Die Sehnsucht nach der ersten Natur, einer ursprünglichen
Verbundenheit, welche noch nicht durch das Soziale korrumpiert sei,
ist eine Fantasie, die mit dem Voranschreiten digitaler und
kosmopolitischer Lebenswelten immer mächtiger zu werden droht. Von
der völkischen Rechten, der Heimatideologie der Konservativen, der
naiven Mystik der Ökoesoterik bis zu Polemiken gegen die Stadt und
ihre Bewohner:innen seitens regressiver Linker wirbt man mit dem
Versprechen der Unmittelbarkeit, die doch nie zu haben ist. Es wird
auf die romantische Tradition idealisierten Landlebens
zurückgegriffen. Fernab der Stadt soll der Mensch zu sich kommen
und im Einklang mit der Natur der als künstlich verpönten
Gesellschaft entfliehen. Ist aber wirklich alles regressiv an der
Sehnsucht nach der Natur und dem Landleben? Ist die Faszination an
sich schon Ideologie oder ist ihr doch auch etwas Progressives
abzuringen? Die derzeitigen Proteste gegen Kohlekraftwerke und den
Erhalt der Wälder, wie überhaupt die gegenwärtigen
Naturschutzbewegungen scheinen immer wieder dazwischen zu mäandern.
Argumentieren die einen ganz materialistisch, dass die Kraftwerke
eine Katastrophe fürs Klima und die Wälder erhaltenswert sind,
lassen die anderen keine Gelegenheit aus, aus dem Wald einen
deutschen Wald zu machen. Während Massenproteste darauf
hinweisen, dass die Bundestagswahl keine Lösung für die Zerstörung
natürlicher Lebensgrundlagen bereithält, stilisieren sich
hungerstreikende Teenager:innen zu Märtyrer:innen, um mit Olaf
Scholz zu sprechen.
In dieser Ausgabe der
Freien Assoziation geht es um diese
doppelbödigen Versprechen des Landl(i)ebens und der
Naturverbundenheit. Im ersten
Hauptbeitrag »Repressive
Harmonie. Das Lob der Provinz als regressive Antwort auf die
Zumutungen der Moderne« geht
Thorsten Mense vor allem der
Heimatideologie nach, die sich am Landleben festmacht. Dabei folgt
er den Einsichten der Kritischen Theorie über die Gewalt, welche
der vermeintlichen Harmonie innewohnt. Der zweite
Hauptbeitrag von
Tom Thümmler »Die Sehnsucht nach
dem ‚Ursprung‘. Rechte Ökologie und ihre partikulare Affirmation in
der linken Landlust« beschäftigt sich expliziter mit dem
Naturverhältnis, das in der Idealisierung des Landlebens sich
durchschlägt. Der Autor zeichnet nach, wie Fantasien von
Ursprünglichkeit, welche von der gesellschaftlichen Natur des
Menschen absehen, nicht nur in der politischen Rechten, sondern
auch in der Linken Anklang finden. Beide Haupttexte werden wie
üblich von
Kommentaren auch unterschiedlichen Disziplinen
und Perspektiven begleitet und durch Fallvignetten, die die
Erfahrung des Landlebens thematisieren, ergänzt.
In der ersten
Intervention beschäftigt sich
Tom D.
Uhlig unter dem Titel »Angst statt Methode« mit der
Normalisierung der völkischen Rechten im Diskurs um Cornelia
Koppetschs »Die Gesellschaft des Zorns«. Die zweite
Intervention von
Max-Julian Koitzsch & Simon
Kreienbaum befasst sich mit der »geplanten Abschaffung des
Arbeitsbereichs Psychoanalyse an der Goethe-Universität«. Eine
Doppelrezension von
Tobias Heinze »Der Sinn der
Psychoanalyse.
Zwei neue Bücher über das Gehör« schließt das Heft ab.
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