Rezension zu Sucht und Trauma
Nervenheilkunde September 2009
Rezension von Prof. Dr. Ulrich Sachsse
»Grundlagen und Ansätze einer psychodynamisch-integrativen
Behandlung« ist der Untertitel des Buches von Dieter Kunzkes »Sucht
und Trauma«. Dieser Untertitel ist genau richtig. Er
charakterisiert den Inhalt dieses Buches präzise.
Ich selbst bin Schüler von Franz Heigl und war dabei, als
Heigl-Evers, Heigl, Schulze-Dierbach und andere in den 1980er
Jahren die psychoanalytische Theorie und Therapie auf
Suchterkrankungen anwandten. Theorie und Therapie mussten dazu
modifiziert und fortentwickelt werden. Heigl-Evers und Heigl haben
stets vertreten, dass die Theorieentwicklung im Dienste der
Patientenbehandlung zu stehen hat. Wenn eine Theorie ein
psychopathologisches Phänomen oder eine problematische Entwicklung
psychodynamisch nicht schlüssig erklären kann, muss sie
weiterentwickelt werden. Für beide stand psychoanalytische Therapie
stets unter dem Primat des Nutzens für Patienten. Ihnen und ihren
Mitarbeitern war es vorrangig wichtig, mit der psychoanalytischen
Theorie und Therapie immer mehr Gruppen von Patienten erreichen zu
können und immer mehr Problempatienten von dieser Therapie
profitieren zu lassen. Genau in der Tradition dieses Denkens steht
dieses Buch. Es beinhaltet nach meiner Kenntnis den aktuellsten
Wissensstand zum psychodynamischen Verständnis von
Suchtkrankheiten.
Gleichzeitig wird verdeutlicht, wo psychodynamische Modell an ihre
Grenzen kommen. Sucht ist ohne die genetische und neurobiologische
Perspektive heute nicht mehr diskutierbar. Das gleiche gilt für das
Feld Trauma. Das Buch ist insofern undogmatisch integrativ, als es
die neurobiologische Perspektive kontinuierlich berücksichtigt und
gerade auch in die Therapie konsequent einbezieht. Nachdem der
aktuelle Wissenstand zu den Komplexen ›Sucht und Suchttherapie‹
sowie ›Trauma und Traumatherapie‹ zunächst separat dargestellt
wird, ist das Buch ab Kapitel 9 einer Synopsis und Synthese dieser
beiden Entitäten gewidmet. In die »speziellen Interventionsformen«
des Therapiekapitels sind auch verhaltenstherapeutische Ergebnisse
etwa aus der Dialektisch-Behavioralen Therapie DBT einbezogen. Der
Traumasynthese mit der Methode des EMDR wird der gebührende Raum
eingeräumt. Hier wird die psychodynamische Behandlungsperspektive
natürlich kapitelweise auch verlassen, denn die psychodynamischen
Verfahren haben keine wirksame Desensibilisierungsmethodik
entwickelt. An dieser Stelle wird die Verhaltenstherapie zur
Behandlung unverzichtbar. Die abschließenden Kapitel 11 bis 13 sind
wieder der psychoanalytisch-integrativen Suchttherapie im
Einzelsetting und in der Gruppe gewidmet.
Dieses Buch ist die überzeugendste Darstellung einer
psychoanalytisch-integrativen Therapie für suchtkranke
Traumatisierte, die ich kenne. Wer als tiefenpsychologisch-fundiert
oder psychoanalytisch sozialisierter Psychotherapeut mit dieser
Klientel auf dem Boden seiner vertrauten theoretischen Fundierung
erfolgreich arbeiten will, ohne die aktuelle genetische,
neurobiologische und verhaltenstherapeutische Diskussion
auszublenden, wird um dieses Buch nicht umhin kommen.