Rezension zu Das Selbst im Lebenszyklus

www.socialnet.de

Rezension von Prof. Dr. Annemarie Jost

Vorbemerkung
Ich schreibe diese Rezension als Nicht-Psychoanalytikerin, sozusagen aus einer gewissen Außenperspektive, um darzustellen, in wie weit das vorliegende Buch für Leser, die sich weniger für die Interna der psychoanalytischen Vereinigungen interessieren, lesenswert ist. Leider ist das Buch nicht wirklich aktuelll: Es basiert auf 1994 gehaltenen Vorträgen und ist eine Neuauflage einer 1998 im Suhrkamp Verlag erschienenen Ausgabe, die durch ein kurzes aktuelles Vorwort ergänzt wurde.

Zum Inhalt
Stellt man einmal beiseite, dass die Beiträge immer wieder interne Konflikte der psychoanalytischen Tradition aufgreifen, die für nicht Analytiker nur von begrenztem Interesse sein dürften, so findet man in diesem dritten Band der Trilogie zur psychoanalytischen Selbstpsychologie einen prägnant gehaltenen Überblick über selbstpsychologische Betrachtungen der verschiedenen Lebensalter. Umrahmt werden diese biografisch geordneten Beiträge von einer Einführung ins Thema mit dem Titel »Psychoanalyse und Entwicklung«, einem abschließenden Fazit und einem Interview mit einem der Autoren (E.S. Wolf), aus dem die engen Verflechtungen der eigenen Biografie, der persönlichen Kontakte und der Laufbahn als Analytiker und Autor hervorgehen.

- Lotte Köhler beschäftigt sich mit dem Selbst im Säuglings- und Kleinkindalter. Natürlich kann sie die in den letzten 10 Jahren publizierten Beiträge zu frühen Regulationsstörungen von Säuglingen nicht aufgreifen, da kein Beitrag mit der Neupublikation aktualisiert wurde, jedoch gelingt es ihr mit guten sprachlichen Bildern die Bedeutung des affect-attunements, des Erfassens der den kindlichen Handlungen zu Grunde liegenden Gefühlszustände, für die gelingende Selbstentwicklung deutlich zu machen. Sie zeigt auch auf, wie aus misslingenden frühen Abstimmungen mit Eltern, die selber hinter einer normal scheinenden Fassade ein brüchiges Selbst verbargen, spätere Desintegrationsängste entstehen können. In knapper Form wird dann die weitere Entwicklung des Selbsts im Kleinkindalter skizziert.
- Anna Ornstein beschäftigt sich dann mit der Konsolidierung des Selbstwertgefühls in der Latenzphase und einigen Aspekten gleichgeschlechtlicher Gruppenbildungen, ohne jedoch allzu sehr in die Tiefe zu gehen.
- Joseph Lichtenberg hält nun ein engagiertes Plädoyer für die Adoleszenten, die seiner Auffassung nach weniger rebellieren als sich selber denkend und handelnd neue Möglichkeitsräume erschließen und nach Erfahrungen der Intimität und Vitalität suchen, die ihr Gefühl der Selbstkohärenz zusätzlich konsolidieren.
- Paul H. Ornstein befasst sich - untermalt mit 2 Fallbeispielen - mit dem Schicksal des Kernselbst in den mittleren Lebensjahren und mit Lebensläufen, in denen es erst im mittleren Lebensalter nach einer Krise gelingt, Begabungen, Werte und Ideale des Kernselbst zu realisieren.
- Ernest S. Wolf schreibt nun - ebenfalls untermalt durch Fallvignetten - über das alternde Selbst im Lebenszyklus, über desillusionierende Erfahrungen mit den eigenen Kindern und über Möglichkeiten der Neuorganisation und Weiterentwicklung, welche über Phasen des Bruchs und Regression führen.

Fazit
Das Buch enthält einige sehr interessante Passagen zur Selbstpsychologie im Lebenszyklus, hätte aber bei einer Neupublikation besser auf den aktuellen Stand gebracht werden können. Für Nichtanlalytiker wird bei der Lektüre in recht schonungsloser Offenheit deutlich, wie schwer sich psychoanalytische Vereinigungen mit Neuansätzen tun, welches Potential von Machtausübung im psychoanalytischen Ausbildungsweg liegt und welcher Anstrengungen es bedurfte, den inzwischen allseits anerkannten selbstpsychologischen Grundgedanken von Kohut zum Durchbruch zu verhelfen.

zurück zum Titel