Rezension zu »Wie kommt man ans Ziel seiner Wünsche?« (PDF-E-Book)
Zeitschrift für Politische Psychologie 11, Februar 2006
Rezension von Sascha Karminski
Die Aufsätze nähern sich auf unterschiedliche Weise der
Fragestellung, wie und ob Traumata versprachlicht werden können und
ob es eine spezifische »Sprache des Traumas« gibt. Gisela Thoma
untersucht hierfür schriftliche Narrative posttraumatisch
belasteter Frauen nach sexuellem Missbrauch, die als Teil der
therapeutischen Aufarbeitung entstanden sind. Sie betont die
Kohärenz der Darstellung gerade im Vergleich zu Narrativen von
Holocaust-Überlebenden, die sie gemeinhin als unstrukturierter
bewertet, und schließt daraus auf das Vorhandensein einer
traumatypischen Sprache, die auf Struktur und Art des Traumas
hinweist. Leider berücksichtigt Thoma für ihre Schlussfolgerungen
nur in unzureichendem Maße die Form (schriftliche vs. mündliche
Narrative) sowie den Anlass der Erzählungen aus einem
therapeutischen Kontext heraus. Indem sich die folgenden Autoren
Arnulf Deppermann und Gabriele Lucius-Hoene auf vier sehr
heterogene, jeweils transkribierte mündliche Traumadarstellungen
(Verkehrsunfall, Tod der Mutter, Hitlers Tod, Kriegsverwundung)
beziehen, umgehen sie die Falle einer übermäßigen
Vereinheitlichung. Sie betonen die subjektiven Unterschiede in der
Darstellung und subsumieren, dass »von der Sprache des Traumas
nicht die Rede sein kann. Die große Spannweite möglicher
traumabezogener Darstellungsphänomene korrespondiert mit den sehr
unterschiedlichen moralischen und kognitiv-interpretativen
Relevanzen, die Traumata für die Betroffenen haben können, der
früheren und heutigen emotionalen Betroffenheit der Erzähler, der
sprachlichen Darstellbarkeit des Erlebten und der Fähigkeit, es
deskriptiv und performativ in einem subjektiv-diskursiven Feld der
Selbstdarstellung als traumatisierte Person zu verorten« (S.
62).
Marius Neukom untersucht die Spaltung in der Rezeption von Binjamin
Wilkomirskis Buch Bruchstücke. Eine Kindheit nach dem Skandal um
die nicht-autobiographischen Anteile des Buches. Diese
Abwehrreaktion liegt in einer vorherigen, durch eine eigenständige
»Rhetorik des Traumas« verursachte Nötigung zur Solidarisierung
begründet. Eine Schuldzuweisung in Richtung des vermeintlichen
Opfers, das »blaming the victim« soll auf jeden Fall vermieden
werden. Gleichzeitig bot das Buch sowohl eine Abwehr aggressiver
Impuls durch das Miterleben extremer Aggression sowie eine
»(lustvolle) Identifikation mit einem authentischen Opfer« an, ein
Angebot, dass durch die Enthüllung nachhaltig enttäuscht wurde. Die
nicht mehr abwehrbaren Aggressionen richten sich nunmehr gegen
denjenigen, der sich fälschlich als Opfer ausgegeben hat.
Abschließend untersuchen Heidemarie Weber, Linda Szirt, Matthias
Nübling und Wolfgang Langwitz, wie ÄrztInnen und Pflegepersonal in
Visiten PatientInnen die »schlechte Nachricht« beispielsweise einer
schwerwiegenden Diagnose überbringen. Inhaltlich sind diese
Gespräche von medizinischen Fakten geprägt. Emotionen wird hingegen
nur in sehr geringem Ausmaß Raum gegeben. Vor allem zahlreiche
Unterbrechungen durch parallel zu erledigende Arbeiten sowie ein
hoher Zeitdruck untergraben den Versuch einer auch für die
PatientInnen zufrieden stellenden Kommunikation. Ernüchternd
stellen die AutorInnen fest, »dass die gegenwärtige Visitenpraxis
trotz der Erkenntnisse der Forschung in den achtziger Jahren noch
immer von verhinderten Dialogen gekennzeichnet ist« (S. 133).
Traumatische Erlebnisse bei Diagnosenstellung könnten aber
verhindert werden durch aufmerksames Zuhören im Vorfeld und das
aktive Ansprechen der Gefühle der PatientInnen.