Rezension zu Befreiungsbewegung für Männer
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Rezension von Prof. Dr. Heinz Bartjes
Thema und Entstehungshintergrund
Paul-Herrmann Gruner und Eckhard Kuhla legen in diesem Sammelband
21 Beiträge (»Essays und Analysen«) verschiedener AutorInnen vor,
die um das Thema »Befreiungsbewegung für Männer« kreisen.
Ausgangspunkt ist für die beiden Herausgeber, dass das
»feministische Zeitalter« an seinem Ende angekommen sei; nach vier
Jahrzehnten »einseitiger« Mädchen- und Frauenforschung sei die
Gleichberechtigung der Frau erreicht: »Gleichberechtigung ist
zumindest in Europa keine Frage und keine Aufgabe mehr« (S. 24).
Stattdessen sei nun eine »Befreiungsbewegung für Männer« angezeigt,
deren offensiveres Auftreten als »überfällige weltanschauliche
Korrektur« gesehen werden müsse.
Die Herausgeber werden als bildender Künstler und freier Journalist
(Gruner) und als »Strategieverantwortlicher in einem großen
Mobilitätsunternehmen« und Kabarettist (Kuhla) vorgestellt.
Aufbau
Die 21 Beiträge sind nach vier Oberthemen gegliedert.
I. Ideologiekritik und Männerperspektiven oder Die Rosinenpickerei
des versteinerten Feminismus
Nach einer Art Einleitung und Einführung in die jeweiligen Texte
folgen fünf Texte:
Gerhardt Amendt arbeitet die «Opferverliebtheit des Feminismus«
heraus.
Karin Jäckel, Journalistin, prangert die »Heroisierung« der
alleinerziehenden Mutter in der modernen Gesellschaft an und
markiert als die eigentliche Ursache des Phänomens der
Vaterlosigkeit die »Ideologie von Marx und Lenin, Engels und
anderen kommunistischen Größen« (S. 68).
Karl-Heinz B. von Lier, Philologe und Theologe, unternimmt einen
»fairen Versuch, begreifen zu wollen, was Gender Mainstreaming ist«
(S. 92) und sieht diesen als »im Kern marxistisch« (S. 94)
geprägt.
Auch Susanne Kummer, Journalistin, widmet sich dem »ideologischen
Konstrukt von Gender Mainstreaming« und kritisiert in diesem
Kontext vor allem die sozialkonstruktivistische Theorie.
Astrid von Friesen, Journalistin und Diplompädagogin, sichtet die
Sozialisationsbedingungen vier verschiedener Männergenerationen mit
dem Ergebnis, dass männliche Gefühle ausgeblendet worden seien -
dies vor allem durch den »männerverachtenden« Feminismus, der eine
Gefühls- und Meinungshoheit in der Gesellschaft besitze.
II. Macht und Ohnmacht oder: Angriffe auf den Herrschaftsraum der
Klischees
Das Thema von Arne Hoffmann, Medienwissenschaftler, ist die
»gezielte berufliche Diskriminierung von Männern«. Er entdeckt eine
»gigantische Desinformationskampagne durch sämtliche Medien, die
dem Durchschnittsbürger einreden soll, dass Frauen noch immer im
Berufsleben benachteiligt würden« (S. 164).
In einem Gespräch mit dem Sozialwissenschaftler Klaus Hurrelmann
wird den Benachteiligungen von Jungen auf verschiedenen Ebenen
nachgegangen.
Beate Kricheldorf, Diplom-Psychologin, bemüht sich in der
Diskussion um »Häusliche Gewalt« zwei Mythen zu entlarven: »1. Nur
physische Gewalt ist beachtenswert und zu ächten. 2. Gewalt ist
überwiegend männlich« (S. 189).
In einem Gespräch mit Christine Bauer-Jellinek, Wirtschaftscoach
und Psychotherapeutin, werden »Paradoxien des Feminismus«
ausgelotet.
Am Ende des zweiten Oberthemas beschäftigt sich noch einmal Arne
Hoffmann in einem am ehesten als Polemik zu bezeichnenden Beitrag
mit den »zwanghaften und scheindemokratischen Doppelungen« in den
Ausformungen der deutschen Sprache, die versuchen,
geschlechtersensibel zu formulieren.
III. Männer und Männlichkeit(en)
Matthias Stiehler, Theologe und Erziehungswissenschaftler,
untersucht Männergesundheit als Ausdruck der
Geschlechterdynamik.
Marc Luy verweist in seiner Klosterstudie darauf, dass sich an
diesem exklusiven Ort die Lebenserwartung von Frauen und Männern
angleichen.
Hans-Joachim Lenz, Sozialwissenschaftler, richtet den Blick auf die
kulturelle Verdrängung der gegen Männer gerichteten Gewalt und
kommt in seinem Fazit, als einer der wenigen AutorInnen in diesem
Band, zu der Perspektive, dass das notwendige Aufarbeiten bislang
vernachlässigter Daten über Männer nicht zu einer Frontstellung
gegen Frauenemanzipation führen darf.
Wolfgang Schmidbauer, Psychoanalytiker, schildert aus seiner
psychotherapeutischen Beratungspraxis Männer, die aus der
Beziehungsdynamik zwischen Mutter und Kind herausfallen.
IV. Initiation, Initiative und Bewegung
Warren Farrell, US-amerikanischer Männerrechtler, denkt darüber
nach, warum es so viel (aus seiner Sicht: »blinde«) Wut auf Männer
gibt und wie sie zu beenden sei.
Claudia Fischer, Philosophin, geht dem Verlust von
Initiationsritualen (»Weihefestespiele des Erwachsen-Werdens«, S.
356) nach und interpretiert moderne Phänomene, die gerade von
Jungen nachgefragt werden (wie Computerspiele), vor diesem
Hintergrund.
Markus Theunert, männerpolitisch in der Schweiz engagiert,
bilanziert die Folgen »traditioneller Männlichkeit« und
positioniert eine »neue Männerpolitik« als »Teil einer größeren
Gleichstellungsallianz im Dienst von Chancengleichheit und
Geschlechterdemokratie« (S. 375).
Martin Verlinden, Diplom-Psychologe, denkt, persönlich und
politisch, über »selbstbewusste Vaterschaft« nach und welche Hürden
- etwa im Erwerbsleben und in der Rechtssprechung - dieser entgegen
stehen.
Eckhard Kuhla resümiert in seinem »Praxisbericht« benannten Beitrag
den Versuch, in einer Kommune einen Männerbeauftragten zu
etablieren. Sein Fazit: »Nicht die Einbeziehung der Männerarbeit in
die politisch verordnete Gleichstellungspolitik, sondern eine von
den Männern initiierte Freistellung von der herrschenden
Gender-Politik kann den Weg in eine Männerbefreiung vorbereiten«
(S. 413).
Diskussion
Der Sammelband ergibt ein sehr uneinheitliches, widersprüchliches
Bild: Die Hauptströmung der meisten Beiträge wird beispielhaft im
Einführungsartikel von Gruner formuliert. Hier werden verschiedene
Topoi, Argumentationsmuster entwickelt, die in anderen Beiträgen
wieder auftauchen. Solche Topoi sind etwa:
Die Gleichberechtigung der Frauen in modernen westlichen
Gesellschaften ist dank völlig einseitiger Förderung von Mädchen
und Frauen erreicht - jetzt sind die Männer dran.
DER Feminismus (oder auch: der »institutionalisierte Feminismus«;
S. 14) ist verantwortlich für die systematische Vernachlässigung
und Verunglimpfung der Jungen und Männer - Differenzierungen
feministischer Theoriebildung nach verschiedenen Konzepten und
historischen Prozessen kommen nicht vor.
Männliche Forschende, die an Erkenntnisse feministischer Autorinnen
anknüpfen, werden als »Feminist«, als »domestizierter Mann«
eingestuft, dessen »eigene Ratio außer Betrieb« (S. 10) gesetzt
sei. Hierunter fallen etwa Horst Eberhard Richter oder Frank
Schirrmacher (S. 211).
Komplexe gesellschaftliche Entwicklungen werden umstandslos und
nicht belegt DEM Feminismus oder wahlweise »kommunistischen,
sozialistischen Größen« (S. 68) als Verursacher zugeordnet.
Der Argumentationsgang der meisten Beiträge besteht vor allem aus
Behauptungen, empirische Belege werden kaum vorgelegt bzw.
vorliegende empirische Erkenntnisse, die nicht in die Argumentation
passen, weg gelassen. Entsprechend finden sich häufig
Formulierungen wie »Nach meinen Recherchen« (S. 60), denen dann
aber keine Hinweise folgen, wie und wo diese Recherchen
stattgefunden haben. Manche Beiträge stehen folgerichtig auf sehr
dünner Materialbasis. So kommt etwa der Beitrag von Jäckel auf 32
Seiten mit 5 Quellenangaben aus.
Manche der AutorInnen sind mit ihren Positionen auch einschlägig
politisch aktiv: Gerhard Amendt etwa wurde im Juni 2009 einer
größeren Öffentlichkeit bekannt, als er in der Online-Ausgabe der
Tageszeitung »Die Welt« zu einer Abstimmung zu der Frage
»Frauenhäuser abschaffen?« aufrief. Amendt fordert die Abschaffung
dieser »Welt des Männerhasses«; in Frauenhäusern pflegen
Ideologinnen ihren Männerhass, mit ihrer antipatriarchalen
Kampfrhetorik würden sie verwirrte Frauen in »die Opferposition«
hineinmanipulieren (vgl. etwa taz« vom 23.06.2009).
Neben dieser Hauptströmung gibt es in dem Sammelband einige wenige
differenzierter argumentierende Beiträge, wie die von Lenz oder
Theunert. Das angesprochene widersprüchliche Bild ergibt sich
dadurch, dass die völlig unterschiedlichen, sich z.T.
widersprechenden Beiträge nicht miteinander in Verbindung gebracht,
nicht diskutiert, nicht ausgehandelt werden. So stellt sich dem
Rezensenten die Frage, ob Autoren wie Lenz und Theunert eigentlich
wussten, in welchem Rahmen sie publizieren? Und: Was war das Motiv
des Psychosozial-Verlags, einen solchen völlig disparaten Band
herauszugeben?
Fazit
Der Sammelband stellt zu großen Teilen eher ein Pamphlet, eine
Kampfschrift für eine bestimmte Männlichkeitsformation dar, denn
eine seriöse differenzierte fachliche Auseinandersetzung mit einem
gesellschaftlich relevanten Thema. - Der Klappentext verspricht ein
Buch, »das Widerspruch und Kontroversen auslösen wird und will«.
Das, auf jeden Fall, ist zu hoffen.
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