Rezension zu Sterben im Krankenhaus

Psychische Störungen heute, März 2015

Rezension von Volker Faust

Zum Thema: das Hospiz

Wer redet schon gerne darüber, aber es ist auch nicht zu umgehen. Jeder sollte sich einmal Gedanken über das Sterben machen. Wie viele der rund 800.000 deutschen Mitbürger, die pro Kalenderjahr versterben, sich dazu aufraffen konnten, ist und bleibt unbekannt, was durchaus nachvollziehbar ist. Konkreter wird dabei, vor allem im höheren Lebensalter, neben den Fragen »wann und warum« immer häufiger das »wo«. Dabei erscheint den meisten zweierlei klar: Zum einen wollen fast alle ihre letzten Lebenstage im häuslichen Umfeld abschließen. Doch ebenso fast allen ist das nicht vergönnt. Etwa 90 % sterben in Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen. Daran dürfte sich in Zukunft kaum etwas ändern. Seelisch bzw. psychosozial ist dies eher unerfreulich, was die organische Betreuung anbelangt, aber sicher nicht die schlechteste Lösung (wie bei jährlich rund 400.000 Sterbefällen im Krankenhaus praktiziert wird). Aber wie gesagt: in seelischer Hinsicht nicht immer optimal, was aber auch zu Hause nicht unbedingt garantiert sein muss (vor allem, was die heutigen gesellschaftlichen Strukturen und ihre Konsequenzen anbelangt).

Da schiebt sich etwas in den Vordergrund, was zwar durchaus nicht neu ist, in manchen Teilen dieser Erde aber eine längere Tradition hat als bei uns, nämlich das Hospiz. Seit einem viertel Jahrhundert aber spielt es auch in Deutschland eine wachsende Rolle. Im Übrigen in der Anfangszeit bei Neugründungen durch das nähere Wohn-Umfeld nur ungern gesehen, was sich aber inzwischen deutlich ändert.

Im Jahre 2011 gab es bundesweit rund 195 stationäre Hospize und insgesamt an die 1.500 ambulante Hospiz- und Palliativ-Dienste. Trotzdem liegt die Zahl der vorhandenen Plätze weit unter dem tatsächlichen Bedarf. Große Unterschiede bestehen zwischen dem Sterben auf dem Land und in der Stadt. Denn im ländlichen Raum übernimmt noch immer häufiger die Familie die Sterbebegleitung, der Bedarf an stationären Hospiz-Plätzen ist gering. Ganz anders in großen Städten, wo die Wartelisten teilweise so lang sind, dass manche Betroffene in der Wartezeit dann doch ihre letzten Tage zumeist im Krankenhaus verbringen (müssen).

Ziel der Hospize ist es, zur ganzheitlichen Begleitung schwerstkranker und sterbender Personen beizutragen. Das ist vor allem die Schmerztherapie und Symptom-Kontrolle sowie die psychosoziale und seelsorgerliche Begleitung. Das betrifft derzeit pro Jahr knapp 30.000 Personen mit einer durchschnittlichen Verweildauer von rund drei Wochen.

Einzelheiten dazu siehe der nachfolgende Kurz-Beitrag über das Hospiz heute. Dies ist ein Kapitel des empfehlenswerten Sammelbandes »Sterben im Krankenhaus« des Psychosozial-Verlags in Gießen. 20 Experten, zumeist Pflegeexperten, Krankenschwestern, aber auch Theologen, Soziologen, Ärzte, Psychologen, Gesundheitsökonomen, Medizininformatiker, Erziehungswissenschaftler, Juristen, Philosophen, Medizin-Ethiker und sogar Wirtschaftsexperten vermitteln aus ihrer Sicht ein breites Informations-Angebot zu diesem Thema, das man zwar am liebsten umgehen würde, bis man aber in die bedrohliche Nähe des Ereignisfalles gerät. Dann wäre es leichter, wenn man mehr wissen würde. Und dies betrifft nicht nur die Fachleute, vor allem in Medizin und Pflege, sondern jeden, der sich hier ein fundiertes Bild machen will.

Das geschieht in mehr als zwei Dutzend Beiträgen über das erwähnte Hospiz-Angebot, die Perspektiven der Pflegewissenschaft bezüglich des Sterbens im Krankenhaus, vor allem die Intensivstationen, die speziellen Versorgungsstrukturen und -defizite in unserem Gesundheitssystem u.a. Ein Schwerpunkt ist die Gießener Studie zu den Sterbebedingungen in deutschen Krankenhäusern, ein sehr ergiebiges Kapitel mit beeindruckender und vor allem nachdenklich stimmender Statistik, was verfügbares Personal, Ausbildung, Arbeitsklima, Kommunikations Situation, Angehörigen-Integration, Schmerztherapie, Lebenserhaltung und Aufklärung und nicht zuletzt das würdevolle Sterben anbelangt, die Belastung der Betreuenden nicht verschweigend.

Das alles wirft die berühmten offenen Fragen auf: Welche Versorgungs- und Betreuungsqualität wurde bislang erreicht? Wie kann sie weiterentwickelt werden? Was kann die Wissenschaft dazu beitragen und was können alle Beteiligten daraus lernen? Denn beteiligt bzw. betroffen kann jeder werden, das bedarf keiner Diskussion.

Ein nicht einfacher, aber notwendiger Beitrag, bzw. konkret eine aktuelle Bestandsaufnahme zum Thema »Sterben im Krankenhaus« und entsprechende praxisorientierte Anregungen zur Verbesserung der derzeitigen Situation. Für die meisten noch sehr, sehr weit weg. Aber vielleicht gerade deshalb leichter zu studieren und ggf. daraus konkreten Nutzen zu ziehen, erst einmal für andere. Und in der Hoffnung, im eigenen Bedarfsfall für einen selber …

Das Hospiz heute: Möglichkeiten, Grenzen, Erfahrungen

Nachfolgend nun die erwähnte kurze Übersicht zum Thema »Hospiz«, basierend auf dem Kapitel »Das Hospiz – ein Krankenhaus-ersetzender und ergänzender Sterbe- und Lebensort« von Prof. Dr. R. Allert, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats des Deutschen Hospiz- und Palliativ-Verbandes (DHPV):

Noch vor einem viertel Jahrhundert gab es nur die Möglichkeit zu Hause oder im Krankenhaus zu sterben, wobei Letzteres immer häufiger gewählt wurde. Inzwischen hat sich aber die Hospiz Bewegung etabliert, wobei derzeit rund 200 stationäre Hospize mit 6 bis 16 Plätzen zur Verfügung stehen. Dazu kommen rund 2.000 ambulante Hospiz Dienste, die also zu Hause betreuen.

Ziel der Hospize ist es, »stets zur ganzheitlichen Begleitung schwerstkranker und sterbender Personen beizutragen, also zu Schmerztherapie und Symptom-Kontrolle sowie psychosozialer und seelsorgerlicher Begleitung«. Derzeit sind es pro Jahr rund 30.000 Personen, die stationär begleitet werden. Die durchschnittliche Verweildauer liegt bei etwa 3 Wochen.

Warum aber braucht es inzwischen Hospize und weshalb hat die Idee der Hospiz-Bewegung in den letzten Jahren so rasche Verbreitung gefunden?

Im Einzelnen:

Veränderung der Sterbe-Diagnosen: Sterben ist immer individuell, jeder stirbt für sich allein. Dennoch ist der Tod auch ein gesellschaftliches Phänomen, was pro Kalenderjahr – wie erwähnt – mehr als 800.000 Deutsche betrifft. Und deren Lebenserwartung ist erfreulich gestiegen. Das geht vor allem auf die früher so verheerend wütenden Infektions-Krankheiten zurück, die schließlich zur entscheidenden Todes-Ursache werden konnten. Lungen-Entzündungen sind heute kein Thema mehr (mit Ausnahme der Älteren, vor allem Hochaltrigen), dafür Herz-Kreislauf- sowie Tumor-Erkrankungen. Besonders Letzteres kann sich Wochen, ja Monate hinziehen und zu einem erheblichen Versorgungsbedarf werden. Das leitet zum zweiten Aspekt über:

- Veränderung der Haushaltsgröße: Vor über 100 Jahren lebten noch mehr als vier Fünftel der Bevölkerung in Deutschland in einem Haushalt mit drei oder mehr Personen. Mitte des 20. Jahrhunderts waren es nur noch die Hälfte und zur Jahrhundertwende nicht einmal mehr jeder Dritte. Kurz: Rund 70 % leben allein oder zu zweit, wobei dieser Prozentsatz bei Älteren noch höher sein dürfte. Damit schwindet – gewollt oder ungewollt – die objektivierbare Möglichkeit, schwerstkranke Personen in der eigenen Wohnung über einen längeren Zeitraum angemessen zu versorgen. So blieb vielfach nichts anderes übrig, als sie aufgrund des langen und gewachsenen Betreuungs-Aufwandes in ein Krankenhaus zu verlegen (manche meinen auch: abzuschieben).

- Verlust von Sterbe-Erfahrung: Dazu kommen noch andere Aspekte wie eine zunehmende Mobilität der Bevölkerung, was Eltern- und Kinder-Generationen oft räumlich weit auseinanderbringt und eine direkte Betreuung damit unmöglich macht. Oder die wachsende Erwerbstätigkeit, inzwischen auch der Frau, was ebenfalls eine Tag-Nacht- sowie wochen- oder gar monatelange Betreuung kaum mehr leistbar werden lässt. Auch die immer höhere Lebens-Erwartung spielt dabei eine Rolle, und zwar nicht nur des Sterbenden, sondern auch seines direkten Umfeldes. Und nicht zuletzt die letztlich verloren gegangenen Erfahrungen in der Pflege und Begleitung von Menschen in der letzten Lebensphase, was sich sogar in einem hohen Maß von Hilflosigkeit im Umgang mit Sterbenden ausdrückt.

- Fehl-Belegung im Krankenhaus: Auch ein Krankenhaus diagnostiziert und behandelt, sprich pflegt, aber möglichst mit dem Ergebnis, die bedrohte Gesundheitslage zu bessern (von Heilen sprechen die Mediziner nur ungern, das ist ein zu großes Wort). Und wichtig: danach entlassen können. Damit sind Schwerstkranke soweit »aus-diagnostiziert und aus-therapiert« und deshalb nicht mehr zwingend einer vollstationären Akut-Versorgung bedürftig, verwaltungstechnisch gesehen eine Fehl-Belegung. Was übrigens auch die Krankenkassen kritisch hinterfragen (und durch eigene Kontroll-Institutionen wie den Medizinischen Dienst (MDK) auch konsequent kontrollieren, gesetzlich gestützt).

Das führte letztlich zu der menschenunwürdigen Konsequenz, dass Schwerstkranke und Sterbende häufig als die erwähnte »Fehlbelegung« interpretiert werden. Aber in der eigenen Wohnung, selbst bei Betreuung durch Sozialstationen, geht es oftmals nicht mehr. Und ein Heimplatz ließ und lässt sich auch heute noch spontan kaum finden, schon gar nicht für wenige Wochen oder Tage.

So griff man auf bereits gemachte Erfahrungen aus dem angelsächsischen Raum zurück, wo das Hospiz »als Ort des Sterbens und des Lebens« eine für alle Seiten positive Entwicklung genommen hat. Verstanden wurde es nicht nur als Gebäude und Ort, sondern auch als ganzheitliche Begleitung Schwerstkranker und Sterbender, vor allem durch eine qualifizierte Schmerztherapie, Symptomkontrolle, psychosoziale und seelsorgerliche Begleitung. Parallel dazu fingen aber auch die Krankenhäuser an, Palliativeinheiten einzurichten, was sich ebenfalls immer mehr durchsetzt und zur allseitigen Erleichterung und Unterstützung beiträgt.

Die Grund-Konzeption der Hospize

Basis der Überlegungen und schließlich Konzeptionen ist es, dem Sterbenden und seinen Bedürfnissen durch ganzheitliche Begleitung ein möglichst hohes Maß an Lebensqualität, an Autonomie und Selbstbestimmung zu bewahren. Dabei gibt es allerdings Unterschiede bezüglich der jeweiligen Schwerpunkte, denn jedes Hospiz verfügt zumindest teilweise über andere Strukturkonzepte. Vorrangiges Ziel ist allerdings zunächst trotz schwerer Krankheit ein dauerhaftes oder möglichst langes Verbleiben in der eigenen Wohnung bzw. der vertrauten Umgebung (z.B. Altenheim) zu gewährleisten, also zuerst die ambulante Versorgung sicherzustellen.

Hospizliche Begleitung aber endet nicht mit dem Tod und umfasst auch nicht nur diesen. Sie schließt auch die Nahestehenden mit ein und damit eine anschließende Trauer-Begleitung der Hinterbliebenen. Gleichzeitig gilt es einen Beitrag zur Ent-Tabuisierung von Tod und Sterben in unserer Gesellschaft zu leisten oder umgekehrt das Sterben in das Leben zu integrieren. Kurz: Hospize sehen sich nicht nur als Orte des Sterbens, sondern auch des Lebens. Dies wird vor allem gestützt durch das Kommen und Gehen von Gästen und Gastgruppen, von Besucher-Kaffee, gemeinsamen Veranstaltungen, Festen und Feiern, von Ausstellungen, Informationen, Schulungen usw. Und dies jeweils im Hospiz-Gebäude, was auch dessen wohnlichen Charakter fördert.

Realisierbar ist dies allerdings nur durch ein multiprofessionelles Team: Das sind Ärzte und Pflegemitarbeiter, die in Palliativ-Medizin und -Pflege geschult sind sowie – teilweise alternativ – Psychologen, Theologen oder Sozialarbeiter. Wichtig auch das ehrenamtliche Engagement und die Nachbarschaftshilfe. Bedeutsam dabei die kontinuierliche Fort- und Weiterbildung sowie Supervision.

Wie geht es weiter?

Ziel ist es nicht, überall neue Hospize zu errichten, sondern in den vorhandenen Institutionen hospizliche Elemente zu integrieren. Das ist nicht einfach, macht aber Fortschritte.

Daneben kommt es aber auch in der Hospiz-Bewegung zu einer weiteren Differenzierung. So gibt es inzwischen eine Vielzahl ambulanter und inzwischen auch stationärer Kinder-Hospize, die den besonderen Bedürfnissen schwerstkranker Kinder und ihrer Familie gerecht werden müssen. Außerdem wird derzeit die spezialisierte ambulante Palliativ-Versorgung (SAPV) flächendeckend auf- und ausgebaut (das bereits erwähnte Ziel: der längere Verbleib in der eigenen Wohnung oder vertrauten Umgebung). Hier gibt es allerdings noch Probleme, insbesondere nachts und am Wochenende. Das führt immer noch zu eigentlich vermeidbaren Einweisungen in eine stationäre Versorgungsform, es entwickelt sich aber etwas.

Möglichkeiten, aber auch Grenzen

Es hat sich vieles verbessert, doch jetzt besteht nach und nach die Gefahr der Überschätzung der Möglichkeiten eines Hospizes. »Denn Tod und Sterben können weiterhin hart und schmerzhaft bleiben. Und es gibt nicht nur ein friedliches Verabschieden nach einem erfüllten Leben. Oftmals ist die Sinn-Frage nicht leicht zu beantworten. Oder es bleiben Probleme ungelöst, die sehr individuell gelagert sind« (R. Allert).

Und bei Teilfragen besteht weiterhin erheblicher Verbesserungsbedarf. Das betrifft beispielsweise Personen mit Demenz und ihre spezifischen Kommunikations-Schwierigkeiten. Oder solche mit Migrationshintergrund und ihren besonderen Aspekten was Kultur, Religion oder überhaupt einen anderen Wertehorizont anbelangt.

Und schließlich gibt es – vor allem aus administrativen, sprich finanziellen Zwängen heraus – Entwicklungen, die nicht wünschenswert sind: nicht für die Hospize, auch nicht für das Krankenhaus, schon gar nicht für die Betroffenen. Es ist die offensichtliche Fehlentwicklung, dass einzelne Kliniken im so genannten DRG-Zeitalter (Abrechnung von Krankenhauspatienten über feste Fallpauschalen) Schwerstkranke und Sterbende mit sehr begrenzter Restlebenserwartung noch für kurze Zeit in ein Hospiz verlegen, um Kosten zu sparen. Für die Sterbenden bedeutet das aber lediglich Stress, ohne die besonderen Möglichkeiten des Hospizes noch nutzen zu können. Hier ist eine vernünftige Zusammenarbeit und vor allem Abstimmung noch verbesserungsbedürftig. Eine Verlegung für noch wenige Stunden oder auch nur wenige Tage aus finanziellen Gründen ist nicht hinnehmbar.

Schlussfolgerung

Trotz aller Schwierigkeiten, vor allem administrativer Probleme, ist die Hospiz-Bewegung im bundesdeutschen Gesundheitswesen eine einzigartige Erfolgs-Geschichte, wie der Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirates des Deutschen Hospiz- und Palliativverbandes (DHPV) Prof. Dr. R. Altert, mit Fug und Recht behaupten kann. Jetzt gilt es noch, ungelöste Probleme bezüglich Kooperation, Vernetzung und Abstimmung zwischen Hospiz und Krankenhaus sowie anderen Leistungserbringern zu klären, um hospizlichen Elementen überall zur Hilfe zu verhelfen.

Das dürfte gelingen. Denn jeder weiß: Auch sein Leben ist begrenzt. Und wie sein Abschluss aussehen soll, das wird ja von allen weitgehend gleich erhofft.

zurück zum Titel