Rezension zu Von allen guten Geistern verlassen?
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Rezension von Eugenia Lazaridis
In »Von allen guten Geistern verlassen? Aggressivität in der
Adoleszenz« fügt Bernd Ahrbeck Beiträge zusammen, die den Zeitraum
der Adoleszenz, der durch ungewöhnliche Aggressivität, sowohl gegen
andere als auch gegen sich selbst, begleitet wird. Es müsste sogar
davon ausgegangen werden, dass diese Aggressivität wesensmäßig für
die Adoleszenz ist. Deutsche und französische Autoren ermöglichen
einen interessanten fachlichen Austausch ihrer
Betrachtungsweisen.
Auf 236 Seiten werden zu den Themen Aggressivität und Adoleszenz
verschiedene Herangehensweisen dazu dargestellt, die als Kern
allesamt den psychoanalytischen Grundgedanken vertreten. Besonders
interessant ist die Tatsache, dass französische und deutsche
Autoren ihre Sichtweisen in einem Buch repräsentieren, da
insbesondere in Frankreich die Psychoanalyse diesbezüglich einen
anderen Stellenwert hat und intensiver bearbeitet wird.
Wesentlich für die Beiträge ist der Umstand, dass gerade in der
Phase der Adoleszenz aggressives Verhalten in den
unterschiedlichsten Facetten zum Vorschein kommt, das den weiteren
Lebensweg der Jugendlichen prägt. So ist gerade in dem Alter nicht
nur eine Form der Aggressivität wahrzunehmen, die es in den Jahren
vor und nach der Pubertät sonst nicht mehr in derartigem Ausmaß
gibt, sie wird im Besonderen auch polizeilich registriert und
findet sich in Statistiken wieder. Hier unterscheidet nicht nur
Vera King den bedeutenden Unterschied der Geschlechter. Weiblich
sind zumeist internalisierende Handlungen während von Männern mehr
das externalisierende Verhalten bevorzugt wird. Somit lassen
Mädchen ihre Aggression mehrheitlich am eigenen Leib aus, indem sie
sich sichtbar selbst verletzen oder herunterhungern, wohingegen das
männliche Geschlecht ihr Aggressionspotential in direktem Austausch
mit der Gesellschaft sieht, indem direkt Personen angegriffen
werden oder der Straßenverkehr oder der Sportskamerad als Duellant
gilt und dabei auch oft in Gruppen aufgetreten wird.
Olivier Ouvry hingegen versucht am Beispiel eines historischen
Abrisses in Frankreich die Verkehrung der Seiten vom Adoleszenten
als Täter zum Adoleszenten als Opfer darzustellen, der zwar Gewalt
anwendet, dann aber von gerichtlicher Seite ebenfalls Gewalt
erfährt.
Die Frage des Hasses, die Didier Lauru bespricht und feststellt,
dass ohne Hass keine Abgrenzung von anderen möglich ist und dem
Selbsterhalt dient muss ebenso Rechnung getragen werden, wie der
Tatsache, alle hinderlichen Verhaltensweisen der Täter
psychoanalytisch gesehen auf Entwicklungsstörungen beruhen, wie
dies Annette Streek-Fischer in ihrem Beitrag sehr gut
analysiert.
Durch alle Beiträge hinweg wird deutlich, dass das Problem mit der
und durch die Adoleszenz nicht nur als ein biologisches Problem
festgehalten werden kann, das durch Hormone reguliert wird, sondern
dass gerade psychoanalytisch betrachtet der Ursprung in
unterdrückten und beiseite geschobenen Trieben und Konflikten
entspringt, denen nach der ödipalen Phase scheinbar keine Bedeutung
mehr zu kommt. Die verschiedenen Ansätze der französischen und
deutschen Autoren zeigen allerdings auch, dass diese auf das
Subjekt bezogene Problematik nicht nur bei ihnen verbleibt, sondern
sich auch ein Ventil sucht, das die Gesellschaft betrifft und damit
ein anderer Umgang gefunden werden muss.
Von großer Bedeutung scheint der derzeitige kulturelle Wandel, die
Globalisierung und die damit noch mehr erschwerte Planung der
eigenen Zukunft zu sein, in der den Jugendlichen mehr denn je die
Möglichkeit gegeben werden muss, gesicherte Bindungen aufzubauen,
um die außerordentliche Phase der Identitätsbildung leichter zu
überstehen und nicht mehr einen Hang zur Grenzüberschreitung
verspüren.
Da alle Menschen davon betroffen sind, erweist es sich ebenso als
sinnvoll, ganz genau den Wandel in der Kultur und den Medien in den
Blickpunkt zu ziehen und als Möglichkeit anzusehen, einen anderen
Umgang mit der vorherrschenden Reizüberflutung und eigenen
Gestaltungsmöglichkeiten zu finden, der es den Adoleszenten
ermöglicht sich aus ihren fiktiven seelischen Räumen zu stehlen und
nicht medialen Abhängigkeiten zu verfallen. Dann können sicherlich
auch die Jugendlichen schon zu einem Zeitpunkt erreicht werden, an
dem bei vielen eine Grenzüberschreitung noch nicht geschehen ist
oder diese abgemildert werden könnte.
Eine Zusammenarbeit, nicht nur mit französischen Forschern, würde
das Problem, auch gerade durch die Globalisierung, erleichtern und
findet in diesem Buch den ersten Schritt.
Das Buch zeigt die Sichtweisen deutscher und französischer Autoren
mit dem Schwerpunkt psychoanalytischer Forschung, ist aber auch für
Interessierte ohne Kenntnisse der Psychoanalyse ansprechend. In
vielen Ansätzen lassen sich eigene Beobachtungen wieder finden, die
in diesem Werk eine theoretische Grundlage erhalten, die durch
zahlreiche Literaturverweise und Fußnoten eine weitere inhaltliche
Auseinandersetzung ermöglichen. Besonders die vielen Originalzitate
in einigen Beiträgen lassen auch eigene Interpretationen zu. Ebenso
erlauben die Fallbeispiele eine Auseinandersetzung mit der
Problematik der Adoleszenz, die immer als Einzelfall betrachtet
werden muss.
Nicht nur hinsichtlich der psychoanalytischen Forschung, sondern
auch im Hinblick auf den allgemeinen gesellschaftlichen Umgang mit
Adoleszenten kann dieses Buch hilfreich sein. Eine empfehlenswerte
Lektüre.
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