Rezension zu Männlichkeit und Macht
www.socialnet.de
Rezension von Prof. Dr. Matthias Brungs
Einführung
In diesem Buch werden Design, Durchführung und Ergebnisse einer der
wenigen qualitativ-empirischen Untersuchungen zu Männlichkeits- und
Machtkonzepten von männlichen Professionellen in der
Jugendsozialarbeit berichtet und theoriebezogen eingeordnet.
Hintergrund
Auf dem Hintergrund der Problematik einer verbreiteten Gewalt unter
jungen Männern stellen sich gerade innerhalb der Jugendsozialarbeit
und der offenen Jugendarbeit Fragen nach den Ursachen dieses
Phänomens und nach der Wirksamkeit sozialpädagogischer
Interventionen. In diesem Zusammenhang zeigen Ergebnisse von
geschlechtsdifferenzierenden Studien mit männlichen Jugendlichen
und Heranwachsenden, dass Dominanz und Gewaltverhalten gegenüber
Schwächeren und Fremden unter anderem durch ein bedrohtes
Männlichkeitskonzept und einen unsicheren Selbstwert erklärt werden
können. Letztere lassen sich wiederum als Folge von
gesellschaftlichen Umbrüchen und einer sozialen Marginalisierung
der Betroffenen deuten.
In dem Versuch, die Effektivität der Sozialen Arbeit mit diesen
Zielgruppen zu steigern, muss neben der Perspektive auf die
Klientel die fachwissenschaftliche Aufmerksamkeit auch auf die dort
tätigen Professionellen gerichtet werden. Ansonsten bleiben
biografisch-soziale Probleme der Pädagogen mit dem eigenen
Geschlecht unberücksichtigt und werden von diesen an den
Jugendlichen als Projektionsfläche abgehandelt. Vorhandene
Fragebogenstudien mit Professionellen geben allerdings nur
begrenzten Aufschluss, da diese nur bewusste Einstellungen zu
Fragen des eigenen Geschlechtskonzepts ablichten.
Durch ihren qualitativen Untersuchungsansatz enthält die in diesem
Buch referierte und diskutierte Studie daher eine fachliche
Perspektivenerweiterung. Relevante Männlichkeitstheorien werden
außerdem durch die Ergebnisse der von dem Autor durchgeführten
narrativ-biografischen Interviews mit männlichen
Jugendsozialarbeitern kritisch beleuchtet und weiter
entwickelt.
Aufbau und Inhalt
Das Buch besteht aus vier übergeordneten Abschnitten:
Nachdem der Leser in die Thematik und den Aufbau der Arbeit
eingeführt wurde, stellt Matthias Rudlof zwei zentrale Theorien der
sozialwissenschaftlichen Männlichkeitsforschung vor, die er
anschließend kritisch würdigt. Er bezieht sich hierbei zum einen
auf das Konzept der hegemonialen Männlichkeit von Connell, zum
anderen auf die Theorie des männlichen Geschlechtshabitus von
Bourdieu. Die grundlegenden Ausführungen zu diesen Ansätzen sollen
zu einer »theoretischen Sensibilisierung« des Lesers führen, und
sie dienen als differenziertes Kategorisierungsraster der in einem
späteren Abschnitt vorgestellten qualitativ-empirischen
Analysen.
Die theoretische Beleuchtung der Thematik wird in dem sich
anschließenden Kapitel abgerundet, indem das Feld der Sozialen
Arbeit im Hinblick auf seine Geschlechter- und
Professionsgeschichte umrissen wird. Der Autor lässt sich dabei von
der grundlegenden These leiten, dass die derzeit stattfindenden
Prozesse der Professionalisierung und Ökonomisierung
widersprüchliche Folgen für die symbolischen
Geschlechterarrangements in diesem Berufsfeld, das sich historisch
betrachtet eher als ein weibliches Territorium darstellt, haben,
und dass sich im Zuge von Rationalisierungsprozessen neue Formen
geschlechtsspezifischer Segregation herausbilden. Er arbeitet
heraus, dass gerade in der Sozialen Arbeit die möglichen
Konstruktionen beruflicher Identität immer auch geschlechtliche
Konnotationen enthalten, die in den durchgeführten empirischen
Fallanalysen besondere Berücksichtigung finden müssen.
Beispielsweise ist für das gegebene Forschungssegment relevant, wie
die männlichen Interviewpartner Themen wie Geschlecht und Macht
miteinander verknüpfen.
Im dritten Teil des Buches wird in mehreren Unterabschnitten über
die durchgeführte qualitativ-rekonstruktive Studie und deren
Ergebnisse umfassend berichtet. Methodologisch fußt diese auf
narrativ-biografischen Interviews mit drei Jugendsozialarbeitern,
die mit Hilfe des dokumentarischen Interpretationsverfahrens
ausgewertet und vergleichend einander gegenübergestellt werden.
Anhand der Diskurse der befragten Professionellen werden in der
Folge verschiedene Typen der Konstruktion und Reflexion von
Männlichkeit, beruflicher Identität und Biografie herausgearbeitet
und in ihrer Verknüpfung und möglichen Bedeutung für die
pädagogische Handlungspraxis vergleichend analysiert. Weitere
identitätsstiftende Dimensionen wie z.B. Milieu und Generation
finden dabei eine ihnen angemessene Beachtung. Die
Falldarstellungen werden übersichtlich nach folgenden Dimensionen
reflektierend interpretiert:
- Orientierungsmuster und Begründungsfiguren der geschlechtlichen
und pädagogischen Handlungspraxis
- Männlichkeit, berufliche Identität und Institution
- Autobiografische Erzählung und männlicher Geschlechtshabitus
Die sich jeweils anschließende komparative Analyse folgt den
Kriterien:
- Autobiografischer Selbstentwurf
- Orientierungsmuster der pädagogischen und geschlechtlichen
Praxis
- Wissenssoziologische Hypothesen
Im Ergebnis zeigen sich fachlich aufschlussreiche Verbindungen
zwischen Männlichkeits-, Milieu- und Berufskonstruktionen, die zu
Hypothesen über eine enge biografische Verflechtung zwischen
milieu- und geschlechtsspezifischen Dimensionen des sozialen
Habitus führen.
Das Buch endet mit einem umfassenden Rückbezug der Empirie auf die
renommierten Männlichkeitstheorien von Connell und Bourdieu und mit
einigen Hinweisen für die Relevanz der empirischen Ergebnisse für
die Praxis der Sozialen Arbeit. Die Konzepte von Connell und
Bourdieu werden in mehreren Aspekten auf der Basis der empirischen
Daten kritisch gewürdigt und mehrere Weiterentwicklungen dieser
Ansätze vorgeschlagen.
Zielgruppen
Matthias Rudlof wendet sich mit seiner Arbeit an Experten, die sich
mit der Geschlechter- und Jugendforschung beschäftigen, aber auch
an alle Akteure in der Jugend- und Jugendsozialarbeit. Ein Transfer
seiner Studie auf die konkrete Handlungspraxis der Professionellen
setzt allerdings wegen des hohen Abstrahierungsgrades der Materie
eine Grundkenntnis der einschlägigen Theoriebestände sowie eine
fundierte Einsicht in den Bereich der qualitativen Sozialforschung
voraus.
Fazit
Mit der expliziten Perspektive auf subjektive Männlichkeitskonzepte
und Einstellungen zu Autorität und Macht von männlichen
Professionellen in der Jugendsozialarbeit und der methodisch in
jeder Hinsicht sorgfältigen gestalteten Arbeit schließt der Autor
innerhalb der einschlägigen empirischen Sozialforschung eine bis
dato bestehende Lücke. Die kritische Diskussion grundlegender
männlichkeitstheoretischer Ansätze auf der Folie der durchgeführten
Fallanalysen ermöglicht ihm außerdem, Erweiterungen dieser Konzepte
in einigen wesentlichen Aspekten vorzunehmen. Schließlich enthalten
die Befunde der qualitativ-rekonstruktiven Studie einige
wesentliche Reflexions- und Denkanstöße zu dem
Geschlechterverhältnis als Machtverhältnis in der
Jugendsozialarbeit und stellen daher auch einen Beitrag zur
Professionalisierung der Sozialen Arbeit als Ganzes dar.
www.socialnet.de