Rezension zu Heilpädagogik als Kulturwissenschaft

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Rezension von Katalin Karolyi

Zum Aufbau:
Die Publikation ist, nach dem einleitenden Vorwort, in drei Themenbereiche gegliedert. Der erste Teil umfasst das Gebiet der Ökonomisierung. Hier werden grundsätzlich einleitend zunächst die Grundzüge und Auswirkungen der Ökonomisierung im Hinblick auf die Menschen im Allgemeinen und später insbesondere auf die Auswirkungen in der Pflege und Hilfe für Menschen mit Behinderungen dargestellt.

Der zweite Themenkomplex befasst sich mit der Medizinisierung. Hier werden Auswirkungen, die durch die Ökonomisierung im medizinischen Bereich im Hinblick auf die Vorsorge und Verbesserung aufgezeigt.
Der letzte Abschnitt befasst sich mit der Heilpädagogik als Kulturwissenschaft. Die einzelnen Teilbereiche beinhalten jeweils fünf bis sechs Stellungnahmen und Ausführungen der einzelnen Autoren zu den einzelnen Themenkomplexen. Am Ende einer jeden Stellungnahme folgt ein detailliertes Literaturverzeichnis, das zum Weiterlesen und Vertiefen der jeweiligen Thematik einlädt.

Diese Publikation untersucht, wie Menschen mit Behinderungen im Wandel der Zeit von der Gesellschaft wahrgenommen werden, wie sich die Therapien geändert haben.

Der Beitrag von Autorin Patrizia Tolle bringt die heutige Situation sehr gut auf den Punkt: Die Ökonomisierung hat auch im Pflegebereich ihre Spuren hinterlassen; auch hier zählt das Prinzip der Wirtschaftlichkeit. Sowohl die allgemeine, als auch die häusliche Pflege unterliegen dem Wirtschaftlichkeitsgebot. Man darf jedoch nicht außer Acht lassen, dass die Leistungen gerade auch unter diesem Gesichtspunkt immer noch effektiv bleiben müssen. Die Leistung darf aber auch nicht außer Verhältnis zu den Kosten stehen. Wie jedoch kann man dies berechnen?
In Krankenhäusern wurde zur Berechnung ein Programm namens »Diagnosis Related Groups (DRG)« eingeführt. Dieses Programm berechnet bei einer vorliegenden Diagnose die Höhe der Kosten, die eine Behandlung in Anspruch nimmt (im Hinblick auf Personal, Räumlichkeiten, Medikamente etc.). Diese Summe wird der Einrichtung von der Pflegeversicherung ausgezahlt; unabhängig davon, ob die Behandlung wirklich so viel gekostet hat oder nicht. Da möglichst kein Verlust eingefahren werden soll, muss das Krankenhaus möglichst wirtschaftlich agieren, um so evtl. sogar unter den Pauschalbetrag zu kommen. Dabei muss nicht weiter ausgeführt werden, dass dies wohl zu Lasten der Patienten geschieht, die z.B. durch Personaleinsparungen so in immer kürzerer Zeit »abgearbeitet« werden. Das Personal hat nun einmal nicht mehr die Zeit, sich um jeden einzelnen Patienten so ausführlich zu kümmern. Dabei ist eine persönliche Bindung zwischen Personal und Patient, besonders im Hinblick auf ältere Menschen und Patienten mit Behinderungen, enorm wichtig, um deren Bedürfnisse zu verstehen.

Ein sehr gutes Beispiel hierfür liefert der Autor Christian Mürner ziemlich am Ende des Buches. Er stellt mehrere Schicksale von Menschen mit Behinderungen dar. U.a. eins eines jungen Mannes, der seit seinem fünften Lebensjahr nach einer Kinderkrankheit blind und taub wurde. Dieser junge Mann ließ nur noch seine Mutter an sich heran, die er anhand ihrer Kleidung ertastete. Bei anderen, u.a. auch bei seinem Arzt, bekam er, wenn sie sich ihm näherten, jedes Mal einen Tobsuchtsanfall, sodass ihn bald alle aufgaben. Ein Heilpädagoge nahm sich ihm jedoch an, in dem er in die Kleider der Mutter schlüpfte und so das Vertrauen des Jungen erlangte. So konnte er nach nur kurzer Zeit mit ihm arbeiten, und schon bald machte sein Patient Fortschritte.

Dieses, wohl extreme Beispiel zeigt, dass gerade im Hinblick auf Menschen mit Behinderungen meist ein erhöhtes Einfühlungsvermögen erforderlich ist. Dies erfordert jedoch oft sehr viel Zeit und ist mit der Einhaltung der Wirtschaftlichkeit wohl kaum vereinbar.

Diese und auch andere Stellungnahmen der Autoren verdeutlichen, wie die Ökonomisierung in den letzten Jahrzehnten auch nicht vor der Pflege Älterer oder Menschen mit Behinderungen Halt gemacht hat. Die Publikation stellt dabei in vielen Beiträgen (kritisch) dar, dass dies auch oft auf Kosten der Menschen geschieht.

Dadurch, dass sehr viele Autoren an dem Werk beteiligt sind, werden die Standpunkte von vielen Seiten dargestellt und auch mit eigenen Erfahrungen in den verschiedenen Bereichen aufgezeigt. Dadurch ist diese Lektüre sehr abwechslungsreich und stellt die Situation auch für fachfremde in ausreichender Fülle dar.

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