Rezension zu Psychodynamik von Organisationen
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Rezension von Prof. Dr. Karin Lackner
Die AutorInnen der 14 Texte dieses Sammelbandes gehen davon aus,
dass das Standardmodell des rationalen Akteurs, mit dem Ökonomen
menschliches Handeln zu erklären beanspruchen, weitgehend
psychologiefrei konstruiert ist und sich der Selbstreflexion
emotionaler Motivationsdynamiken entzieht (Klaus Gourgé, 343f). Zur
Ergründung und zum Verständnis dieser dem Bewusstsein nicht
unmittelbar zugänglichen Affektlagen wird eine psychanalytische
Ökonomie vorgeschlagen, die nach dem programmatisch verhängten
Kommunikationsverbot die eingetretene Sprachlosigkeit aufheben soll
(Klaus Gourgé, 348). Der Grundidee des Buches folgend - nämlich
aufzuzeigen, dass die neoklassische Rational-Choice-Ökonomie unser
Gesellschafts- und Wirtschaftssystem (Klaus Gourgé, 353ff)
zunehmend dominiert und unbewusste Aspekte des Lebens und Handelns
dadurch mehr und mehr ausgeblendet werden -, widmen sich die
einzelnen Beiträge den verborgenen Seiten des organisationalen
Lebens, der Welt der Bedürfnisse, der Wünsche, der Motive, der
Ängste, der Aggression, der Schuld, der Rache - um nur einige zu
nennen. So erscheint die Organisation ambivalent. Sie hat eine
öffentliche und eine verborgene unbewusste Seite (Dieter Ohlmeier,
101). Die einzelnen Beiträge in diesem Buch schildern aus
unterschiedlichen Perspektiven, wie diese unbewusste Motivdynamik
rationale Entscheidungsstrukturen und -logiken beeinflusst und
steuert.
Aufbau und Inhalt
Die Texte gliedern sich in vier thematische Schwerpunkte. Beginnend
mit einer Sozioanalyse, wo das emotionale Leben von Organisationen
beleuchtet wird, widmen sich die beiden nächsten Themenbereiche
konkreten organisationalen Handlungsfeldern, nämlich Führung,
Management und Organisationsberatung und fokussieren anhand von
Fallbeispielen die Macht von unbewussten Motiven als
handlungsleitende Variablen. Der letzte Themenbereich setzt sich
mit der gesellschaftlichen und ökonomischen »Großwetterlage«
auseinander, die quasi die unbewusst dynamischen Rahmenbedingungen
beschreibt, in denen Organisationen verankert sind.
Der erste Teil des Buches - so wie im Übrigen jeder einzelne
Beitrag auch - widmet sich in sieben Texten einer Sozioanalyse von
Organisation. Die Welt der Organisation, eingebettet in ein
wirtschaftsdominiertes gesellschaftliches Umfeld wird einer
schonungslosen Analyse unterzogen. Vor allem die Beiträge von
Yiannis Gabriel: »Das Unbehagen in Organisationen - zu einer
Theorie organisatorischen Miasmas«, Howard Stein:
»Organisatorischer Totalitarismus und Dissens« und Burkhard
Sievers: »›Es ist neu und muss gemacht werden!‹ Einige
sozioanalytischen Überlegungen zu Verrat und Zynismus bei
organisatorischen Veränderungen« zeichnen ein düsteres Bild von den
Organisationen des Heute: Vor dem Hintergrund eines als
theoretisches Konzept verstandenen Miasmas weisen laut Gabriel
Organisationen ein hohes Maß an Täuschungen, Toxizität und Leiden
auf. Er spricht von verschmutzten Räumen, in denen Menschen Leichen
oder Mörder (36) sind, von institutionellem Selbstmord (39). Stein
beschreibt einen organisatorischen Totalitarismus in einem extrem
konkurrenzbetonten Kapitalismus, geprägt von der Allmacht des
Profits (47). Zu den Machenschaften von Organisationen in einem
derartigen Ambiente zählt er die Verleugnung und das Ausüben von
Druck durch totalitäre Managementstile, die Unterdrückung und
Diskreditierung von Meinungen jener, die sich dem vorherrschenden
Mainstream entgegenstellen. Der Wille von Menschen werde gebrochen,
zunehmender Individualismus unterstütze die Neigung, sich bei
Misserfolg selbst die Schuld zu geben. Fatalismus, abgehobener
Unternehmergeist, manische Schnelllebigkeit (72) und
halsbrecherische Veränderungsgeschwindigkeit bestimmen das Klima am
Arbeitsplatz, wo bedingungslose Loyalität verlangt wird und ein
chronisch raues Klima herrscht.
Klaus Gourgé (367) beschreibt das »Dikatat der Schnelligkeit» (366)
nicht nur als Erscheinungsform veränderungswütiger Organisationen,
sondern als gesellschaftliches Phänomen. Die paradoxe
Gleichzeitigkeit von mehr Hektik und mehr Zeit schafft eine
zeitliche Leere, die mit Aktivitäten gefüllt werden will. Dieser
Aufgabe widmen sich institutionalisierte ökonomische Freizeit- und
Erlebnisangebote, die selbst wiederum dem Diktat einer
Rational-Choice-Ökonomie unterliegen, dem Einzelnen eine
individuelle Lösung ersparen oder gar in Form einer psychischen
Prämie ein Abwehrmodell zur Verfügung stellen.
Yiannis Gabriel, Howard F. Stein und Burkhard Sievers sind sich in
der Diagnose einig, dass die Szenarien von Organisationen durch die
Verherrlichung des Neuen und einer Neigung zur Selbstdarstellung
und Imagebildung bestimmt sind. Sievers benennt den Topos der
Moderne »Neophilie« (165). Für Organisationen bedeutet Neophilie,
sich Veränderungs- und Innovationszwängen auszuliefern. Er verweist
auf schlecht gemanagte organisatorische Veränderungen, unbedachte
Reformen von Autoritätsstrukturen und Rollenausstattungen. Die
Folge davon sind kollektive Gefühle wie Verrat und Verzweiflung,
Zynismus als Form der Abwehr und Rückzug. Für Stein (50) verlieren
die durch Downsizing, Outsourcing oder Re-ingeneering Maßnahmen -
laut Stein Hinterlassenschaften eines kulturellen Krieges gegen
jene, die als Bedrohung für ein Unternehmen erachtet werden -
Betroffenen nicht nur einen Job, sondern eine Welt. Menschliche
Lebewesen werden behandelt wie tote Objekte, Unpersonen, Dinge. Die
menschliche Existenz wird ausgelöscht. Für Gabriel (29) führt der
Terror am Arbeitsplatz durch die Objektivierung von Individuen zu
fatalistischen Anpassungstendenzen, durch die Spaltung von gutem
Management und bösen MitarbeiterInnen zu introjektiver
Identifikation mit dem Wertlosen. Es bleiben emotionale Narben des
Verrats, die Arbeitsatmosphäre ist mit Angst und Verlust vergiftet
(Stein, 71). Der Arbeitsplatz wird zum Gefängnis mit Bezahlung
(Stein, 53), eine bittere, leblose und abgestumpfte mentale
Landschaft. Mit der Verherrlichung alles Neuen geht eine radikale
Verunglimpfung der Vergangenheit einher (Gabriel 28). Die neue
Religion ist Erfolgsorientierung (Gabriel 32), MitarbeiterInnen
werden durch Ideologie an das Unternehmen gebunden (Stein, 58),
Abweichungen oder Verweise auf Werte der Vergangenheit werden
abgelehnt. Unliebsame oder widerständige MitarbeiterInnen werden
aus dem System entfernt. Gabriel spricht in diesem Zusammenhang von
Holocaust (32), er zitiert Stein, der von unternehmerischen und
ethnischen Säuberungen, von der Ausrottung unerwünschter Teile
spricht (32). Homogenisierung und Gruppenregression, eine über die
Komplexität triumphierende Simplizität sind weitere Indizien für
einen organisatorischen Faschismus (Stein, 61). Menschen werden
entindividualisiert. Das Kollektiv hat, so Ohlmeier (100), kein
Überich. So kann es gnadenlos gegenüber nicht ins kollektive Bild
passende Individuen sein. Durch den sozialen Tod, den Rufmord, die
emotionale Ausstoßung fühlen sich Individuen unfähig, minderwertig
und gescheitert. Folgt man Ohlmeiers Argumentation, so hat
Strukturbildung selbst unbewusste Motive und bindet unbewusste
Konflikte und Triebkräfte. Das geschaffene organisatorische Gefüge
ist selbst Ausdruck eines unbewussten Abwehrvorgangs, weil das
Irrationale nicht verhindert werden kann. In Organisationen ist
daher latentes aggressives Triebpotential gebunden, das die Angst
der MitarbeiterInnen in Schach zu halten weiß.
Burkhard Sievers widmet sich in seinem Beitrag »Es ist neu und muss
gemacht werden« dem kollektiven Gefühl des Verrats und der
Verzweiflung, das kaskadenartig vom Top Management an die
Mitarbeiter weitergegeben wird. Top Manager sind nicht bereit,
Erfahrungen des Chaos und der Verzweiflung in sich selbst und in
ihren Rollen zuzulassen. Sie erkennen ihre eigene Beschränktheit
und Machtlosigkeit im Umgang mit den Anforderungen der Umwelt nicht
an und projizieren daher Chaos und Verzweiflung in die Belegschaft.
Das Thema des Verrats wird in einem zweiten Beitrag von Burkhard
Sievers gemeinsam mit Rose Redding Mersky, »Die Ökonomie der
Vergeltung«, noch einmal aufgegriffen und im Kontext
menschheitsgeschichtlicher Entwicklung diskutiert. Rache, die
Auswirkungen auf andere hat, ist als Teil eines größeren sozialen
Dramas zu sehen, und kann nicht auf die innere Welt des Individuums
und seiner Psychodynamik reduziert werden. Einem
menschheitsgeschichtlichen Muster folgend ist Rache die Reaktion
auf eine schon geschehene Verletzung, eine Antwort auf
transgenitive Traumata. Rache dient dazu, die Illusion
aufrechtzuerhalten, dass der individuelle und kollektive Tod durch
den Tod der Anderen verhindert werden kann. Den Zusammenhang von
Ökonomie und Rache sieht Burkhard Sievers in dem Wunsch, den
anderen zu vernichten und damit zugleich das eigene verzweifelte
Verlangen nach Überleben und Unsterblichkeit zu befriedigen
(330).
Organisationen und die in ihr agierenden Rollenträger sind in
dieses Muster verstrickt und können die Organisation für ihr
persönliches »Geschäft mit der Rache« missbrauchen. In solchen
Fällen wird die psychische Ökonomie der Rache zu einer sozialen
(332).
Rolf Haubl nähert sich in dem Text „Tatort Krankenhaus:
Statuspassagen und symbolische Gewalt« der dunklen Seite der
Organisation aus einem archaischen Blickwinkel. An einem
Fallbeispiel beschreibt er die Muster von Übergangsritualen bei der
Integration einer neuen Mitarbeiterin. Die Unterwerfung unter
dieses Ritual ist an Verletzungen und Gewaltakte gekoppelt mit dem
Zweck, das neue Individuum dazu zu zwingen, die kulturellen Muster
des Denkens, Fühlens und Handelns der Organisation bedingungslos
anzuerkennen. Die InitiantInnen, noch innovativ und individuell,
verkörpern kulturelle Unordnung und Chaos, das abgewehrt werden
muss. Für die Betroffenen bedeutet ein solches Ritual nicht selten
eine Traumatisierung und Ich-Regression.
Solcherart Szenarien beschädigen laut Burkhard Sievers (168)
soziale Bindungen und Beziehungen. Der Verlust von Hoffnung wird
geleugnet und selbst Vertrauen wird engineert.
Diese Dynamik von einer rationalen ökonomischen Theorie und den
nicht zugelassenen Gefühlen und Motiven beschränkt sich nicht auf
innerorganisatorische Vorgänge, sondern ist in einen größeren
ökonomischen und gesellschaftlichen Kontext eingebettet. Diesem
Kontext widmet sich der vierte und letzte Teil des Buches:
»Psychoanalyse und Ökonomie«. In den beiden Beiträgen von Burkhard
Sievers und Rose Redding Mersky: »Die Ökonomie der Vergeltung« und
Klaus Gourgé: »Worüber man nicht schweigen kann, darüber sollte man
reden« wird noch einmal die Welt der Ökonomie und die Entwicklung
des Wirtschaftssystems unter die Lupe genommen. Schon in seinem
ersten Beitrag »Es ist neu und muss gemacht werden« sieht Burkhard
Sievers den Grund für die Entstehung solcher organisationalen
Spannungen unter anderem in der gegenwärtigen Entwicklung des
Kapitalismus, in dem die soziale, politische und ökonomische
Wirklichkeit auf Geld reduziert wird (181). Dass Geld zum Maß aller
Dinge geworden ist, zählt laut Burkhard Sievers zum
»Hauptverdienst« der Revolution der Finanzdienstleistungsindustrie.
Hinter der Vorstellung einer Shareholder-Value-Optimierung,
Wachstum und Profitmaximierung verbergen sich nicht nur Wünsche
nach Grandiosität und Größenwahn, sondern auch versteckte
Rachefantasien, die dann bei Fusionsvorhaben zu konkreten
Rachestrategien ausgearbeitet werden (Sievers und Mersky, 333). Die
Finanzindustrie hält einen Teufelskreis psychotischer Projektionen
und Introjektionen aufrecht, der eine gemeinsame Kollusion der
Abwehr psychotischer Ängste stützt (185). Dass diese im Verborgenen
eines kollektiv Unbewussten bleiben, hat möglicherweise mit der
Zukunftsorientierung von Konzernen zu tun, bei der alles Vergangene
abgespalten wird. Rache induzierende, transgenitive Traumata
bleiben unbemerkt.
Die einzelnen Beiträge in diesem Buch stellen hauptsächlich diese
unbewusste Seite der Organisation in den Vordergrund. Zumutungen
seitens der Organisation und im weiteren Sinn der Ökonomie an das
Individuum werden zum Teil sehr drastisch dargestellt, so dass man
zwischendurch geneigt ist, die rationale Ökonomie verteidigen oder
ihr wenigstens das eine oder andere Positive abgewinnen zu wollen.
Damit würde man sich jedoch, der Logik des Buches folgend, der
Bemühung eigener Abwehrmechanismen verdächtig machen.
Der letzte Beitrag versöhnt die mittlerweile möglicherweise
beunruhigten LeserInnen insofern, als der Autor Klaus Gourgé in
seinem Beitrag »Worüber man nicht schweigen kann, darüber sollte
man reden« unter anderem die Verschränkungen der beiden Welten des
Rationalen und des Unbewussten aufzeigt. Er spricht von einem
psychosozialen Arrangement zwischen psychischen Bedürfnissen nach
Entlastung, Angstreduktion und Konfliktlösung und den dazu
komplementären Angeboten der Institutionen einer Gesellschaft,
diese Affekte zu kontrollieren und zu sublimieren (365). »Die
Institutionen der Arbeitswelt bieten den ›Akteuren‹ neben einer
Rolle auch zugleich eine Bühne, auf der jeder neben seiner
bewussten Selbstdarstellung auch seine unbewussten biographischen
Leitmotive oder Dramen in Szene setzen und ›ausagieren‹ kann«
(364). Wurde die Bewältigung von Angst vor dem Tod einst durch
Institutionen wie Kirche und Religion gewährleistet, so übernehmen
heute zunehmend säkulare Institutionen diese Aufgabe (364).
Nach den Schilderungen dieser organisationalen Szenarien wird auch
bis dato ungläubigen LeserInnen klar, dass dererlei Zumutungen
nicht spurlos an den betroffenen Personen vorübergehen und dass
sich hinter den Kulissen einer ökonomisch rationalen
Organisationsvorstellung emotionale und affektive Dramen abspielen
müssen.
Die Beiträge von Rose Redding Mersky: »Lost in Transition - Eine
psychoanalytische Untersuchung zur Objektbindung in heutigen
postmodernen Organisationen« und Susan Long: »Systeme unbewusster
Vereinbarungen: Schatten durch die Zeit« im ersten Teil und die im
zweiten und dritten Teil des Buches diskutierten Fallgeschichten
vermitteln Erscheinungsformen dieser dunklen Seite der
Organisation. Die Autorinnen sehen eine zunehmende Bedeutung
psychoanalytischen Denkens und psychoanalytischer Theoriebildung
für Management und Beratung.
Mit den beiden Beiträge des zweiten Teils des Buches, das unter dem
Titel »Führung und Management« steht, geben Rolf Haubl
(»Risikofaktoren des Machtgebrauchs von Leitungskräften«) und
Thomas N. Gilmore (»Zur Psychodynamik von Führungswechseln«) den
LeserInnen einen Einblick hinter die Kulissen von
Führungsmachenschaften. Haubl seziert die innerpsychischen
Veränderungen einer Person bei dem Wechsel in eine Führungsposition
und stellt den Aspekt der Führungshemmung dabei in den Vordergrund.
Er diagnostiziert bei einer Hemmung des Machtgebrauchs Vermeidung
von Aggressionen, Nähe und Distanzverschiebungen, soziale
Isolierung und Illusionsbildungen, wobei die komplementären
Reaktionen der MitarbeiterInnen diese Emotionen unterstützen. Die
Illusion der Unabhängigkeit führt zu Immunisierung gegenüber
Empathie und Kritik, MitarbeiterInnen werden instrumentalisiert.
Die Illusion der Unentbehrlichkeit bestätigen narzisstische Wünsche
und verschärfen Kontrollbedürfnisse. Die Illusion persönlicher
Überlegenheit erlaubt es dem Akteur unkontrollierbare Risiken
einzugehen. Weil aber nicht versagt werden darf, werden Risiken
nicht mehr überprüft. Aktionismus führt zur Vertreibung von
Ohnmachtsgefühlen.
Gilmore widmet sich anhand von zwei Fallbeispielen den
Übergangssituationen bei Führungswechseln und den dadurch
entstehenden Zwischenräumen: Einfallstore für Gefühle des
Verlustes, des Bedauerns, der Erwartungen, der Angst und der
Hoffnung. Zu den Verhaltensantworten auf diese Gefühle zählt er
manisches Verleugnen, Rückzug und restaurative Nostalgie als
Abwehrmechanismus. Die zunehmende Geschwindigkeit, mit der
Führungswechsel vollzogen werden, verschärft die Problematik
insofern, als Beziehungen zur neuen Führungskraft nur oberflächlich
gestaltet werden, um sich vor zukünftigen Verlusterfahrungen zu
schützen.
Der dritte Teil des Buches widmet sich der Psychoanalytischen
Organisationsberatung.
Der Beitrag von Heike Westenberger-Breuer: »Psychoanalyse ohne
Couch. Einige Überlegungen zu methodischen und begrifflichen
Aspekten bei der Anwendung psychoanalytischer Erkenntnisse in der
Organisationsberatung« ist ein Plädoyer für die Berücksichtigung
systemischer Zusammenhänge in der Beratung. Entlang eines
Fallbeispiel wird deutlich gemacht, dass in jedem Fall die
Herausarbeitung und Betrachtung des jeweiligen Kontextes bzw. der
systemischen Zusammenhänge notwendig ist, in denen
psychoanalytische Interpretationen vorgenommen und vermittelt
werden.
Der Beitrag von James Kranz und Thomas Gilmore: »Projektive
Identifizierung in der Organisationsberatung« richtet sich an
OrganisationsberaterInnen und empfiehlt, die nicht sichtbaren,
impliziten und nicht bewussten Anteile im Klientensystem zu
erkennen, zu verstehen und in Interventionen umzusetzen. Anhand von
drei Fallbeispielen werden projektive Identifizierungen aufgedeckt
und Interventionsmöglichkeiten herausgearbeitet. Dabei dienen die
im Beratersystem auftretenden Irritationen als Hinweise für
unbewusste Dynamiken im Klientensystem. Die Autoren gehen davon
aus, dass Informationen aus dem Klientensystem häufig verzerrt und
durch implizite Kräfte unterwandert werden, die dem System selbst
nicht bewusst sind.
Ähnliche Zusammenhänge zwischen den Gefühlen und dem Erleben der
BeraterInnen in einem Beratungsprozess und tiefer liegenden
Konflikten im Klientensystem beschreiben Veronika Grüneisen und
Renate Jorkowski in ihrem Beitrag: »Wie Gefühle einen Konflikt
verschieben können. Erkenntnisprozesse psychodynamisch-systemischer
Organisationsberatung« auf. An einem Fallbeispiel zeigen sie auf,
wie die Harmoniekultur eines Unternehmens die funktionalen
Beziehungen verschleiert und sich diese Dynamik im Beratersystem
widerspiegelt. Die Dynamik des Konfliktes innerhalb des
Beratersystems erlaubte ein vertiefendes Verständnis in dem
geschilderten Fall.
Fazit
Die Botschaft des Buches ist, darüber sind sich die einzelnen
Autoren einig, die Wiederherstellung der Kommunikations- und
Reflexionsfähigkeit, die Aufhebung des Reflexionsverbotes, das
Ansprechen von Tabus, Wege aus der Sprachlosigkeit mit Hilfe einer
psychoanalytischen Ökonomie zu finden. In der Welt der Wissenschaft
gilt es, die wissenschaftliche Ökonomie wieder an die
ethisch-praktischen Fragen der Zeit anzukoppeln. Klaus Gourgé (352)
sieht in der Aufhebung des theoretischen Refelxionsverbotes einen
ersten Schritt zu einer anderen Ökonomie. Wenn die
Rational-Choice-Ökonomie davon ausgeht, dass Menschen wissen, was
sie wollen und ihre Präferenzen rational und widerspruchsfrei
ordnen können, so fehlt der Theorie jener Anteil der selben
Menschen, die zwar eine Vorstellung davon haben, was sie wollen,
dieses Wissen über sich selbst sich jedoch verzerrt, unvollständig
und störanfällig erweist, da es, von Emotionen aller Art gefärbt,
unbewusst motiviert ist.
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