Rezension zu Schuldbewusstsein und reale Schuld
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Rezension von Juliane Jelinski
Das Buch »Schuldbewusstsein und reale Schuld« von Jürgen Körner und
Burkhard Müller stellt eine Zusammenstellung verschiedener vor
allem psychoanalytisch geprägte Beiträge zu dem Themenkomplex
Schuldgefühl, Schuld und der Umgang mit diesen bei den (scheinbar)
Schuldigen selbst – besonders bezogen auf Kinder und Jugendlichen –
aber auch bei Pädagogen/Innen und Psychotherapeuten/Innen dar.
Die Autoren haben eine Aufteilung in vier Kapiteln vorgenommen: In
Kapitel 1 wird aus psychoanalytischer Sicht das Verhältnis von
Schuld und Schuldgefühlen theoretisch dargestellt. Bei dem 2.
Kapitel handelt es sich um einen praxisnahen Anteil, der sowohl die
pädagogische Arbeit mit einem jungen Straftäter im
DENKZEIT-Training beschreibt als auch die therapeutische Arbeit mit
Sexualstraftäter. Im 3. Kapitel werden die Entwicklungschancen im
Kontext mit pädagogischen Institutionen bzgl. Schuldhaftigkeit
besprochen. Das letzte Kapitel setzt sich mit gesellschaftlichen
Themen bzgl. Schuld und Schuldgefühl auseinander, wie bspw. der
theologische und der philosophische Bezug dessen.
Besonders empfehlenswert ist meiner Meinung nach der Text »Schuld
und Schuldgefühl aus psychoanalytischer Sicht« von Mathias Hirsch.
Das Schuldgefühl wird seinerseits eingeteilt in einzelne
Kategorien: Basisschuldgefühl, Schuldgefühl aus Vitalität, das
Überlebenden-Schuldgefühl, Trennungsschuldgefühl und das
traumatische Schuldgefühl. Das letzte, wie ich finde, ist besonders
hervorzuheben. Bei diesem sogenannten traumatischen Schuldgefühl
handelt es sich um das objektiv ungerechtfertigte Schuldgefühl des
Opfers einer traumatischen Erfahrung – wie bspw. Betroffene
sexuellen Missbrauchs. Durch ein »Täterintrojekt«, saugt der/die
Betroffene die Schuld, die dem Täter gehören sollte, auf. Diesen
hohen Preis zahlt der/die Betroffene jedoch nur um nicht noch einen
höheren Preis zu zahlen: Und zwar wenn es sich beim Täter um eine
wichtige Bezugsperson handelt, wird durch diese Annehmen der Schuld
das Liebesobjekt als gutes Liebesobjekt erhalten. Ganz in dem
Sinne: Lieber hasse ich mich und gebe mir die Schuld, als zu
riskieren, dass ich eine geliebte Person verliere. Auch weist
Hirsch darauf hin, dass das Fühlen von Schuld zudem impliziert,
dass man sich in der traumatischen Situation nicht hilflos gefühlt
hat, sodass man etwas hätte ändern können. Die Kontrolle lag bei
einem selbst.
In einem weiteren Beitrag »Chancen und Grenzen der pädagogischen
Arbeit mit Jugendlichen, die schuldig geworden sind« von Rebecca
Friedmann und Silke Wolter wird anhand eines realen Fallbeispiels
des jungen Erwachsenen Markus, der sich aufgrund starker
Körperverletzung an einem Menschen schuldig gemacht hat, das
DENKZEIT-Training verständlich dargestellt. Durch diesen Beitrag
kann man die Schwierigkeiten bei der Arbeit mit jugendlichen
Straftätern sehr gut nachvollziehen. Man versteht Hintergründe und
Ursachenzusammenhänge. Dieser Text ist sehr lebensnah, sehr gut
nachvollziehbar und was mir sehr gefällt auch selbstkritisch
geschrieben. Zudem bietet er einen ersten guten Einblick in das
genannte Programm.
In den darauf folgenden Beiträgen des Buches werden aus
psychoanalytischer Sicht nach weiterführenden
Verstehensmöglichkeiten der Entstehungsbedingungen eines Falles wie
bei Markus diskutiert. Ebenfalls werden erste mögliche
Lösungsansätze betrachtet.
Die Untersuchung aus dem zweiten Kapitel »Reale Schuld – die Rolle
des impliziten Wissens in der therapeutischen Auseinandersetzung.
Aus einer Untersuchung an Sexualstraftätern« von Michael B.
Bruchholz, Franziska Lamott und Kathrin Mörtl hat mich besonders
schockiert und angeekelt. Anhand von realen Auszügen aus
therapeutischen Gruppengesprächen mit den Sexualstraftätern wird
eindrucksvoll dargestellt, dass diese Täter bei sich keine Schuld
sehen und dies sich nicht nur einreden, sondern auch gefühlsmäßig
davon überzeugt sind, dass die Schuld entweder das Opfer, die
Umwelt oder die Umstände tragen, aber niemals sie selber. Es wird
gezeigt, dass diese Menschen psychisch nicht weiterleben könnten,
wenn sie sich solch eine Schwere von Schuld eingestehen müssten. Es
wird die Frage diskutiert, ob diese Menschen in der Lage sind
Schuldgefühl zu empfinden.
In dem Beitrag »Schuld, Schuldgefühle und Ritalin« von Manfred
Gerspach zeigt der Autor den möglichen Zusammenhang von der
Diagnose ADHS und verdrängten Schuldgefühlen auf. Sein Ansatz
besteht darin, dass man anstatt der Beseitigung des Symptoms, den
Sinn des Symptoms verstehen sollte. Es wird in Frage gestellt, ob
die Ursache der sogenannten Diagnose ADHS wirklich eine
hirnphysiologische ist. Die Vergabe von Psychopharmaka wie das
bekannte Ritalin entlastet sowohl die betroffene Kinder, deren
Eltern und die gesamte Umwelt, da die pharmakologische Behandlung
zeigt, dass die Verantwortung nicht beim Kind, den Eltern oder dem
Umfeld zu suchen ist.
Auch in diesem Beitrag wird anhand eines Fallbeispiels gezeigt,
welche mögliche Entstehungsbedingungen vorhanden sein können und
dass ein gutes verlässliches Objekt das beste Medikament
darstellt.
Man benötigt als Leser Vorkenntnisse bzgl. psychoanalytischer
Grundbegriffe, um das Buch in seiner Ganzheit zu verstehen. An
manchen Stellen reichten meine Kenntnisse nicht aus, um zu folgen
zu können.
Das Thema Schuldbewusstsein und reale Schuld wird von vielen Seiten
beleuchtet. Dieses Buch regt auf jeden Fall zum Nachdenken an.
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