Rezension zu Die Ausnahme des Überlebens

Tribüne 44.Jg. Heft 176

Rezension von Roland Kaufhold

Tiefgründige Analysen

»Ich fühle mich ganz als Fortsetzer meines Vaters und betrachte es als meine Lebensaufgabe, das Werk des Professors in den Dienst einer besseren Weltordnung zu stellen« (E. Federn an A. Freud, 24. 7. 1945; S.938).

Ernst Federn, der am 26. August 2003 seinen 90. Geburtstag gefeiert hat, überlebte. Am 11. April 1945 wurde er von amerikanischen Soldaten in Buchenwald befreit. »Ein psychoanalytischer Pionier.«

Rechtzeitig zu Ernst Federns 90. Geburtstag hat der Wiener Lehrer und Historiker Bernhard Kuschey eine zweibändige, 1082 Seiten starke und schön bebilderte Studie vorgelegt, in der er Ernst und Hilde Federns Lebenserfahrungen umfassend und kenntnisreich aufarbeitet. Das Werk ist das Ergebnis eines über zehnjährigen Forschungsprozesses, in welchem Kuschey in einem »Arbeitsbündnis« (S. 40, 45) in engem, kontinuierlichem Austausch mit Hilde und Ernst Federn stand, umfangreiche Tiefeninterviews mit ihnen führte, zahlreiche Freunde der Federns in den USA sowie in Europa befragte und diese Erhebungen durch Archiv- und Literaturrecherchen ergänzte. Entstanden ist ein in seiner Fülle gelegentlich beinahe überwältigendes Werk, welches dennoch durchgehend gut, phasenweise spannend geschrieben ist und dessen psychologische und historische Interpretationen für mich überzeugend sind.

Dem Inhalt der zwölf Kapitel umfassenden Studie auch nur annähernd gerecht zu werden, ist im Rahmen einer Rezension ausgeschlossen. In den Kapiteln »Herkünfte« und »Jahre des politischen Kampfes: 1934 -1938« sowie »Der Bruch« rekonstruiert Kuschey wesentliche Phasen aus der Lebensgeschichte der beiden jungen, im Freudsehen Wien sozialisierten Intellektuellen. Insbesondere in den Unterkapiteln über Hilde Federns Kindheit in einer kulturell gemischten Familie erfährt. man viel Neues über ihre Ausbildung zu einer psychoanalytisch orientierten Kindergärtnerin »im Roten Wien«.

Den Schwerpunkt der beiden Bände jedoch bilden tiefgründige Analysen von Ernst Federns Lagererfahrungen. Kuschey zeichnet den siebenjährigen Überlebenskampf nach, welcher neben der alltäglichen Bedrohung durch die KZ-Aufseher vor allem durch die Solidarität des Trotzkisten Federn mit »antistalinistischen« politischen Häftlingen geprägt wurde sowie durch die Bedrohung von Seiten der meist kommunistisch dominierten »Häftlingsselbstverwaltung«.

Den Abschluss der Studie bilden die Jahre 1945 – 1948: das »Ende des Konzentrationslagers« (S. 809 ff.), die Befreiung Federns sowie seine »Rückkehr in die zivile Welt« (S. 911), wo er seine Verlobte Hilde wieder traf, deren Photo er während all der Jahre bei sich getragen hatte.

Die monumentale Studie von Bernhard Kuschey ermöglicht es uns »Nachgeborenen«, ihr gemeinsames Lebenswerk nachzuvollziehen. Wir freuen uns, dass diese sorgfältig recherchierte Arbeit noch rechtzeitig zu Ernst Federns 90. Geburtstag erschienen ist, als ein Gruß an den Jubilar, dem viele sehr viel zu verdanken haben.



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