Institut für Psychoanalyse und Psychotherapie Heidelberg-Mannheim und Heidelberger Institut für Tiefenpsychologie (Hg.)
Psychoanalyse im Widerspruch Nr. 48: Psychiatrie - Zur Situation der Psychiatrie an den Hochschulen
Nr. 48/2012
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Zeitschrift: Psychoanalyse im Widerspruch (ISSN: 0941-5378)
Verlag: Psychosozial-Verlag
145 Seiten, Broschur, 148 x 210 mm
Bestell-Nr.: 8078
Die »Psychoanalyse im Widerspruch« hat eine Denkfigur der
Psychoanalyse zu ihrem Programm gemacht: die Kontroverse - denn
seit 1900 ist kein Kernbegriff dieser unruhigen Disziplin
widerspruchslos akzeptiert worden. Seit der Gründerzeit reizen ihre
Aussagen in der Gesellschaft zum Widerspruch. Und für die
Psychoanalyse als Theorie innerer und äußerer Konflikte ist das
Widersprechen essentiell.
Zu den thematischen Schwerpunkten der Zeitschrift zählen die
Geschichte der Psychoanalyse in Europa und auf anderen Kontinenten,
gesellschaftspolitische und kulturtheoretische Probleme, Kunst und
Film, klinische Fragestellungen sowie die Aktualität der
Psychoanalyse im interdisziplinären Netzwerk. Zuvor
unveröffentlichte Dokumente Sigmund Freuds und anderer historischer
Figuren der Psychoanalyse tragen ebenso zum Profil der Zeitschrift
bei wie Texte von Marie Langer, Mark Solms, Emilio Modena, Léon
Wurmser, Micha Brumlik, Rolf Vogt, Paul Parin oder Antonino Ferro.
Über die Beiträge zu den Schwerpunktthemen hinaus bietet die
Zeitschrift Rezensionen und Veranstaltungshinweise.
Diese Publikation enthält:
Inhaltsverzeichnis
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Inhalt
Editorial
Joachim Küchenhoff
Zum zukünftigen Stellenwert der
Psychotherapie in der Psychiatrie
Inge Jádi
Überlegungen zu Rezeption, Wirkung und Potenz
der Sammlung Prinzhorn
Henry Zvi Lothane
Psychiatrie-Professor Dr. jur. Paul
Schreber ist immer noch eine Herausforderung für Psychiatrie und
Psychoanalyse
Max Ludwig
Verkörpertes Selbst und Intersubjektivität
in Schizophrenie und Autismus
Ein Forschungsprojekt der Psychiatrischen Universitätsklinik
Heidelberg
Wolfgang Bister
Aus den Erinnerungen an Viktor von
Weizsäcker
Zur Frage einer Richtungsänderung in seinen Forschungsinteressen
nach dem Zweiten Weltkrieg
Wilhelm Rimpau
Zur Aktualität der medizinischen
Anthropologie Viktor von Weizsäckers
Martin Bölle
Anmerkungen zu Shutter Island von Martin
Scorsese (2008)
Rezensionen
Veranstaltungen
Filmkalender: Psychoanalytiker/innen diskutieren Filme
Autorinnen und Autoren dieses Heftes
Zusammenfassungen und Abstracts
Joachim Küchenhoff
Zum
zukünftigen Stellenwert der Psychotherapie in der
Psychiatrie
Zusammenfassung: Die vorliegende Arbeit befasst sich mit
der zukünftigen Rolle der Psychotherapie in der Psychiatrie. Die
empirische Forschung der letzten Jahre schafft für die
Psychotherapie ein gutes Fundament. Entscheidend für die
Psychiatrie wird die therapeutische Haltung sein, die sich der
unverwechselbaren Person des Patienten zuwendet, nicht die
spezifische Technik. Gleichwohl dürfen die Unterschiede der
Verfahren nicht nivelliert werden; eine Integration der
verschiedenen Ansätze existiert noch nicht. Von der immer wichtiger
werdenden transkulturellen Perspektive kann die Psychotherapie
profitieren, indem sie die Achtung vor dem Fremden fördert.
Psychotherapie braucht Zeit; es lohnt sich, dafür zu kämpfen, daß
diese nicht kurzsichtigem Effizienzdenken geopfert wird.
Abstract: The present paper deals with the future role of
psychotherapy in psychiatry. Empirical research underlines the
importance of psychotherapy in psychiatric clinical practice. It is
not the specific technique alone but a therapeutic mindset that
counts most; it guarantees that the patient’s personality and
individuality are well respected. There is no real integrative
psychotherapy yet; therefore it is wise to acknowledge the
differences between the psychotherapeutic approaches rather than to
concoct a technique that is without conceptual basis. The
transcultural perspective will become more and more important for
any psychotherapy, therefore it is mandatory to accept the
»otherness« of the other. The future of psychotherapy will depend
on socio-political factors as well. Psychotherapy needs time, and
the time necessary to induce change and personal development must
be warranted further on.
Inge Jádi
Überlegungen zu
Rezeption, Wirkung und Potenz der Sammlung
Prinzhorn
Zusammenfassung: Die Autorin war von 1973 bis 2001
Leiterin der Sammlung Prinzhorn der Psychiatrischen
Universitätsklinik in Heidelberg. Anhand ihrer fast 30-jährigen
Erfahrung beschreibt sie sehr unterschiedliche Formen der Rezeption
des vielschichtigen Fundus und deren spezifische Möglichkeiten und
Unmöglichkeiten der Erkenntnis. Implizit ergibt sich eine
Positionsbestimmung der Dokumentation im interdisziplinären
wissenschaftlichen und kulturellen Raum. Schwerpunkte der Reflexion
sind ethische Aspekte im Umgang mit den Zeugnissen der Patienten
sowie die Frage nach der Potenz der Bilder vor allem im
psychiatrischen Kontext.
Abstract: Some Thoughts about Reception, Impact and
Potential of the Prinzhorn Collection. From 1973 to 2001 the author
was director of the Prinzhorn Collection of the psychiatric
hospital of Heidelberg University. On the basis of almost 30 years
of experience she describes the various ways in which this complex
collection was received, as well as their respective possibilities
and impossibilities to create knowledge and understanding.
Implicitly, the author positions herself in the interdisciplinary
scientific and cultural field. In her reflection she emphasises the
ethical aspects of handling the patients’ artefacts as well as the
question concerning the potential of the pictures of the collection
in a psychiatric context.
Henry Zvi
Lothane
Psychiatrie-Professor Dr. jur.
Paul Schreber ist immer noch eine Herausforderung für Psychiatrie
und Psychoanalyse
Zusammenfassung: In dieser neuerlichen
Durchsicht der Geschichte von Paul Schreber korrigiert der Autor
die noch immer bestehenden Fehlwahrnehmungen und Fehler in der
Darstellung, der Diagnose, der Dynamik und der ethischen Aspekte zu
diesem berühmtesten Patienten in der Geschichte der Psychiatrie und
der Psychoanalyse. Schreber gelangen, obwohl er Opfer einer
»Psychiatrie ohne Seele« war, wichtige und für die Psychiatrie
lehrreiche Einsichten. Die Ablösung der ersten so
vielversprechenden dynamischen Psychiatrie durch die Hirnmythologie
seit Mitte des 19. Jahrhunderts und später durch die organisch und
statisch orientierte Psychiatrie, wie sie von Kräpelin und Jaspers
etabliert wurde, hat zu einer Entpersönlichung im Umgang mit den
Patienten und bei den psychiatrischen Behandlungen geführt, ein
Problem das immer noch aktuell ist. Deshalb sind die Einsichten
Schrebers und die Lehren, die man aus seinem Fall gewinnen kann,
heute noch so wichtig.
Abstract: In this new survey of Paul Schreber’s story the
author corrects the still lingering misconceptions and mistakes in
the description, diagnosis, dynamics, and deontology (ethics) of
this most famous patient in the history of psychiatry and
psychoanalysis. Even as he was a victim of a »psychiatry without a
soul,« Schreber was able to offer important insights and lessons
for psychiatry and psychoanalysis. The dismantling of the first and
promising dynamic psychiatry in the middle of the 19th century by
brain mythology, and later by an organically and statically
oriented psychiatry à la Kraepelin and Jaspers, resulted in
depersonalizing the interpersonal doctor-patient interaction, a
still ongoing problem for psychiatry, making Schreber’s insights
and lessons relevant today. And the lesson for psychoanalytic
therapy: it should not operate with preformed formulas but
interpret a life both historically and individually, as required by
dramatology.
Max Ludwig
Verkörpertes Selbst
und Intersubjektivität in Schizophrenie und Autismus – Ein
Forschungsprojekt der Psychiatrischen Universitätsklinik
Heidelberg
Zusammenfassung: Es wird ein seit Mai 2012 anlaufendes
interdisziplinäres Forschungsprojekt der Universität Heidelberg
vorgestellt, das die Wirkung einer jeweils spezifischen
körperorientierten Therapie auf das Leiberleben und die
Resonanzfähigkeit von schizophrenen und autistischen Probanden
untersucht. Dabei wird im Gegensatz zu den aktuell dominierenden
biologischen Konzeptionen ein Embodiment-Ansatz zu Grunde gelegt,
der die Schizophrenie als eine fundamentale Entkörperung des Selbst
und Autismus als Störung der primären verkörperten
Intersubjektivität betrachtet. Es werden Fragestellung,
Studiendesign und die Instrumente sowie erste Ergebnisse
vorgestellt.
Abstract: An interdisciplinary research project at the
Psychiatric Department of the University of Heidelberg, which
started Mai 2012, is presented. The study investigates the effect
of specific body oriented therapies for schizophrenic and autistic
patients concerning body experience and being in resonance with
others. In opposition to the current biological conceptions, the
approach of this study is the Embodiment-hypothesis. According to
this access, schizophrenia is understood as a fundamental
disembodiment of the Self, and autism is considered as a
disturbance of the primary bodily intersubjectivity. Hypothesis,
design, instruments and first results of the study are
presented.
Wolfgang Bister
Aus den
Erinnerungen an Viktor von Weizsäcker. Zur Frage einer
Richtungsänderung in seinen Forschungsinteressen nach dem Zweiten
Weltkrieg
Zusammenfassung: Aus dem Nachlass von Viktor von
Weizsäcker hat seine jüngste Tochter Cora eine Schrift
veröffentlicht mit dem Titel »Reisebeschreibung 1945«. Es handelt
sich um Weizsäckers Reise von Breslau nach Heidelberg zwischen
Januar und Juli 1945. Bis zuletzt führte er in Breslau mit seinen
Schülern Christian und Derwort Experimente über Sinnesempfindungen
durch. Nach Heidelberg zurückgekehrt, begründete er mit Alexander
Mitscherlich die Psychosomatik an der Universität. Seine vormaligen
Schüler Derwort und Ruffin in Freiburg kritisierten, mit dieser
Änderung seiner Forschungsinteressen habe Weizsäcker weniger
Einfluss in der Medizin. Aber es trat eher das Gegenteil ein, da
sich die Psychosomatik bei uns erst nach dem Krieg entwickeln
konnte. Sie stützte Viktor von Weizsäcker in seiner Auffassung des
Arztseins.
Abstract: From the memories of Viktor von Weizsäcker – The
question of a change in his research interests after World War
II.
From the heritage of Viktor von Weizsäcker his youngest daughter
Cora has published a script titled »Description of a journey 1945«.
Subject is Weizsäcker’s journey from Wroclaw to Heidelberg between
January and July 1945. Until the end he performed experiments about
sensory perception with Dr. Christian and Dr. Derwort. Back in
Heidelberg, he established psychosomatics at the university
together with Alexander Mitscherlich. His former contributors in
Freiburg, Derwort and Ruffin, criticized that with this change in
his research interests Weizsäcker got less influence in medicine.
In fact, exactly the contrary was the case as psychosomatics could
only develop after the war. It supported Weizsäcker in his
understanding of being a physician.
Wilhelm Rimpau
Zur Aktualität
der medizinischen Anthropologie Viktor von
Weizsäckers
Zusammenfassung: Der Neurologe Viktor von Weizsäcker
(1886–1957) ist der Begründer der medizinischen Anthropologie, als
deren Vorstufen er die Psychoanalyse und Psychosomatik ansah. Der
eigentümliche trans- bzw. multidisziplinäre Charakter des
Weizsäcker’schen Denkens sperrt sich gegen heutige
Lesegewohnheiten, insbesondere seitens der Mediziner, die
tiefergreifenden Theorien abgeneigt und pragmatischen Lösungen
zugewandt sind. Ist die medizinische Anthropologie Weizsäckers eine
marginal gewordene medizinhistorische Episode oder ist ihr noch
nicht ausgeschöpftes Reformpotential eine Chance? Der vorliegende
Beitrag beschränkt sich auf fünf Aspekte: Ergänzung der
naturwissenschaftlich orientierten Medizin durch Freuds
Psychoanalyse, Selbstzweifel Weizsäckers und seine Situation
während der NS-Zeit, das pathische Pentagramm als Teil der
biographischen Methode, Aktualität der Anthropologie für eine
menschengemäße Medizin.
Abstract: The neurologist Viktor von Weizsäcker
(1986–1957) is the founder of the medical anthropology, which he
considered as a derivative of psychoanalysis and psychosomatics.
The trans- and multidisciplinary character of his work is
contradictory to contemporary reading habits – especially on the
part of physicians, who shun profund theories and prefer pragmatic
solutions. Is Weizsäcker’s medical anthropology a
medical-historical episode that has grown marginal? Or is there a
potential, which is at the same time a chance for reformation? The
following article concentrates on five aspects: the extension of
the scientific oriented medicine by Freud’s psychoanalysis,
Weizsäcker’s self-doubts and his situation in the Nazi era, the
»pathic pentagramm« as part of the biographical method, the
actuality of the anthropology on behalf of a humane medicine.