen der Mutter und das interaktive Geschehen Mutter Kind vor. Sie zeichnen ihre Analysen der Hauptkonfliktthemen nach und wie die Interventionen des Therapeuten daraus abgeleitet wurden; auch diese sind ausführlich dargestellt. Bevor sie die katamnestische Beurteilung vorstellen, gehen sie auf das Thema der Psychotherapie Outcome Forschung ein und berichten auch kurz über ihre eigene vergleichende Studie zu Mutter-Kind Psychotherapien.

Auch der dritte Teil behandelt ausführlich den therapeutischen Prozess einer Behandlung, Die Autoren fokussieren dabei aber vor allem darauf, wie ein bestimmter Konflikt der Mutter die Psychopathologie des Kindes mitbestimmt.

Der vierte und längste Teil widmet sich der Theorie und Praxis der Mutter Kind Psychotherapien. Hier wird eine Generalisierung der technischen Prinzipien vorgeschlagen. Die Ursachen der therapeutischen Veränderungen in diesen Mutter Baby Therapien scheinen sich von denen psychoanalytischer Therapien und Psychoanalysen zu unterscheiden. Es kommt nicht (bzw. selten) zum Aufbau einer Übertragungsneurose und so auch nicht zu einem Widerstand gegen die Übertragung. Eindrücklich sei hingegen die in der Regel schnellere und offensichtlichere Dynamisierung der Interaktionssituation und des Erlebens der Mutter. Als Hauptfaktor der Veränderung bezeichnen sie die Reduzierung der mütterlichen Projektionen auf das Kind. Dem Therapeuten werde durch die Worte, die die Mutter zur Beschreibung der Probleme gebraucht, aber ebenso durch die symptomatischen Interaktionen zwischen Mutter und Kind klar, in welche Richtung diese mütterlichen Projektionen gehen. Neben dem Inhalt müsse der Ursprung der Projektionen gesucht werden. Entlang eines therapeutischen Prozesses erklären die Autoren Schritt für Schritt, an welchen Anhaltspunkten sich der Therapeut orientierte, wie er daraus seine Interventionen ableitete und wie die Mutter und das Kind darauf reagierten. Da die Autoren bei allen besprochenen Therapien auf umfangreiche Videoaufnahmen zurückgreifen konnten, sind die Nachzeichnungen von einer hilfreichen Detailgenauigkeit. Wie kann man sich den meist schnellen Veränderungsprozess erklären? Die Autoren erläutern, wie sich zuerst die mütterlichen Besetzungen des Kindes und die mütterlichen Vorstellungen vom Kind verändern. Dadurch würden die Pathologien vom Kind zur Mutter verlagert, als Folge davon gehen die kindlichen Symptome zurück. Zeitgleich mit der Heilung des Kindes werde aber die Mutter gewissermaßen selbst krank. Sehr oft lasse sich eine kurze, subdepressive Reaktion beobachten.

Die Autoren gehen an dieser Stelle auch auf die verbreitete Kritik an Mutter Kind Psychotherapien ein, nämlich dass nur die Symptome des Kindes geheilt würden und es zu keiner eigentlichen Durcharbeitung der unbewussten Konflikte der Mutter komme. Sie betonen, dass sich die wenigsten Mütter eine Fortsetzung der Therapie wünschen, weder individuell noch gemeinsam mit dem Kind. Die Mütter suchen Hilfe für ihr Kind, weil dieses Probleme macht und hat. Gehen diese Probleme zurück oder verschwinden sie gar, sind die Mütter in der Regel zufrieden. Die Autoren weisen außerdem auf den libidinösen und narzisstischen Gewinn hin, der die verbesserte Beziehung zum Kind für die Mütter bedeutet. Selbstverständlich gibt es auch einige Konstellationen, wo eine Mutter Kind Psychotherapie nicht reicht: z. B. gelinge manchmal die Reintegration dessen, was per Projektionen in das Kind verlagert worden war, nicht. Auch dies wird anhand eines Beispiels veranschaulicht.

Das meines Erachtens sehr wichtige Kapitel über die technischen Prinzipien leiten die Autoren mit einem Er¬gebnis aus der Psychotherapieforschung ein, gemäß dem die spezifische Wirkung der therapeutischen Techniken verhältnismäßig bescheiden ist. Cramer und Palacio Espasa argumentieren, dass erstens ein wirkliches Erlernen der Technik eines der besten Gegenmittel gegen Gegenübertragungsreaktionen sei und dass zweitens der Aufbau eines Arbeitsbündnisses bei den verschiedenen Therapierichtungen auch je spezifische Elemente enthalte. Die vorgestellten technischen Prinzipien dürften für alle interessierten PsychoanalytikerInnen, die mit Mutter und Kind arbeiten wollen, von großem Interesse sein.

Schließlich diskutieren die Autoren nochmals ausführlich die Begrenztheit der gemeinsamen Therapien. Ging es im Kapitel über die technischen Prinzipien vor allem um eine Positionierung gegenüber der Psychotherapieforschung, geht es hier um eine Positionierung gegenüber der psychoanalytischen Scientific Community. Sie zeigen anhand ihrer eigenen vergleichenden Studie zu Mutter Kind Behandlungen, dass es auch nach einem Katamnesezeitraum von einem halben bzw. einem ganzen Jahr zu keinem Wiederauftreten von Symptomen bzw. Ersatzsymptomen gekommen ist. Die Mutter Kind Interaktionen zeigten sogar eine Verbesserung gegenüber dem Therapieende. Bei dieser Studie waren allerdings Eltern mit Psychosen und schweren Borderline Störungen ausgeschlossen gewesen; bei diesen Krankheitsbildern reichen kurze Mutter Kind Behandlungen nicht. Die theoretischen Ausführungen werden wiederum durch ausführliche Katamnesebeispiele angereichert.

Im eher kurzen fünften und letzten Teil steht das Konzept der Projektion im Fokus. Die Autoren erklären ausführlich, wie die frühe Eltern Kind-Beziehung die psychische Funktionsweise beeinflusst, formt. Sie entwerfen hier den theoretischen Hintergrund für die Bedeutung von Projektion und projektiver Identifikation in den Mutter-Kind Psychotherapien. Die Sichtweise bietet nochmals eine Bereicherung für die therapeutische Arbeit, denn sie verbindet das normale elterliche Funktionieren mit dem neurotischen und narzisstischen Funktionieren.

Der Untertitel des Buches »Kurzzeitbehandlungen in Theorie und Praxis« wird eingelöst: Neben theoretisch fundierten Überlegungen und vielfachen Bezügen zur psychoanaly¬tischen Theorie wie auch zur Psychotherapieforschung hat die Praxis mit vielen ausführlich und präzis nachgezeichneten Beispielen einen wichtigen Platz. Das Werk ist allen im Frühbereich tätigen KollegInnen nachdrücklich empfohlen. Aber nicht nur ihnen: für diejenigen, die mit Kindern und Jugendlichen in Einzeltherapien arbeiten, bieten die Therapiebeispiele viel Anschauungsmaterial, wie sich die Interaktion zwischen Müttern und Kindern in der frühen Kindheit gestalten kann. Vielleicht entwickelt sich ja das Buch auch im deutschsprachigen Raum zu einer Art Bibel für PsychotherapeutInnen, die im Frühbereich tätig sind.

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