Rezension zu Roman Polanski - Traumatische Seelenlandschaften
Deutschlandradio Kultur
Rezension von Claudia Lenssen
Rechtzeitig zur Premiere von Roman Polanskis neuem Thriller »Ghost«
bei der diesjährigen Berlinale legt der Berliner
Filmwissenschaftler und Philosoph Andreas Jacke eine Studie vor,
die die künstlerische Lebensleistung des Regisseurs in den
Mittelpunkt rückt, nicht seinen umstrittenen juristischen Fall. Das
Buch »Roman Polanski – Traumatische Seelenlandschaften« stellt die
Leitmotive, Entstehungsgeschichten und Inspirationsquellen seiner
zwei Dutzend Filme in Einzelstudien vor, es erklärt Tiefenschichten
seines Werks aus existentiellen Erfahrungen des Regisseurs und
schlägt so voller Sympathie eine Brücke zum Verständnis seiner
Persönlichkeit.
1933 in Paris als Sohn einer polnisch-russischen jüdischen Familie
geboren, wuchs Polanski in Krakau auf, wurde ins dortige Ghetto
deportiert und verlor seine Eltern. Allein und isoliert überlebte
das Kind die Nazi-Herrschaft in einem polnischen Dorf. Andreas
Jacke zeigt, wie Polanski seine Traumata in einer fast fünfzig
Jahre währenden Karriere in Kreativität umzuwandeln verstand. Von
seinem polnischen Debüt »Das Messer im Wasser« (1962) bis zur
brandneuen Verfilmung des Robert-Harris-Bestsellers »The Ghost«
fasst das Buch sein Werk unter drei Leitthemen zusammen: Es
beschreibt Polanskis Faszination für das surreal Absurde, für das
ewige Dilemma zwischen Erotik, Liebe und Ehe und nicht zuletzt sein
Interesse an historischen und politischen Stoffen.
Horror ist ein Schlüssel zu seinem frühen Werk. Seine Filme »Tanz
der Vampire«, »Rosemarys Baby« und »Chinatown« sind klassische
Beispiele für die Kunst, mit dem Schrecken böse-ironischen Scherz
zu treiben. Spät erst führte sein Oscar-prämiiertes Drama »Der
Pianist« unmittelbar zum Grauen des Holocaust zurück, in dem sich
Polanskis eigene Kindheitserfahrungen spiegelten.
Andreas Jackes gut lesbare Analysen beziehen eine Fülle von
autobiografischen Aussagen, Making-Ofs und Pressematerialien ein.
Beiläufig wird sein Buch so auch zur »Chronique scandaleuse«, die
die provozierende öffentliche Figur Polanski skizziert und ihn vor
schnellen Vorverurteilungen in Schutz nimmt. So geriet der
Regisseur 1969 vorübergehend in Verdacht, an der Ermordung seiner
schwangeren Ehefrau Sharon Tate durch die Manson-Bande indirekt
Mitschuld zu tragen. Und 1977 entzog er sich durch die Flucht nach
Europa einem Gerichtsprozess in Los Angeles, wo er wegen des
Missbrauchs eines 13-jährigen Mädchens angeklagt worden war. Wegen
dieses undurchsichtigen schwebenden Verfahrens wird Roman Polanski
gegenwärtig in der Schweiz festgehalten, wo ihm die Auslieferung an
die US-Justiz bevorsteht. »Traumatische Seelenlandschaften«
resümiert diese fatale Geschichte, so dass das Bild einer
zerrissenen Persönlichkeit entsteht, deren Leben die
tragisch-surrealen Züge seiner Filme zu wiederholen scheint. So
tritt aus den Einzelstudien auch ein Bild der Psychodynamik und
Ausdruckswut des Regisseurs hervor.
Rezension vom 09.02.2010 um 14.33 Uhr im Deutschlandfunk Kultur