Rezension zu Edith Jacobson

Neue Zürcher Zeitung (NZZ)

Rezension von Lütkehaus Ludger

»Furchtlose Leichtigkeit«

Der Preis, den die sich selber gleichschaltende »Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft« für ihr Überleben unter den Bedingungen des »Dritten Reiches« unter anderem zu zahlen bereit war, kann als Exkommunikation aus der Therapie beschrieben werden: Den Mitgliedern der DPG war es verboten, Patienten zu behandeln, die im Widerstand gegen den Nationalsozialismus engagiert waren. Edith Jacobson hingegen, geboren 1897 in Oberschlesien, gestorben 1978 in New York, Vertreterin der Berliner Psychoanalyse, an Otto Fenichels Freudomarxismus orientiert, ließ sich selber das Recht auf Widerstand nicht nehmen. In der Widerstandsgruppe »Neu beginnen« wurde sie politisch aktiv, im Oktober 1935 von der Gestapo verhaftet, zu zwei Jahren und drei Monaten Zuchthaus »wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens« verurteilt und ihrer Heidelberger Doktorwürde beraubt, deren sie sich nach Auskunft des – leserlich signierenden – Dekans Schneider »unwürdig erwisen« hatte. 1938 konnte Jacobson während eines chirurgisch bedingten Hafturlaubs unter Vorspiegelung einer Selbsttötung fliehen. Die »Reaktion furchtloser Leichtigkeit« wird ihr dabei geholfen haben, wurde aber von ihr unter den »Abwehrmechanismen« rubriziert! »›Mir kann nichts passieren.‹« Der von Ulrike May und Elke Mühlleitner herausgegebene Sammelband bietet ein facettenreiches Bild von Leben und Werk, keine Einführung, aber vor allem in den Erinnerungen von Zeitgenossen und Wegbegleitern ein sehr persönliches Porträt. Jacobsons Theorien zur Selbst- und Objektpsychologie wie zur Depressionsforschung erhalten neben dem charakterologischen den historisch-politischen Hintergrund.

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