Rezension zu Unpolitische Wissenschaft?
Fromm Forum 18 / 2014
Rezension von Rainer Funk
Review Peglau, A.: Unpolitische Wissenschaft?
Rainer Funk
Andreas Peglau, zur Zeit der Wende der wirkungsvollste Vermittler
der Psychoanalyse und des Frommschen Denkens in den ostdeutschen
Bundesländern, hat nicht nur die Zeitschrift »Ich. Die
Psychozeitung« gegründet und acht Jahre lang herausgegeben; vor
kurzem erschien von dem inzwischen in freier Praxis arbeitenden
Psychoanalytiker die Druckfassung seiner Dissertation. Ein Blick in
die über 600 Seiten umfassende Arbeit zeigt, dass er der
Psychoanalyse auf eine verdienstvolle, weil kritische Weise treu
geblieben ist.
Peglau interessierte sich schon immer für die politische Dimension
und Sensibilität der Psychoanalyse. Darum galt sein Interesse
nicht nur Erich Fromm, sondern auch Willhelm Reich (1897-1957), der
1933 mit dem Buch Massenpsychologie des Faschismus die erste
Abhandlung eines Psychoanalytikers über die »rechten«
Massenbewegungen veröffentlichte. Bis heute ist diese Abhandlung
der ausführlichste und – neben Fromms Analysen des deutschen
Nationalsozialismus – einzige psychoanalytische Versuch geblieben,
eine spezifische und umfassende Theorie der psychosozialen Basis
des Faschismus zu formulieren.
Geschrieben hatte Reich seine Massenpsychologie zwischen 1930 und
1933 in seiner Berliner Zeit, über die es bislang nur wenige
Informationen gab. Auf Grund seiner jahrelangen Recherchen konnte
Peglau diese Lücke weitgehend schließen. Die Beschäftigung mit
Reich führte ihn zwangsläufig dazu, auch die Situation der
Psychoanalyse im NS-Staat zu erforschen. Hier stieß er auf Befunde,
die zu einer neuen Sicht und Beurteilung dieser dunklen Seite der
deutschen Psychoanalyse führen. Die Psychoanalyse als solche war
nämlich keinesfalls einer solchen Verfolgung ausgesetzt, wie
es
meist angenommen wird.
Wenn Analytiker zu NS-Opfern wurden, dann nie, weil sie Analytiker
waren, sondern wegen ihrer jüdischen Herkunft oder wegen ihrer
widerständigen, vor allem »linken« Äußerungen oder Aktivitäten.
Der einzige Psychoanalytiker, der wegen seines politischen
Engagements aus Deutschland ausgewiesen und 1939 aus Österreich
ausgebürgert wurde, war Wilhelm Reich. Weder Sigmund noch Anna
Freud wurden ausgebürgert. Wesentliche Aspekte der Psychoanalyse,
insbesondere des therapeutischen Wissens wurden dagegen von
NS-Verantwortlichen toleriert und innerhalb des NS-Systems
pragmatisch genutzt. Der Verzicht auf eine umfassende Verfolgung
zeigte sich bereits bei der Bücherverbrennung 1933, wo neben
Freuds Schriften nachgewiesener Maßen nur Bücher von Anna Freud,
Siegfried Bernfeld und Wilhelm Reich verbrannt wurden. Bei dem im
Mai 1933 eingeleiteten Publikationsverbot wurden nur zwei Schriften
von Freud zur Indizierung vorgeschlagen. Wilhelm Reich allerdings
ereilte ein Gesamtverbot; auch Fromms Die Entwicklung des
Christusdogmas war betroffen. Ein Komplettverbot psychoanalytischer
Literatur war jedoch nie geplant und erfolgte auch nie.«
Dass es kein pauschales Verbot oder gar eine »Ausrottung« der
Psychoanalyse gab, lag nicht zuletzt an der Anpassung der in
Deutschland verbliebenen Analytiker und der ihnen dabei gewährten
Unterstützung durch die Internationale Psychoanalytische
Vereinigung (IPV). Ein prominentes »Opfer« der Anpassung war auch
hier Wilhelm Reich, der nicht zuletzt wegen seiner gegen den
Faschismus gerichteten Publikationen aus den psychoanalytischen
Gesellschaften ausgeschlossen wurde.
Die Strategie aber, dass die Psychoanalyse sich jeder offiziellen
Anwendung ihrer Erkenntnisse auf die Politik zu enthalten habe,
wurde fortan zum Programm: Die zuvor oftmals gesellschaftskritische
Freudsche Lehre verkümmerte zusehends zur bloßen Therapiemethode
und verlor damit ihre gesellschaftliche Relevanz. Einer der wenigen
Psychoanalytiker, die als »Dissidenten« die gesellschaftskritische
Funktion der Psychoanalyse weiter pflegten, war Erich Fromm, dem
man deshalb auch in den Fünfziger Jahren eine erneute
Mitgliedschaft in der IPV verweigerte.
Sicher haben in unseren Jahren noch andere Entwicklungen dazu
beigetragen, dass die deutsche Psychoanalyse – trotz eines
Alexander Mitscherlich oder Horst-Eberhard Richter – ihre
gesellschaftskritische Funktion nicht wiedergefunden hat. Das
Verdienst der spannend zu lesenden Recherche Peglaus liegt darin,
im Umgang mit Wilhelm Reich und der Anpassung der Psychoanalyse an
die herrschenden Verhältnisse eine für die Psychoanalyse
schicksalhafte historische Weichenstellung dokumentenreich
aufgezeigt zu haben.
Andreas Peglau: Unpolitische Wissenschaft? Wilhelm Reich und die
Psychoanalyse im Na- tionalsozialismus. Mit einem Vorwort von
Helmut Dahmer, Gießen (Psychosozial-Verlag), 2013, 635 Seiten;
ISBN: 978-3837-920970, Euro 44,90. Das Buch enthält auch einen 50
Seiten umfassenden Dokumentenanhang.
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