Rezension zu Der 11. September
Österreichischer Rundfunk ORF-Ö1 - Dimensionen
Rezension von Ulrike Schmitzer
Sammelrezension:
Auchter: »Der 11. September« ISBN 3-89806-247-3
Volkan: »Blindes Vertrauen« ISBN 3-89806-291-0
Wirth: »Narzissmus und Macht« ISBN 3-89806-044-6
(deMause, »Das emotionale Leben der Nationen«, Drava Verlag 2002,
Lipowatz, »Politik der Psyche«, Turia und Kant)
Warum Terror?
Narzissmus und Gewalt
»Gerade die Betonung des Gebotes: Du sollst nicht töten, macht uns
sicher, daß wir von einer unendlich langen Generationsreihe von
Mördern abstammen, denen die Mordlust, wie vielleicht noch uns
selbst, im Blute lag.« Sigmund Freud in: Das Unbehagen in der
Kultur.
Freud schrieb diese Zeilen in seinem Beitrag »Zeitgemäßes über
Krieg und Tod». Er hat zwei Schriften verfasst, in denen es
dezidiert um Krieg ging. Die zweite ist ein Brief an den Physiker
Albert Einstein mit dem Titel »Warum Krieg?». Der Völkerbund hatte
diesen Gedankenaustausch über Krieg angeregt. Der Briefwechsel
erschien 1933 – als Hitler in Deutschland die Macht ergriff.
Kriege und politische Prozesse lassen sich zum Teil
psychoanalytisch erklären.
Todestrieb?
Freud hatte ab 1919 in der Psychoanalyse die Theorie des
Todestriebs eingeführt, die Tendenz des Lebendigen zur
Selbstauflösung. Die Aggression wird von Freud als Ausdruck des
Todestriebs gesehen- bis heute ein umstrittenes Konzept.
Die Selbstzerstörung wird bei Freud zur Zerstörung nach außen, zur
Destruktion. Vor kurzem brachte der Psychoanalytiker Otto Kernberg
die angeborene Tendenz zur Selbstzerstörung mit Terrorismus in
Verbindung – als eine soziale Manifestation des Todestriebs.
Krieg als Abwehrfunktion
Krieg wird heute vor allem als Abwehrfunktion gesehen, wie der
Psychologe und Psychoanalytiker Hans-Jürgen Wirth weiß. »Man kann
den 11. September als eine große narzisstische Kränkung verstehen.
Sie wurde so verarbeitet, dass man in den Krieg gegen den Irak zog
und anderen Traumata zufügte, die man selbst erleiden musste. Eine
Abwehr der Kränkung durch Aktivität, durch Wendung der Aggression
nach außen.»
Schlüsselwort Narzissmus
Wirth spricht damit eines der Schlüsselworte der politischen Lesart
Freuds an: Narzissmus.
Das Selbstwertgefühl spielt nicht nur in einem Individuum eine
Rolle, sondern auch in größeren Gruppen. Wenn das nationale
Selbstbewusstsein narzisstisch gekränkt wurde, hilft nur noch der
Kampf, um sich damit zu beweisen, wir sind noch wer, sagt Wirth. Am
besten sucht man sich dafür die Bösen.
»Das ist ein Abwehrmechanismus der Spaltung, den wir von Individuen
kennen. Das Gute und das Böse wird getrennt, wobei das Gute nur bei
sich selber gesehen und das Böse auf die Außenfeinde projiziert
wird», sagt Wirth.
»In Wirklichkeit gibt es keine Ausrottung des Bösen. Die
psychologische – im strengeren Sinn die psychoanalytische –
Untersuchung zeigt vielmehr, daß das tiefste Wesen des Menschen in
Triebregungen besteht, die elementarer Natur sind, bei allen
Menschen gleichartig sind und auf die Befriedigung gewisser
ursprünglicher Bedürfnisse zielen. Diese Triebregungen sind an sich
weder gut noch böse.» Sigmund Freud in: »Zeitgemäßes über Krieg und
Tod»
In Krisensituationen versucht man, die eigene Identität und die der
Gruppe zu stärken. Und sei es, indem man Selbstmord begeht. »Ein
heiliger Krieger zu sein, der sich für die kollektive Sache
aufopfert», so Wirth, »bedeutet eine ungeheure Steigerung des
eigenen Narzissmus, dann kann man sich groß und von allen anerkannt
fühlen. Häufig kommen Jugendliche, die ein ganz schlechtes
Selbstwertgefühl haben, in diese Rolle.»
Der Psychoanalytiker Vamik Volkan erklärte die Selbstmordattentate
mit einer Regression, einer Verkindlichung der Personen, die eine
individuelle Identität gar nicht mehr denken. Das individuelle
Überleben ist unwichtig, solange die Gruppe in ihrer Moral gestärkt
wird.
»Selbstvergottung» der USA
Die USA funktioniert nach einem ähnlichen Muster. Das übersteigerte
narzisstische Selbstbild der Amerikaner – eine Art
»Selbstvergottung» so Wirth – führt zu einem unrealistischen
Weltbild.
Die amerikanische Gesellschaft könnte in die Versuchung geraten,
schreibt Wirth in seinem Buch »Der 11. September», das Trauma zum
fixen Bestandteil der nationalen Identität zu machen. Als
»gewähltes Trauma» würde es jede aggressive Handlung rechtfertigen,
um das narzisstische Gefühl der Unverwundbarkeit wieder
herzustellen.
Lloyd de Mause macht in seinem Buch »Das emotionale Leben der
Nationen» zudem darauf aufmerksam, dass Nationen emotionale Zyklen
durchlaufen. Sie geraten außer Kontrolle, wenn ihre Führer als
schwach betrachtet werden. Kriege werden aus emotionalen Gründen
begonnen.
Kultur als Bollwerk
Kultur ist für Freud das einzige Bollwerk gegen den Krieg. Es geht
um den Kampf des Eros – der Kraft, die gesellschaftliche Bindungen
sucht – mit dem Destruktionstrieb. Dieser Kampf steht auf des
Messer Schneide.