Rezension zu Körperorientierte Diagnostik und Psychotherapie bei Essstörungen (PDF-E-Book)
Konzentrative Bewegungstherapie 40-2009
Rezension von Anemone Carl
Bei komplexen Erkrankungen wie den Essstörungen ist eine gute
Diagnostik wesentlich, die nach heutigem Wissensstand unbedingt die
körpertherapeutische Sichtweise einbeziehen sollte. Dabei nutzen
die verschiedenen körperorientierten Therapien zum Teil
unterschiedliche diagnostische Möglichkeiten. In dem 2008
erschienenen Sammelband finden sich hierzu zahlreiche
Informationen, aber nicht nur das!
Bereits das Einführungskapitel liefert eine kurze und prägnante
Einführung in die Krankheitsbilder Anorexie und Bulimie, in dem
sowohl auf die somatischen wie auf die psychodynamischen Aspekte
eingegangen wird. Was hier, wie in allen übrigen Beiträgen,
allerdings fehlt, ist eine Berücksichtigung der Adipositas; eine
Entscheidung der Herausgeber, die leider nicht kommentiert
wird.
Es folgen mehrere Beiträge, die sich mit dem Thema »Körperbild«
befassen. Joraschky und Pöhimann widmen sich diesem Thema unter
psychoanalytischen Gesichtspunkten. Wichtig erscheint hier
besonders ihre Differenzierung der Begriffe ›Körper-Schema‹,
›Körperbild‹ und ›Körper-Selbst‹, deren Gebrauch in der Literatur
oft verwirrend ist.
Körperbildstörungen sind Thema mehrerer Beiträge; besonders
interessant ist hier der Beitrag von Benninghoven, der Körperbilder
essgestörter Patientinnen mit denen ihrer Väter vergleicht. Dabei
werden empirische Untersuchungen referiert, die vermuten lassen,
dass sich der Einfluss von Körperwahrnehmungsstörungen und
Körperunzufriedenheit auch seitens der Väter auf die Patientinnen
auswirkt.
Um Körperbilder empirisch zu erfassen, bedarf es spezieller
Selbsteinschätzungsinstrumente. Diesem Thema widmet sich das Team
um Joraschky in einem eigenen Kapitel und stellt unter anderem den
Dresdner Körperbildfragebogen vor.
Neben der Darstellung theoretischer Konzepte und empirischer
Untersuchungsergebnisse finden sich in dem Buch aber auch mehrere
Kapitel von Vertretern verschiedener körpertherapeutischer
Richtungen, zum Beispiel der Tanz- und Bewegungstherapie, der
Konzentrativen Bewegungstherapie, der Funktionellen
Entspannungstherapie und der analytischen Körperpsychotherapie.
Die Ärztin und Tanztherapeutin Hedda Lausberg geht dem Zusammenhang
zwischen Bewegungsverhalten und Körperbildstörungen nach und macht
z.B. deutlich, wie ein sogenannter »gebundener Bewegungsfluss« oder
»isolierte Bewegung« bei Essgestörten eine starke Kontrolle des
Körpers ermöglichen und so das anderweitige Kontrollverhalten im
Hinblick auf den eigenen Körper ergänzen. Sie zeigt dann jedoch
auch, wie in der Tanztherapie die im Repertoire des Patienten
fehlenden Bewegungsqualitäten durch verschiedene therapeutische
Interventionen gefördert werden können.
Birgit Kluck-Puttendörfer zeigt in ihrem Beitrag über Diagnostik
und Körpertherapie auf der Grundlage der KBT, das diagnostische
Vorgehen sehr praxisnah am Beispiel einer anorektischen und einer
bulimischen Patientin. Besonders interessant ist ihre Schilderung
der speziellen Diagnostik auf der Körperbildebene mit der KBT und
die sich daraus ergebenden therapeutischen Schwerpunkte, die
ebenfalls anhand einer Fallschilderung dargestellt werden. Mit
einigen Abbildungen wird sichtbar, welche Veränderungen hier
eingeleitet werden können.
Rudolf Maaser vertritt in seinem Beitrag die Analytische
Körperpsychotherapie. Er orientiert sich an George Downing und der
modernen Säuglingsforschung, und stellt die Kontakt- und
Beziehungsstörungen von Anorexiepatientinnen in Zusammenhang mit
deren ersten präverbalen Interaktionserfahrungen dar, die dann zu
einem Fehlen eines autonomen Selbstbildes führen. Darauf aufbauend,
entwickelte Maaser einen Therapieansatz, der exemplarisch mit
mehreren Fallbeispielen und Abbildungen dargestellt wird.
Auch Angela von Arnim beschreibt eine Körperbild-Behandlung der
Anorexie, und zwar aus Sicht der Funktionellen
Entspannungstherapie. Ihre Schilderung des
Körperbild-Skulptur-Tests als ein projektives Verfahren, ist eine
weitere Ergänzung der diagnostischen Untersuchungsinstrumente, die
in diesem Buch erwähnt werden. Im weiteren Verlauf kommt jedoch
auch hier die praktische Arbeit der FE am gestörten Körperbild und
Bewegungsverhalten zur Sprache und zwar wiederum über eine
interessante Falldarstellung, ergänzt durch eindrucksvolle
Zeichnungen der Patientin.
Insgesamt findet sich hier also eine reiche Auswahl theoretischer
Informationen und praktischer Darstellungen, ein Buch, das nicht
nur einmal gelesen und dann weggestellt wird, sondern immer wieder
zu Rate gezogen werden kann.