Rezension zu Warum Singen glücklich macht
Neue Osnabrücker Zeitung vom 16. Februar 2015, Gut zu wissen, Seite 24
Rezension von Waltraud Messmann
Hilft beim Spracherwerb
Singen bekommt nur die besten Noten
Oldenburg. Im Auto, unter der Dusche oder im Chor – Singen tut dem
Menschen gut. Dabei ist es viel mehr als nur ein schöner
Zeitvertreib, betont der Oldenburger Musikwissenschaftler Gunter
Kreutz. Schon für den Spracherwerb in der frühen Kindheit spiele es
eine wichtige Rolle.
Unter dem Titel »Warum Singen glücklich macht« hat Kreutz die erste
umfassende Analyse wissenschaftlicher Publikationen, die nicht
professionelle Sänger/-innen in den Mittelpunkt rückt, erstellt.
Seit 2008 Hochschullehrer für Systematische Musik an der
Universität Oldenburg, blickt er auf ausführliche Forschungen zur
Verbindung zwischen Musik und dem menschlichen Wohlbefinden zurück.
Sein Fazit lautet: »Singen schlägt ganz viele Fliegen mit einer
Klappe.«
Kinder besingen
Kleine Kinder würden oft singen, bevor sie richtig sprechen,
erläutert der Experte. Eltern sollten deshalb beachten, »dass
Kinder vor allem in den Phasen ab der Geburt bis zu den ersten
Lautäußerungen besungen sein wollen«. Singen sei eine exzellente
Sprachförderung, die der Lautproduktion, der Stimmkontrolle und der
phonologischen Bewusstheit beim Hören zugutekomme, betont der
Experte gegenüber unserer Redaktion.
Der enge Zusammenhang zwischen Sprache und Singen sei auch durch
die Ergebnisse der Hirnforschung nachgewiesen. »Es zeigt sich eine
Überlappung zwischen den Regionen, die für Sprache und
Musikverarbeitung zuständig sind«, so Kreutz. Daraus könne
abgeleitet werden, dass die Domänen Sprache und Musik über das
Singen in engem Verhältnis zu sehen seien. »Das kann man auch noch
im Erwachsenenalter und bei alten Menschen sehr gut beobachten, ist
also nicht auf die Sprachentwicklung in der Kindheit begrenzt«,
betont der Experte.
Statt die kindliche Lust am Singen auch in Kindergärten und
-tagesstätten aber zu fördern, würde heute weniger gesungen als
früher, kritisiert er. Dieser Trend setze sich auch in der
Grundschule fort. Kreutz fordert, ihn zu stoppen. Erzieherinnen und
Erzieher müssten eine kindgerechte stimmbildnerische Ausbildung
erhalten. Nach seinen Schätzungen ließe sich das bundesweit mit
einem vermutlich niedrig zweistelligen Millionenbetrag
verwirklichen. »Und wenn man die gesparten individuellen
Sprachtherapien und Sprachförderungen einmal ehrlich gegenrechnet,
kommt man vermutlich recht schnell ins Plus«, so der Experte.
Die Segnungen des Singens gingen aber über das Kindesalter weit
hinaus, sagt Kreutz. Es fördere die Dynamik der Stimme, den
Stimmumfang, die Muskulatur sowie den Atemapparat. »Schon auf der
nächsten Ebene aber hat das Singen auch psychische Wirkungen, löst
positive Gefühle aus und baut Stress ab.«
Dem Chorsingen spricht Kreutz dabei einen besonderen »Nutzen für
die Gesundheit sogar mit gesellschaftlicher Tragweite zu«. Weil das
gemeinsame Singen häufig zu sozialen Kontakten und längerfristigen
Bindungen führe, trage es noch zusätzlich zu unserem Wohlbefinden
bei. So fänden zum Beispiel Menschen, die einen Schicksalsschlag
erlitten hätten, in Chören oft nachhaltige Unterstützung.
»Wenn wir das Singen konsequenter in Kindergärten und Grundschulen
förderten, hätte das auch Vorteile hinsichtlich der viel
beschworenen kulturellen Teilhabe, der Integration von
Einwanderern, der Inklusion von behinderten Menschen und der
Förderung eines insgesamt humaneren Klimas in der Gesellschaft«,
meint der Experte.
So habe sich in einer Langzeitstudie an mehreren Berliner
Grundschulen gezeigt, dass sich durch Musikunterricht die soziale
Kompetenz der beteiligten Kinder deutlich steigern lasse. Im Rahmen
der sogenannten »Bastian-Studie« wurden von 1992 bis 98 die Schüler
von sieben Berliner Grundschulen untersucht: Schüler mit
verstärktem Musikunterricht wurden mit Schülern mit regulärem
Musikunterricht verglichen.
Gut für IQ?
Das Ergebnis: In den speziellen Musikklassen hatte die Zahl
ausgegrenzter Schüler abgenommen. Der Anteil der Kinder, die keine
einzige Ablehnung durch ihre Klassenkameraden erhielten, war
doppelt so hoch wie in der Kontrollgruppe mit regulärem
Musikunterricht. Außerdem wurde bei den Kindern der Klassen mit
mehr Musikunterricht gegen Ende des Untersuchungszeitraums eine
messbare Steigerung des Intelligenzquotienten gegenüber der
Kontrollgruppe festgestellt.
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