Rezension zu Opfer und Täter zugleich? (PDF-E-Book)
PSYCHE
Rezension von Bernd Leineweber
»Die Autorin stellt fest, daß es keine psychologischen Theorien für
den Umgang mit moralischen Dilemmata gebe. Daher greift sie auf
philosophische Konzepte zurück. So weist etwa Bernard Williams
daraufhin, daß es für nbralisclle Dilemmata keine rationalen
Lösungen gebe und daher nur emotionale Bewältigungen möglich seien.
Und mit Jean-Paul Sartre teilt sie die Überzeugung, daß sich mit
einer universalistischen Moral nicht die Frage beantworten lasse,
welche Entscheidung in einer derartigen Situation die richtige sei.
Bei den Betroffenen könne es also auch zu falschen
Schuldzuschreihungen gekommen sein. Die Therapie müsse sich daher
auf emotionaler und kognitiver Ebene abspielen, Trauerarbeit und
Umwandlung der Schuld- in Verantwortungsgefuhle sein.
Zum anderen möchte die Autorin zu einer Revision des Bildes vom
grundsätzlich »bösen Kapo« beitragen, jener bisweilen dämonisierten
Gegenfigur zu der namentlich in der Frühzeit der israelischen
Gesellschaft ausschließlich akzeptierten Figur des heldenhaften
Widerstandskämpfers und der später dann auch anerkannten Figur des
Opfers. Solange es unter den Überlebenden der Shoah eine
stigmatisierte Randgruppe gibt, auf die sich die moralische Seite
der Überlebensschuld abschieben läßt, wird die Selbstzuschreibung
als Opfer problematisch bleiben. Die vorliegende Untersuchung macht
deutlich, daß die Extremsituation des Lagers weder notwendigerweise
den »Tod der Moral« zur Folge hatte noch pauschale Muster der
moralischen Verurteilung oder Freisprechung im
Überlebendenkollektiv rechtfertigen darf.«
Zitiert aus PSYCHE, Jg. 59, Bd. 4, April 2005.