Mahrokh Charlier
Geschlechtsspezifische Entwicklung in patriarchalisch-islamischen Gesellschaften und deren Auswirkung auf den Migrationsprozess
Psyche, 2006, 60(2), 97-117
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Durch die Migrationsbewegungen der letzten Jahrzehnte ist Europa
für viele Menschen aus traditionellen, muslimisch-patriarchalischen
Gesellschaften zur neuen Heimat geworden. Inzwischen stellt sich
heraus, dass die Migrationsprozesse in der Regel von erheblichen
Identitäts- und Integrationskonflikten begleitet sind, die nach
einer bewussten Auseinandersetzung und Bewältigung verlangen. In
diesem Zusammenhang wird die These vertreten, dass die
geschlechtspezifische Sozialisation in islamisch-patriarchalischen
Gesellschaften zu einem kulturell anderen Verständnis der sexuellen
Identität und einer anderen Regelung des Verhältnisses zwischen den
Geschlechtern führt. Als ein entscheidender Faktor der
Sozialisation in patriarchalischen Kulturen wird die
Geschlechtertrennung, die Aufspaltung des Lebensraums in eine
öffentliche Männer- und eine private Frauenwelt, angesehen.
Infolgedessen wird die kulturell entwertete Frau zu einem
mächtigen, fast alleinigen Objekt der primären Sozialisation des
Kindes. Der allmächtige, ehrfürchtige und ehrwürdige Vater bleibt
für das Kind unnahbar, so dass der Ambivalenzkonflikt und der
ödipale Konflikt sowie die Überichentwicklung einen anderen Ausgang
als in den westlich-säkularen Gesellschaften nehmen. Das
Zusammenbrechen des kulturellen Regulationsmechanismus der
Geschlechtertrennung im Migrationsland hat für Männer und Frauen
jeweils unterschiedliche Folgen. Während für die Männer das
Wegbrechen der Orientierung an einer Hierarchie der Geschlechter
eine Bedrohung ihrer männlichen Identität darstellt, eröffnen sich
für Frauen die Chance einer nachholenden Entwicklung. (c)
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