Rezension zu Tabuzonen der Frauen- und Männergesundheit

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Rezension von Tina Schmutterer

Im Zeitalter von potentiellen Nacktscannern und elektronischen Krankenversicherungskarten wird die Debatte um menschliche Tabuzonen so aktuell wie nie auch öffentlich diskutiert. Weshalb echauffieren sich so viele Menschen über diese Erscheinungen, die sie in ihrer Natürlichkeit, Einzigartigkeit und gegebenenfalls Unzulänglichkeit berühren. Unabhängig von etwaigem Datenmissbrauch könnte eine Ursache für diese Unruhe in einer Angst vermutet werden in eine Schublade gesteckt zu werden oder in Misskredit zu geraten. Beides erscheint aus sozialpolitischer und ethischer Sicht indiskutabel, weshalb es gilt derartige Entblößungen zu vermeiden.

Das vorliegende Buch soll diesem Mythos um die Tabuzone Mensch auf den Grund gehen und anhand wissenschaftlicher Studien Ansätze aufzeigen in welcher Ausprägung derartige tatsächlich in der Gesellschaft präsent sind. Dieses geschieht unter Zuhilfenahme dreier großer Themenkomplexe, namentlich derjenigen des Körperbildes und Körperfunktion bei Frauen und Männern, derjenigen von Tabus bei der Sexualität sowie Tabus im Rahmen von Emotion und Verhalten.

Beim Lesen stolpert man über zunächst unbekannte Begriffe wie dem der Klitoridektomie, um dann festzustellen, dass es sich um ein vertrautes, da geschichtsträchtiges Themengebiet, nämlich um das der Entfernung der Klitoris handelt. Dieses stellt danach ein Mittel der Wahl dar, das dazu dienen soll psychische Krankheiten die mit hysterischen Symptomen einhergehen zu heilen oder auch der Nymphomanie ein jähes Ende zu bereiten. Im Rahmen kosmetischer Genitalchirurgie lernt der Leser sodann, dass die sonst so unsichtbare und nicht gleichermaßen verfügbare weibliche sexuelle Erregung kontrollierbarer gemacht werden kann.

Daneben wird der Leser auf eher unbekanntes Terrain geführt wie das der Spielsucht bei Frauen oder das der Männer in der Opferrolle.

In einem Zeitalter aufkeimender metrosexueller Bestrebungen und Feminismus wird man mit Fragestellungen bezüglich männlichem Geschlechtsrollenstresses konfrontiert, der scheinbar in Aggressionen oder Substanzabusus gipfeln kann. Neben eher naheliegenden Erkenntnissen werden zudem trotz fehlender empirischer Befunde Vermutungen bezüglich der Fragestellung angestellt, ob Männer eine männliche Identifikationsfigur benötigen um sich selbst als Mann zu erkennen.

Einem wird bewusst, dass man bisher wohl zu unkritisch mit Aussagen in den Medien umgegangen ist, in Anbetracht der Tatsache, dass es einen Unterschied zwischen Erektionsbeeinträchtigungen und Erektionsstörungen mit Krankheitswert, die demnach behandlungsbedürftig sind, gibt. Als Anreiz zur Teilnahme an den Fragebögen wurden unter den Einsendern 100 bezahlte Jahreslose der »Aktion Mensch« verlost. Inwiefern diese Information nun dem sachlichen Inhalt zuträglich ist, bleibt dahin gestellt.

Entschädigt wird man jedenfalls durch die Einführung in spezielle Klassifikationssysteme wie die der »Internationalen Klassifikation psychischer Störungen ICD 10« oder die des »Diagnostisches und statistisches Manuals psychischer Störungen DSM- IV-TR«. Auch wenn diese nach Aussagen im Buch nur unzureichend der Komplexität menschlicher Geschlechtlichkeit und Sexualität und deren Differenzierung gerecht werden, so wird trotzdem immer wieder auf sie verwiesen.

Interessant zu wissen wäre inwiefern diese im Buch behandelten und oben kurz genannten Themenkomplexe gerade die Tabuzonen ausmachen. Gibt es Parameter die Ärzte einsetzen um diese in Erfahrung zu bringen? Welche Auswirkungen hat der restriktive Umgang der Patienten mit den Tabuzonen auf ihre individuelle Pathogenese und wie sollte die Gesellschaft gegebenenfalls darauf reagieren?

Trotz vieler möglicher Fragestellungen ist das vorliegende Werk sehr leserlich, inhaltlich gut strukturiert und vor allem mit umfangreichen fundierten Quellen, die auch ausländische Wissenschaftsjournale beinhalten, belegt. Durch Verweisungen auf Lehrbücher, wie das der Sexualmedizin, dient das Buch hervorragend auch als Leitfaden für Studenten die sich zunächst einen Überblick verschaffen und sodann gegebenenfalls genauer recherchieren wollen.

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