Rezension zu Soziale Dimensionen der Sexualität
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Rezension von Hans-Jürgen Dalüge
Die Sexualwissenschaften haben ungeheure Materialmengen angehäuft,
die aber in der Soziologie bisher wenig beachtet und jetzt in
diesem Buch werden endlich soziologische Analysen zu grundlegenden
Fragen der Sexualität in der Gesellschaft von den Autoren
dargestellt.
In der Einleitung tritt die Eigenlogik der sexuellen Kommunikation
in den Vordergrund. Wenn es möglich ist die Sexualität als soziale
Operation zu analysieren, ist sie nur für die Soziologie relevant.
Sexualität ist heute primär lustbezogene Sexualität und nicht nur
Sexualität zur Fortpflanzung. Zur Entkopplung von Sexualität und
Fortpflanzung haben verschiedene Faktoren beigetragen. Begünstigte
Faktoren sind Prostitution und Masturbation. Die
Leitunterscheidung, Begehren, Befriedigung sowie die Orientierung
der sexuellen Lust haben sich geändert. So wird z.B. Zeugung von
Nachwuchs und Erfüllung ehelicher Pflichten nicht mehr als die
primäre Funktion des heutigen Sexualitätssystems gesehen.
Im ersten Kapitel, Gesellschaftstheoretische Beziehungen, wird im
ersten Unterkapitel die soziale Dimension der Sexualität und was
die Lebenswissenschaft von ihr übrig lässt durch Rüdiger Lautmann
von Ethologie bis Hirnforschung anschaulich dargestellt. Sven
Lewandowski schreibt, dass die Sexualität aus der Umklammerung der
romantischen Liebe, in der heutigen Zeit, sich gelöst hat. Die
funktionale Differenzierungsform der modernen Gesellschaft macht es
möglich, dass Umstellung der Sexualität der Gesellschaft auf einen
Primat sexueller Lust stattfindet. Daniela Klinke kommentiert die
Skizze des Sexualregimes und lässt dabei keine kritischen Themen,
wie z.B. Beschneidung, Prostitution, Pornohändlerringe,
Homosexualität und Pädophilie aus. Überlegungen zur Form moderner
Sexualität beschreibt Peter Fuchs. Gesellschaftsweit werden
Kommunikationsstörungen im Blick auf Sexualität abgebaut,
allerdings nicht in Bereichen, wo noch ein fundamentalistisches
Weltbild vorherrscht.
Das zweite Kapitel, Soziosexueller Wandel, ist in vier Abschnitten
unterteilt. Der erste zeigt den Strukturwandel der Sexualität im
Zusammenhang mit der Soziologie. Interessant ist die Thematik der
neosexuellen Revolution. Der zweite, geschrieben von Franz X. Eder,
sagt aus, dass sich das enge Band zwischen Fortpflanzung und
Sexualität im 20.Jahrhundert immer mehr aufgelöst hat und durch die
Einführung von billigen Verhütungsmitteln beschleunigt wird.
Sophinette Becker begreift in ihren Abschnitt die Sexualität als
»exquisites Phänomen der Differenz«. Im Ausblick stellt sie fest,
dass die symbolische Ordnung mit ihrem Eckpfeilern,
Geschlechtsdifferenz und Generationsdifferenz, in Auflösung ist. In
seinen Abschnitt zeigt Gunter Runkel die Entwicklung und Zukunft
der Sexualität und Liebe.
Das dritte Kapitel, Erscheinungsformen des Sexuellen, enthält
sieben Abschnitte, die sich mit den vielen Formen der Sexualität
befassen. Karl Lenz untersucht die Interaktion von Paaren. Renate-
Berenike Schmidt arbeitet in ihren Abschnitt unbequeme Themen wie
z.B. sexuelle Verwahrlosung per Internet aus. Anhand von Beispielen
zeigt Hannelore Bublitz die Sexualität als verborgene Spur. Sabine
Grenz kommentiert, in ihrem Abschnitt Geld und die Natürlichkeit
der Sexualität, die Bedeutungsvielfalt des Geldes in der
Prostitution. Michael Schetsche stellt die Frage: »ist das Internet
das Ende der Pornografie?« Er untersucht dieses anhand von
Fallstudien. Svenja Flaßpöhler beschreibt die die performatierte
Kraft des pornografischen Films. Bei Thorsten Benkel wird
dargestellt, dass Voyeurismus immer schon eine Begleiterscheinung
von vielfältigen Varianten sexueller Interaktionsformen ist.
Die vollständigen und übersichtlichen Literaturverzeichnisse nach
jedem Abschnitt lassen bei Interesse schnell passende Themen und
Begriffe zur Vertiefung des jeweiligen gelesenen Abschnittes
finden.
Mit diesem Werk wird endlich auch in der Soziologie der
Gegenstandsbereich der Sexualität angenommen und es wird erstmalig
die ganze Bandbreite der sexuellen Varianten in der Soziologie
veröffentlicht und zusammengefasst. Das Buch ist nicht nur für
Soziologen interessant, sondern auch für Psychologen und
Psychotherapeuten.
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