Rezension zu Nonverbale Interaktion in der Psychotherapie
...
Rezension von Peter Bolen
Mit großer Neugier bin ich an das Lesen des neu erschienenen
Tagungsbandes des 4. Wiener Symposiums »Psychoanalyse und Körper«
herangegangen, da diese Symposien doch einen wichtigen Teil der
Diskussion fokussieren, der zwischen der Körperpsychotherapie und
der Psychoanalyse stattfindet.
Wie oft in dem Buch angemerkt, gibt es natürlich heute nicht mehr
»die« Psychoanalyse. Neben der klassischen Triebtheorie, die
scheinbar mehr und mehr an Bedeutung verliert, gibt es heute die
Ichpsychologie von Anna Freud und Hartmann, die Selbstpsychologie
von H. Kohut, welche die frühen Primärbeziehungen und die sich
daraus ergebende narzisstische Selbst-Beziehung der Person in den
Blick nimmt, die Objektverhältnistheorien und Beziehungsanalysen
(Winnicott, Kernberg), die Säuglingsforschung (Stern, Dornes), die
Bindungstheorie von Bowlby, die neueren Modelle der
Intersubjektivität, Handlungsdialog / Enactment und der
Gegenübertragung.
Nun hat jede dieser Richtungen ihre eigene Sprache und ihre
Neologismen entwickelt. Teils aus der Notwendigkeit des
Neuentwurfes, teils aus dem Wunsch nach Abgrenzung und teils, wie
ich persönlich vermute, um dem eigenen Ansatz Bedeutung zu
verschaffen. Dies ist eine wesentliche Hürde, die sich beim Lesen
dieses Buches stellt. Ist es doch nicht nur für eingelesene
Psychoanalytiker, sondern auch für interessierte
Körperpsychotherapeuten gedacht. Da ich fast ein halbes Jahrzehnt
die Europäische Vereinigung der Körperpsychotherapeuten geleitet
habe, kann ich aus eigener Erfahrung sagen, dass nur ein kleiner
Teil der Körperpsychotherapeuten dem schwierigen Text folgen und
eher bald den Versuch wieder aufgeben wird. Eine Vereinfachung der
Sprache, ohne dass sie an Schärfe und Prägnanz verliert, ist für
den interdisziplinären Dialog einfach notwendig. Ich persönlich
schätze den Ansatz in der Gestalttherapie, der meinen
sprachlich-theoretischen Hintergrund darstellt: Die Wahrheit ist
einfach und explizit!
Vergleichen wir doch einmal aus eigener Erfahrung einen Vortrag
eines jungen Universitätsdozenten mit dem eines Nobelpreisträgers
und es wird verständlich was ich meine. Ein Satz der zwanzig
Prozent an Fremdwörtern enthält, davon die Hälfte an solchen, die
nur einem kleinen Kreis von Fachleuten bekannt ist (es gibt viele
solche Sätze in dem Buch), erfordert ein Höchstmaß an Motivation,
um gelesen zu werden.
Und gerade das würde ich mir wünschen, denn dieses Buch ist im
höchsten Maße lesenswert.
Beginnen wir mit den sogenannten Mikroanalysen: Mittels
Videotechnik inklusive slow motion, Tonwegschalten, Stoppen und
Wiederholen tauchen wir in uns bisher verborgene Welten der
Kommunikation ein. Wir lernen zu unterscheiden, dass es nonverbale
Ausdrucksformen gibt, die eine kommunikative Funktion besitzen und
solche, die kommunikationsmodulierend ist. Die Videomikroanalyse,
die George Downing eingeführt hat, ermöglicht eine systematische
Beobachtung und Forschung, die jenseits der Möglichkeit der eigenen
Praxis liegt.
Bemerkenswert ist die Beobachtung der mimisch affektive Reaktion
des Lächelns der interagierenden Personen einerseits als Form von
gemeinsamer Freude, andererseits als Funktion einer
Schadensbegrenzung. Diese Mikrosequenzen sind mit modernen
Messmethoden unterscheidbar (Bänninger – Huber). Borderline
Patienten neigen dazu, Doppelbotschaften zu vermitteln, dies kann
mit Hilfe von sogenannten PAMs (affektive Mikrosequenzen)
wissenschaftlich untermauert werden. Diese PAMs haben die Funktion
Störungen in der Beziehungsregulierung interaktiv
auszubalancieren.
George Downing führt interessante neue Konzepte ein – es geht um
eine Verschiebung von der kognitiven hin zur körperlichen Ebene. Es
werden auch neue Begriffe eingeführt: Affektmotorische Schemata,
Körperstrategien und körperliche Mikrostrategien. Inwieweit dies
einfach in die Praxis umzusetzen ist, wird von Peter Geissler
kritisch diskutiert.
Es stellt sich ihm im Laufe seines Artikels auch die interessante
Frage, was die analytische Körperpsychotherapie eigentlich ist?
Vielleicht zwei unterschiedliche Zugangsweisen, wie sich auch in
internen Diskussionen der AKP zeigt. Die im Rahmen einer
körperorientierten Therapie angeordneten Übungen werden diskutiert.
Es wird darauf hingewiesen, dass diese immer auch eine latente oder
manifeste Übertragungsbedeutung besitzen, deren Verstehen wichtig
ist. Es wird die Nähe der AKP zur offenen Form der Psychoanalyse
beschrieben, welche mit der Säuglingsforschung, der
Bindungsforschung, der Anthropologie, den Neurowissenschaften und
der Biologie kooperiert. Für mich interessant ist auch die
derzeitige Annäherung zwischen Psychoanalyse und Gestalttherapie
(siehe das Kapitel mit der Rezension des Buches Bocian und Stämmler
(Hg.) »Gestalttherapie und Psychoanalyse. Berührungspunkte –
Grenzen – Verknüpfungen« durch Peter Geissler in diesem Band).
Es werden sprachliche Brücken gebaut, damit die einzelnen Ansätze
sich untereinander verständigen können. Beispiele: Was die
Säuglingsforschung »Mikroprozesse« nennt, wird in der Gestalt »im
Moment zu Moment wahrnehmbare Prozesse an der Oberfläche« genannt.
Was Stern und Downing als »Videomikroanalyse« beschreiben, wird in
der Gestalttherapie »Fokussierung der Aufmerksamkeit« genannt, was
Stern »now moments« nennt, heißt in der Gestalt »Förderung
des Bewusstseins im Hier und Jetzt«. Im vorliegenden Buch wird
sogar die Übersetzung in die Sprache der Psychotherapieforschung
gegeben. Die beschriebenen Begriffe werden dort »prozessuales
Geschehen«, »Lenkung der Aufmerksamkeit« und »Förderung des
unmittelbaren Erlebens als eigener Wirkfaktor« genannt.
Bemerkenswert scheinen mir Peter Geisslers Überlegungen zu einer
erweiterten Selbstpsychologie. Er stellt Stolorows
Selbstdefinition, die er kritisch als Dichotomie betrachtet der
Definition Daniel Sterns gegenüber. Es handelt sich um ein Muster,
das nur anlässlich der Aktivitäten des Säuglings zum Vorschein
kommt. Wichtig ist hier die Betonung der Aktivitäten, die in das
Selbst integriert sind.
Aus meiner gestalttheoretischen Sicht halte ich folgende Definition
des Selbst und des Ich für sehr praktisch. Am Beispiel des Satzes
«Ich vertraue mir Selbst« gibt es ein Zentrum, dem vertraut wird
und ein aktives Ich, welches vertraut. Es handelt sich dabei nicht
um eine Dichotomie, sondern um verschiedene Bereiche derselben
Person. Einerseits das Zentrum, andererseits die Peripherie, die
den Kontakt herstellt und damit den aktiven Teil beschreibt. Ich
bin mir dabei der neuerlichen Sprachverwirrung bewusst, da der
Begriff des Ich in der Gestalttherapie in einer anderen Bedeutung
als in der Freudschen Psychoanalyse verwendet wird.
Wie wir gemeinsam, also Psychoanalytiker, Gestalttherapeuten,
Körperpsychotherapeuten dieses babylonische Sprachgewirr gemeinsam
lösen können oder vielleicht überhaupt lösen wollen, ist für mich
noch nicht sichtbar.
Gut aufnehmen lassen sich die bekannten Begriffe von Daniel Stern
über die fünf Domänen des Selbsterlebens (auftauchendes
Selbsterleben ab der Geburt oder schon vorgeburtlich- Kern –
Selbsterleben ab dem 3. Lebensmonat, intersubjektives Selbsterleben
ab dem 7. Lebensmonat, das verbale Selbsterleben ab dem 15.
Lebensmonat und das narrative Selbsterleben ab dem 3. Lebensjahr.)
Leider werden wiederum neue Begriffe
(Neologismen) eingeführt und wir müssen lernen, sie bisher
gebräuchlichen Begriffen gegenüberzustellen. Das Wichtigste
erscheint mir die Betonung von Stern, dass diese Domänen während
des ganzen Lebens fortbestehen, keine dieser Domänen bildet sich
zurück. Sie treten je nach dem Kontext als Figur, die sich vom
Hintergrund abhebt, auf.
Anhand dieses Beispieles meint Peter Geißler, das der Begriff der
Regression als ein Zurückgehen auf der Zeitachse an Bedeutung
verliert. Nun ist es richtig, wie im Buch öfters erwähnt wird, dass
der Regressionsbegriff im Laufe der Psychotherapieentwicklung
inflationär verwendet wurde. Damit hat sicherlich aber schon Freud
begonnen, als er nicht nur den topischen (Traum), den zeitlichen
(in Bezug auf die Phasen der psychosexuellen Entwicklung) und den
formalen (Umstrukturierung von einer reifen zu einer weniger reifen
Funktionsweise), sondern später auch noch den libidinösen, den
phylogenetischen und auch noch als Kuriosum den bioenergetischen
Aspekt der Regression beschrieb.
Wollen wir doch die Kirche im Dorf lassen: Sehen wir doch in der
Regression einen Zustand, in den Erinnerungen an frühere
Traumatisierungen auftauchen. Diese Erinnerungen ermöglichen es die
Traumata im therapeutischen Containment neu zu be- bzw. zu
verarbeiten. Im Sinne der Gleichzeitigkeit des Eintauchens in das
Früher und dem Bewusstsein, sich im Kontakt mit dem Therapeuten im
Hier und Jetzt zu befinden. Dies macht erst eine korrigierende
emotionale Erfahrung möglich. Das es sich auch um ein Zurückgehen
auf einer Zeitachse handelt, ersehen wir zum Beispiel daraus, wenn
wir den Patienten im Augenblick des Erinnerns fragen, wie alt er
sich gerade fühlt.
Im Kapitel von Ulrich Streeck finde ich folgende Passagen
interessant, die ich stichwortartig wiedergeben möchte:
- Inszenierungen bzw. »enactments« sind ein gemeinsames Werk
zwischen Patient und Therapeut
- Das kindliche Verhalten ist bis zum siebenten Lebensjahr eng an
motorisches Verhalten gebunden, in »sensormotorischen Schemata«
organisiert (Piaget, Busch). Daher sind Erfahrungen, die in den
ersten Lebensjahren gründen, handlungs- und körpernäher als
Erfahrungen die später gemacht wurden. Es wird der Begriff des
»Mikroagierens« verwendet (Tournier) welches kaum bemerkt wird,
aber eine weitreichende Wirkung auf das Gegenüber hat.
- Projektive Identifizierungen sind dialogische Hervorbringungen
und keine Mechanismen, deren Wirkung sich ausschließlich aus der
seelischen Verfassung des Patienten erklären lassen.
- Eine Unterscheidung zwischen Handeln und Sprechen ist nicht
plausibel. Das Handeln geht dem Denken voraus. Freud meinte dagegen
am Beispiel des Probehandelns, das Denken gehe dem Handeln
voraus.
- Wenn traumatische Beziehungsvorerfahrungen in körperlich
prozeduralen und nicht im sprachlich organisiertem Gedächtnis
gespeichert sind, können sie nicht bewusst erinnert und in Worten
ausgedrückt werden. Sie werden hingegen in Interaktionen
miteinander realisiert.
Cord Beneke nennt innere Abbilder für Beziehungserfahrungen
Repräsentanzen. In der Objektbeziehungstheorie werden sie Objekt-
und Selbstrepräsentanzen genannt, in der Bindungsforschung
Bindungsrepräsentanzen, in der Verhaltenstherapie wie etwa bei
Grawe, Schemata.
Es werden als Basis oder Primäraffekte Angst, Ärger, Trauer,
Freude, Ekel und Überraschung (Ekman) aber auch Ekel (Krause)
genannt. Mir fehlt hier der Affekt Sehnsucht und das Schmelzen im
Sinne orgastischer Hingabe, wie Wilhelm Reich es immer wieder
beschrieben hat.
Beneke untersuchte zwei Gruppen von Panikpatientinnen. Die Einen
zeigten einen regen mimischen Affektausdruck, besonders viel
Freudemimik. Wenn der Therapeut sich in dieses Affektverhalten
verwickeln ließ, korrelierte dies negativ mit dem
Behandlungserfolg. Die andere Gruppe zeigte karge mimische
affektmotorische Ausdrücke. Wenn der Therapeut darauf mit einem
Lächeln antwortete, korrelierte dies mit einem positiven
Behandlungserfolg. Erklärt wird dies damit, dass das Lächeln in der
ersten Gruppe eine Abwehr bzw. eine Affektvermeidung war. Das
heißt, es ist bei unserer mimischen Antwort wesentlich zu
verstehen, worauf wir gerade reagieren. Stets gleichbleibendes
grundsätzlich positiv bejahendes und bestätigendes empathisches
Lächeln innerhalb einer Gesprächpsychotherapie wäre aufgrund dieser
Erkenntnisse zu überdenken.
Elisabeth Fivaz-Depeursinge erinnert uns daran, dass viele Forscher
darin übereinstimmen, dass 90% der Informationen, die Menschen
innerhalb von Beziehungen austauschen, den Weg impliziter
Kommunikation gehen. Der Anteil der verbalen Kommunikation beträgt
nur 10 Prozent! Ranefeld zitiert eine US Studie, die betont, dass
das, was wirkt zu 50 % die Körpersprache, zu 40 % die Stimme und zu
7 % der Wortinhalt ist.
Dies bestätigt unsere Erfahrung, wie wichtig es ist, innerhalb der
Kommunikation mit bzw. an der nonverbalen Kommunikation arbeiten zu
können.
Peter Geißlers praxeologische Folgerungen der Mikroperspektive für
die Makroperspektive:
Wir müssen uns bewusst sein, dass es in der Interaktion einerseits
um die Vermittlung von Botschaften geht, andererseits aber um
beziehungsregulatorische Prozesse. Diese körperlichen Mikroprozesse
entziehen sich der Aufmerksamkeit und dem Bewusstsein, das sei
gerade ihre Funktion! Sie werden nur durch Videobeobachtung
sichtbar. Daher sind Beobachtungen von Mikroprozessen in
Videoaufnahmen ein nützliches Material für die Ausbildung.
Innerhalb des therapeutischen Settings bemerken die Patienten viel
von unseren nicht immer zugänglichen mimischen und gestischen
Signalen. Es ist daher wichtig, sie aufzufordern, uns ihre
Beobachtungen mitzuteilen.
Günter Heisterkamp beschreibt in seinem Beitrag die
»affektmotorischen Schemata« als Urformen leiblicher und
emotionaler Bezogenheit. Die Arbeit daran findet zu den Urformen
seelischen Existierens und Werdens. Dies sei etwas anderes als die
Regression auf eine frühere Entwicklungsstufe (Geißler). Es gehe um
einen reflexiven Zugang zu primären Mustern des Bezogenseins.
Dessen Folgen sich im Hier und Jetzt explizit artikulieren.
Es geht wiederum um ein Abgrenzen gegenüber dem Begriff einer
Regression auf eine frühere Entwicklungsstufe.
Wenn man aber den Begriff der Regression im eigenen Theoriegebäude
nicht ausschließlich im Freudschen Sinn verstanden und verwendet
hat, fehlt einem, meine ich, der Bezug zu diesem Diskurs.
Heisterkamp betont die leibliche Artikulation als einen weiteren
Königsweg zum Unbewussten. Das »präsentische Verstehen« in den
sogenannten »now moments« (Stern) unterscheidet sich vom
»repräsentischen
Verstehen« nachfolgender Reflexion, beziehungsweise der Analyse.
Dies scheint mir eine wichtige neue Unterscheidung zwischen dem
unmittelbaren im Augenblick Verstehen, welches bislang in der
Psychoanalytischen Lehre keinen Platz hatte und dem bekannten
Innehalten und über das soeben Geschehne nachzudenken.
Das »präsentische Verstehen« fokussiert wesentlich mehr die
schöpferischen Kräfte der Selbstheilung. Hier wird für mich ein
Bezug auf Reichs Selbstorganisation als Wesen der Heilung
sichtbar.
Ein besonders faszinierendes Kapitel ist der Beitrag aus der
Verhaltensforschung von Elisabeth Oberzaucher Ȇber die Evolution
des Gedankenlesens«.
Das gesprochene Wort kann so gut lügen wie kein anderes Signal.
Daher werden von uns als Prüforgan des Wahrheitsgehaltes nonverbale
Verhaltenselemente herangezogen. Das nonverbale Handeln ist nämlich
in hohem Grade nicht bewusst steuerbar. Wir verfügen neben dem
bewussten Riechen das sogenannte Vomeronasalorgan (VNO) welches
Pheromone, Geruchsbotenstoffe zur intraspezifischen Kommunikation
aufnimmt. Es besteht keine Möglichkeit kognitiver Einflussnahme auf
die Produktion von Geruchsstoffen. Es erinnert mich daran, dass ich
in meinen Ausbildungen die Studenten auffordere, auf Gerüche
aufmerksam zu werden, die im Raum während der therapeutischen
Kommunikation entstehen. Am leichtesten kann man sie
identifizieren, wenn man kurz den Raum verlässt und wieder
hineinkommt, um die Adaptation zu umgehen. Aus meiner Erfahrung
heraus können bis zu einem gewissen Grade bewusst lernen Angst,
Wut, Freude, ja auch psychotische Manifestationen zu riechen.
Ein weiterer Lügendetektor steht uns durch unser Gehörorgan zur
Verfügung. In den Frequenzen der sogenannten Oberschwingungen
stecken substanzielle Informationen über die emotionale
Befindlichkeit des Sprechenden. Wir besitzen ebenfalls einen
Gesichtsdetektor und einen Emotionsdetektor. Wir sprechen um ein
vielfaches mehr auf Gesichtsausdrücke als z.B. auf Warnblinken an.
Mich erinnert es daran, dass bei Geschwindigkeitsanzeigen im
Straßenverkehr negative Smileys bei der Überschreitung der
Fahrgeschwindigkeit gezeigt werden, anstatt anderer optischer
Warnsignale. Faszinierend sind für mich auch die Erkenntnisse der
neueren Neurowissenschaften über die sogenannten F5 Neurone
(Spiegelneurone) im präfrontalen Cortex. Diese Neurone feuern
spezifisch bei der Ausführung von bestimmten Bewegungen und werden
auch aktiviert, wenn wer anderer diese Bewegung ausführt! Diese
Neuronen haben also nichts mit der Ausführung von Bewegungen zu
tun, sondern sie kommunizieren uns, was wir gerade tun.
Die Autorin schreibt, dass durch die Aktivierung der F5 Neurone bei
der Wahrnehmung einer Bewegung diese als Mittel zur wahren Empathie
verstanden werden können. Für mich ein wunderschöner Beitrag zum
Empathiebegriff.
Verhalten ist Bewegung! Es erfüllt in der Regel eine Funktion, wie
z.B. das Gehen der Fortbewegung dient, so kann aber auch als Signal
gelesen werden. Ich würde daraus folgern, dass wir die jeweilige
Signalwirkung bewusst oder unbewusst aufnehmen und auf sie bewusst
oder unbewusst reagieren. Daher ist eine neutrale Beobachtung per
se nicht möglich. Ich kann meine Wahrnehmung mitteilen oder nicht,
dennoch habe ich ein Signal empfangen und bewerte es bzw. reagiere
darauf. Oft geschieht die Wahrnehmung aber lediglich im Bereich der
oben erwähnten Mikroprozesse im mimischen und gestischen Verhalten,
also unbewusst.
Zum Beitrag von Peter Geißler: »Wer verführt wen?« möchte ich aus
Platzgründen nur einen Satz hervorheben: »Auch der Therapeut
verführt – nämlich dazu, nochmals zu vertrauen!«
Margit Komenda-Lutz erinnert in ihrem Beitrag über die relative
Bedeutung von Kognition, Affekt und Motorik im
psychotherapeutischen Prozess daran, dass das Unbewusste wieder
über die Neurowissenschaften in die Diskussion der empirisch
positivistischen Psychologie gekommen ist. Dessen Existenz wurde ja
ursprünglich geleugnet.
Das Unbewusste manifestiert sich (Roth) folgendermaßen: Wir wissen
heute über vorbewusste und subliminale Wahrnehmungsinhalte, dass
sie zunächst nur 250 bis 500 Millisekunden unbewusst verarbeitet
werden, meist zu kurz und zu schwach, um bewusst zu werden. Sie
sind aber dennoch verhaltenswirksam!
Weiter: Das Unbewusste manifestiert sich auch in allen perzeptiven,
kognitiven und emotionalen Prozessen, die im Gehirn des Fötus, des
Säuglings und des Kleinkindes ablaufen, bevor der assoziative
Cortex ausgereift ist. Im Gehirn ist die Großhirnrinde als
Speicherort des Gedächtnisses und der Hypokampus als Organisator
unseres Gedächtnisses erst gegen Ende des dritten Lebensjahres
ausgereift.
Weiters manifestiert sich das Unbewusste in automatisierten
Handlungen, die extrapyramidal gespeichert sind. Ebenfalls in
Konditionierungen.
Die Autorin bringt ein Beispiel für unbewusst im Körper ablaufende
Regulationsprozesse:
Die afferenten Nervenbahnen zum Gehirn des neuronalen Geflechtes
der Viscera, des sogenannten Bauchhirns, sind um ein vielfaches
stärker als die Efferenzen, also die Bahnen vom Gehirn hin zur
Peripherie. Das heißt, viel mehr Informationen gehen zum Gehirn als
umgekehrt. Der Bauch bestimmt, wie wir fühlen!
Im Hirnstamm werden Afferenzen verarbeitet ohne dass die
Informationen an höhere Verarbeitungszentren geleitet, geschweige
denn bewusst werden. Die Amygdala wirken zum Beispiel direkt via
Hypothalamus auf das hormonale und vegetative System. Was wir oft
als Resultate unserer freien Willenentscheidungen ansehen, ist im
Wesentlichen durch unbewusste Prozesse vorbereitet und festgelegt
(Roth).
Diese Überlegungen stellen in Frage, ob Einsicht zu Veränderungen
führt, oder aber emotional korrigierende Erfahrungen wichtig sind.
Mit diesen werden neue Einträge im emotionalen Erfahrungsgedächtnis
gemacht, vorbei an alten disfunktionalen Prägungen. Sie haben dann
mehr Wirksamkeit bei der Verhaltenssteuerung.
In einem weiteren Kapitel diskutiert Peter Geißler über die
Integration von Körpertechniken in einen psychoanalytischen
Prozess. Er nimmt als Beispiel die Drucktechnik, die häufig
zugleich schmerzvoll ist. Dessen sei sich der Therapeut in der
Regel auch bewusst. Demgegenüber möchte ich anmerken, dass Schmerz
beim Drücken von der Druckintensität abhängt. Darüber hinaus möchte
ich auf meinen Zugang zum Körper über die Gelenksarbeit hinweisen,
der keineswegs schmerzhaft ist und deshalb auch als sanfte
Körperpsychotherapie im Gegensatz zu »harten« Techniken entwickelt
wurde. Geißler beschreibt eine Weggabelung in therapeutischen
Prozess: Einerseits geduldig abwarten, andererseits eine Technik
aktiv einführen. Im Folgenden wird auf die Zustimmung der Patienten
zur Drucktechnik eingegangen. Wenn der Patient auf eine infantile
Ebene regrediert, kann er nicht gleichzeitig auf der
Erwachsenenebene Verantwortung übernehmen. Weiters kann die
Drucktechnik ein verbrämtes Äquivalent zu einem sadistischen Impuls
beim Therapeuten sein. Dem kann ich nur zustimmen. Allerdings
möchte ich auf die zwei Ebenen der Infantilität und des
Erwachsenseins eingehen. Ich meine, wie ich bereits weiter oben
beschrieben habe, dass wir in der Therapie in einer
Gleichzeitigkeit arbeiten: Während wir das in der Kindheit
geschehene Trauma durch die Regression im Hier und Jetzt neu
bearbeiten, machen wir dem Patienten fortwährend bewusst, dass er
sich hier in der Geborgenheit des therapeutischen Settings und im
Kontakt zu seinen eigenen erwachsenen Ressourcen befindet. Dieses
Bewusstsein wird akustisch durch die Sprache, durch den
Augenkontakt und über eine spezifische Form der Berührung bewusst
durch den Therapeuten aufrechterhalten.
Schließlich meint Geißler, dass sich ein intersubjektives Verstehen
des therapeutischen Prozesses gegen Techniken richtet, welche den
Patienten zum Objekt machen. Als Gegenbeispiel möchte ich auf die
gemeinsamen Beobachtungen von Reaktionen und Interaktionen durch
den Therapeuten und durch den Patienten hinweisen, die durch die
sanfte, passive Gelenksarbeit hervorgerufen werden. Es ist also ein
gemeinsames intersubjektives Geschehen an dem beide, der Therapeut
wie der Patient, teilhaben. Kognitiv, emotional und körperlich.
Zuletzt skizziert Geißler jene Autorität eines Therapeuten, auf den
Heiler und Magierphantasien projiziert werden. In diesem Falle
sollte man nicht Techniken anwenden, wenn es beim Patienten um
Wünsche geht, sich passiv hinzugeben und die Verantwortung aus der
Hand zu geben. Auch dagegen läst sich einiges einwenden.
Der Therapeut ist tatsächlich ein Heiler, allein durch die Rolle,
die ihm der Patient zuweist. Und durch diese Funktion heilt er
auch. Selbst wenn er keine aktive Technik anwendet. Negativ
konnotiert könnte man von einer Placebowirkung sprechen. Aber
denken wir doch nur daran, dass die Wirksamkeit von Penizillin nach
Spitzy, dem Wiener »Antibiotikapapst« zu 40 Prozent eine
Placebowirkung ist. Es werden tatsächlich Keime getötet, die auf
Penizillin in vitro gar nicht ansprechen.
Noch einen weiteren Aspekt möchte ich hier andiskutieren:
Korrigierende emotionale Erfahrung bedeutet auch, dass an die
Stelle von frühkindlichen, fehlenden positiven
Objektrepräsentanzen, die positive Erfahrung des Kontaktes mit dem
Therapeuten, nicht nur als Projektion, sondern als reale Erfahrung
während des therapeutischen Prozesses in das Selbst eingebaut,
introjiziert wird. Unsere stabilisierende und Sicherheit gebende
Selbstwahrnehmung ist durch positive Erfahrungen mit Menschen,
denen wir im Laufe unseres Lebens begegnet sind, geprägt. Mögen wir
diese Erfahrungen durchaus »now moments« oder »präsentisches
Verstehen« nennen, die wie in diesem Buch bei Heisterkamp, als ein
Blickkontakt mit seiner Therapeutin ein Leben lang in Erinnerung
blieb, oder erinnern wir uns, wie Geißler über die Begegnungen mit
seinem Supervisor Berlinger spricht. Dies sind keine Beschneidungen
der selbstständigen Entwicklung des Patienten, kein Loslassen der
Verantwortung für sein eigenes Leben. Es wird in diesem Buch ja
auch betont, dass der Patient lernen soll, neu zu vertrauen
(Geißler). Sich dem Leben vertrauensvoll hinzugeben, trotz dem
Bewusstsein der eigenen Verletzlichkeit und letztlich
Sterblichkeit, trotz unserer erlittenen Wunden und der Erfahrung
von Defiziten. Dabei sind positive Objektrepräsentanzen sehr
wichtig, auch eben jene, die während der Therapie neu gebildet und
in das Selbst integriert werden.
Die Autorität, die der Therapeut aus meiner Sicht haben soll, ist
eine natürliche. Die, des wissend Verstehenden oder des Weisen, der
bereits selbst viele Erfahrungen gemacht und durchgearbeitet hat.
Kritisiert werden muss eine Autorität, die repressiv ist und die
auf Grund ihrer Macht den Patienten zum Zwecke eigener
Bedürfnisbefriedigung missbraucht.
Abschließend sei auf den Begriff der »malignen Regression«
hingewiesen, vor der an einigen Stellen des Buches gewarnt wird.
Der infantilisierte Patient werde emotional verwöhnt, dies führe zu
einer suchtartigen Spirale dieser sogenannten malignen Regression.
Natürlich kennt jeder von uns diese Möglichkeit der negativen
Dynamik innerhalb von regressiven Abläufen. Die Kunst des
Therapeuten besteht eben darin, sowohl Sicherheit durch Containment
und Ermutigung zur Hingabe an eigene Gefühle im Rahmen des
therapeutischen Settings zu ermöglichen. Dies mag zeitweise wie
eine Bemutterung aussehen. Jedoch sollte der Therapeut in der
richtigen Dosierung und zum richtigen Zeitpunkt die
Konfrontationsebene als stärkendes und die Selbstständigkeit des
Patienten unterstützendes Element beleben und in Gang zu
halten.
Ich hoffe mit dieser Buchbesprechung die Neugier des Lesers
entfacht zu haben. Es wäre mein Wunsch, dass möglichst viele
Körperpsychotherapeuten sich den Inhalt dieses Buches einverleiben.
Dies ist nach Fritz Perls nur möglich, in dem wir bildlich
gesprochen daran zuerst ausführlich kauen um den Inhalt in seine
Bausteine zu zerlegen, da er erst dann assimilierbar wird. Sonst
bleibt er im Magen liegen oder wird unverdaut ausgeschieden.
Dieses Lesen kostet Arbeit, aber es lohnt sich allemal. Auch damit
der Dialog auf möglichst breiter Ebene weitergeführt wird und nicht
in einem Elfenbeinturm einiger elitärer Wissenschafter
versandet.