Rezension zu Der Musiker und sein Instrument
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Rezension von Dr. Werner T. Fuchs
Mit großer Behutsamkeit ans Werk gegangen
Über das Verhältnis eines Musikers zu seinem Instrument ließe sich
bestimmt ein Buch schreiben, das eine größere Leserschaft erreichen
würde. Aber ein solches Werk enthielte auch mehr Spekulatives und
verträte wohl psychologische Gemeinplätze, die heute nicht mehr
haltbar sind. Die Psychoanalytikerin Karin Nohr hat sich
glücklicherweise für ein anderes Konzept entschieden. Sie möchte
den besonderen Beziehungen zwischen Musikern und ihren Instrumenten
zwar ebenfalls auf die Spur kommen, nimmt aber die Mühe auf sich,
ihr methodisches Vorgehen immer wieder zu reflektieren. Das ist
zwar stellenweise mühsam für den Leser, wird dem
Untersuchungsgegenstand jedoch gerechter. Nur sollten Liebhaber von
Musikerbiographien wissen, dass die Herangehensweise von Karin Nohr
idealisierende und autobiographische Darstellungen oft in Frage
stellen. Und enttäuscht darf man auch nicht sein, wenn am Schluss
mehr Fragen offen bleiben als geklärt werden. Das liegt auch daran,
dass sich die Musikpsychologie mehr der Wahrnehmung widmete und
Besonderheiten des aktiven Musizierens erst in letzter Zeit in den
Blickwinkel gerieten, wobei die Kreativitätsforschung wertvolle
Denkanstösse bietet. Nur, lediglich von Wunderkindern und beseelten
Verhältnissen zur Musik zu sprechen, bringt nicht viel Erhellendes.
Da sichtet man tatsächlich lieber die vielen Studien von
Persönlichkeits- und Entwicklungspsychologen oder der
Musiksoziologie und versucht brauchbare gemeinsame Nenner
herauszuarbeiten. Eine Ahnung, welche Arbeit die Autorin sich damit
einhandelte, gibt die zwölfseitige Literaturliste.
Wer einen ähnlichen Ansatz wie Karin Nohr verfolgen will, muss sich
zudem mit Büchern beschäftigen, die keinen wissenschaftlichen
Anspruch haben. Denn zur Methodik der Autorin gehört die Auswertung
von Autobiographien. Und nachdem sie die Gründe für ihr Vorgehen
erläutert, geht Karin Nohr auf die Quellenlage ein. Zwar finde ich
es persönlich schade, dass die Selbstbiographien von Musikern aus
dem 18. und 19. Jahrhundert ebenso unberücksichtigt bleiben wie die
Autobiographien der U-Musiker. Auch weil farbige Jazz-Musiker oft
autodidaktische Lernwege beschritten und andere soziale
Hintergründe als E-Musiker haben. Aber ohne sich gezielt zu
beschränken, kommt man eben nicht zum Ziel. Und 41
Lebensbeschreibungen aufmerksam zu lesen und auszuwerten, ist eine
Leistung, die Respekt verdient.
Das Buch von Karin Nohr interessierte mich auch deshalb, weil die
Lebenslaufforschung relativ jung ist und wertvolle Beiträge zur
Prägung neuronaler Muster liefert. Unter dieser Optik las ich das
Buch also ebenfalls und stieß daher auf Zusammenhänge, die ich in
anderen Werken der Musikpsychologie nicht entdeckte, vor allem im
Kapitel »Vergleichende Auswertung von 41
Instrumentalisten-Autobiographien«. Auf diesen Seiten versucht die
Autorin auch eine Typologie der Musiker-Instrumenten-Beziehung zu
entwerfen, hütet sich aber vor allzu großen Vereinfachungen und
Generalisierungen. Im fünften und letzten Kapitel stellt sie dann
noch vier Einzelfälle vor, die da sind: Pablo Casalls, James
Galway, Gidon Kremer und Jan. I. Paderewski.
Mein Fazit: Diese 1997 erschienene Studie hat eine Neuauflage
verdient, weil es zu diesem Thema zwar viele Einzeluntersuchungen
gibt, aber kaum Werke, die Spekulatives durch eine nachvollziehbare
Methodik ausgrenzen oder erkennbar machen. Zu Recht weist die
Autorin auch immer wieder darauf hin, welche Aspekte bisher kaum
beachtet und genauer untersucht wurden. Auch wenn der
wissenschaftliche Ansatz manchmal auf Kosten der Lesbarkeit geht,
bietet die Lektüre so viel Erhellendes, dass ich bei der Bewertung
keine Sterne abziehen möchte.
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