Rezension zu Rechtsextremismus der Mitte und sekundärer Autoritarismus

der Freitag vom 12. März 2015

Rezension von Ulrike Baureithel

Wer driftet mit?
Sozialpsychologie
Noch ohne Daten zu Pegida erkennt die neueste Rechtsextremismus­Studie einen Trend zum Guten
Ulrike Baureithel

Nach Pegida ist vor Pegida? Die politischen Zeitläufte am rechten Rand der Republik verändern sich rasant. Im Frühjahr 2014 war von Pegida noch nichts am Horizont zu erahnen, dann kam der fulminante Aufstieg und vor einem Monat der noch dramatischere Niedergang. Ob vorläufig, bleibt abzuwarten. Für Forscherteams wie das um Elmar Brähler, Oliver Decker und Johannes Kiess von der Universität Leipzig, das seit 2002 im Zweijahresrhythmus repräsentative sozialpsychologische Studien über rechtsextreme Einstellungen in Deutschland vorlegt, ist dieses Tempo nur schwerlich einholbar. Doch sie bemühen sich, wie ihre neue Veröffentlichung »Rechtsextremismus der Mitte und sekundärer Autoritarismus« belegt.

Die gute, kaum glaubhafte Nachricht trotz Pegida ist: Die Zustimmung für rechtsextreme Einstellungen ist in beiden Teilen der Bundesrepublik gesunken. Mag sein, dass hier genau die oben erwähnte zeitliche Verschiebungszone ins Spiel kommt, aber die zwischen dem 20. Februar und 6. April 2014 erhobenen Felddaten lassen den Schluss zu: Die Deutschen sind moderater geworden. Sie hängen nicht mehr ganz so stark autoritären Politikmodellen an, sind generell weniger ausländerfeindlich, verharmlosen nicht mehr ganz so nonchalant den Nationalsozialismus oder diffamieren Juden. Jeder einschlägig bemühte Politiker aus der Union könnte sich nun also entspannen und die verbleibenden Mitläufer einfach einsammeln.

Aber so einfach ist es leider nicht. Denn der »Extremismus der Mitte«, wie dieses Konzept – übrigens in Anschluss an Soziologen der Weimarer Republik wie Theodor Geiger, Hans Speier und anderen, die das Land 1933 verlassen mussten – von dem US­amerikanischen Soziologen Seymour Lipset in den Diskurskreislauf gebracht wurde, ist weiterhin virulent. Bis 2012 stieg er unvermindert an und flachte dann plötzlich ab. Sind die Kleinbürger, die Angestellten, die Abstiegsgefährdeten mittlerweile einfach durch eine Aufklärungsschleuder gegangen? Haben sie eine Demokratieklausur absolviert und erkannt, was ausländische Mitbürger »uns« bringen?

In gewisser Hinsicht stimmt das sogar. Die Aussagen zu Ausländerfeindlichkeit allgemein etwa sind seit dem Hoch von 2012 vor allem in Ostdeutschland zurückgegangen, von 38,7 auf 22,5 Prozent, gleiches gilt für chauvinistische Einstellungen. Doch nur bestimmte Gruppen profitieren vom Rückgang des rechtsextremistischen Einstellungspotenzials. Immer mehr Menschen sind dagegen überzeugt, dass zu viele Muslime und Sinti und Roma nach Deutschland einwandern, Letztgenannte zu Kriminalität neigen und man sich deshalb wie ein »Fremder im eigenen Land« fühle. Das betrifft vor allem Westdeutschland (45,4 Prozent der Befragten im Westen, 33,9 im Osten). Über 90 Prozent der Probanden indessen halten an der Demokratie als Staatsform fest, während sie für die Europäische Union relativ wenig Leidenschaft entwickeln: Nur knapp 42 Prozent im Westen und 36 Prozent im Osten sind davon überzeugt, dass sie Vorteile bringt.

Um diese widersprüchlichen Daten zu interpretieren, greift Oliver Decker in seinem Beitrag auf einen schon in den früheren Untersuchungen eingeführten Begriff zurück, den »Wohlstand als narzisstische Plombe«. Das Wirtschaftswunder diente den Deutschen schon in den 50er und 60er Jahren dazu, Kränkungen abzuwehren. Die wirtschaftliche Stabilität Deutschlands ist, sagt Decker, auch heute der wichtigste sozialpsychologische Stabilisator: »Die Wirtschaft ist gleichsam ›sekundärer Führer‹«, um den Preis, dass »die Gegenwartsgesellschaft mit ihrem Primat des Ökonomischen einer autoritären Dynamik unterliegt.« Wer sich aber der Gewalt des Markts ausliefert, entwickelt Aggressionen gegenüber denjenigen, die als schwach wahrgenommen werden oder sich seinem Zugriff entziehen. Sozialhilfeempfänger, Obdachlose, Migranten aus fremden Kulturen wie dem Islam und Sinti und Roma bieten sich hierfür an.

Die Unterschiede in den einzelnen Bundesländern sind auffällig, allerdings von der Datenlage her vorsichtig zu beurteilen. In von der katholischen Soziallehre beeinflussten etwa sind sozialdarwinistische Einstellungen viel weniger ausgeprägt als im protestantischen Norden. Dort nehmen die Autoren zum ersten Mal auch die Wähler der AfD in den Blick und vergleichen sie mit der NPD, mit zu erwartenden Ergebnissen: Diese sind zwar mehrheitlich männlich und stehen sich bezüglich der Abwertung »anderer« und ihrer europakritischen Einstellung nahe, die AfD ist aber nicht einfach nur eine Konkurrenz für die NPD, sondern wildert in fast allen Parteien. Den weitaus erhellenderen Beitrag steuert Nils C. Kumkar bei, der ein hübsches Porträt der »Mandarine« zeichnet, von jenen in der Nachfolge der Rechtskonservativen der Weimarer Republik wiederauferstandenen »Männern auf verlorenem Posten«, die sich wie Bernd Lucke, aus Enttäuschung, nicht mehr gehört zu werden, für einen »dritten Weg« entschieden haben und ihren grundsätzlich »bestehenden Konformismus« nun »rebellisch« wenden.

In Bezug auf die Europa­Analyse schlägt dagegen die soziologische Neigung zum Idealtypus durch. Die Autoren filtern Surfer, Drifter und Depressive aus, die Ersteren am gesellschaftlichen Transformationsprozess beteiligt, die anderen mitschwimmend und die Letzteren sich verweigernd durch Protest. Gemeinsam ist allen, dass wer sich von den Zumutungen des Modernisierungsprozesses überfordert fühlt und rechtsextrem eingestellt ist, sich auch von der europäischen Integration bedroht fühlt.

Eine lobenswerte Neuerung ist die Vorstellung zivilgesellschaftlicher Initiativen, die sich »gegen rechts« aufgestellt haben. Britta Schelenberg beleuchtet noch einmal den Fall Mügeln und kommt zum Ergebnis, dass dabei vier Muster eine Rolle spielten: Autoritarismus, Rassismus, Ost­West­Befindlichkeiten und das Extremismuskonzept. no­nazi.net versucht, den Internetkampagnen der NPD und der sogenannten identitären Bewegung zu begegnen. Die Aktion Schutzschild der Amadeu­Antonio­Stiftung will eine »Willkommenskultur« für geflüchtete Menschen etablieren.

Wie das Autorenteam wohl das Phänomen Pegida erklärt hätte und ob es umstandslos in das Konzept »sekundärer Autoritarismus« aufgegangen wäre? Diese nachreichende Aufklärung steht in einer folgenden Untersuchung noch aus.

Rechtsextremismus der Mitte und sekundärer Autoritarismus / Oliver Decker, Johannes Kiess, Elmar Brähler (Hrsg.), Psychosozial­Verlag 2015, 208 S., 19,90 €

www.freitag.de

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