Rezension zu Bettelheim, Ekstein, Federn: Impulse für die psychoanalytisch-pädagogische Bewegung
Berliner Literaturkritik
Rezension von Dr. Jos Schnurer
Die Psychoanalytische Pädagogik war in ihrem Ausgangspunkt das
Produkt des Leidens an der Zivilisation – und heute?
Seit Ende der 80er Jahre setzt sich der promovierte Diplompädagoge
Roland Kaufhold mit anfangs zahlreichen Aufsätzen, seit Ende der
90er auch in Ganzschriften für eine »Wiederbelebung der
psychoanalytisch-pädagogischen Bewegung« ein. Sicherlich aus der
Erkenntnis heraus, dass im Rahmen des
pädagogisch-erziehungswissenschaftlichen Diskurses dieser Bereich
lange Zeit zu kurz kam. Kaum wahrgenommen, wurde er in der Zeit der
nationalsozialistischen Ideologien vernichtet und bedarf nun als
Heilmethode und pädagogische Theorie einer neuen
Aufmerksamkeit.
Der Autor geht sein Vorhaben mit dem Ziel an, anhand von vier
Lebensbeispielen von psychoanalytischen Vertretern aus der zweiten
Generation die Entwicklung der Psychoanalytischen Pädagogik
darzustellen: Der 1914 geborene Ernst Federn, seine 1910 geborene
Frau Hilde, der 1912 geborene Rudolf Ekstein und der 1903 geborene
und 1990 durch Freitod gestorbene Bruno Bettelheim.
Psychoanalytik im Nationalsozialismus
Alle Genannten waren Wiener, Juden und Sozialisten. Für die
Nationalsozialisten mehr als Grund genug, sie zu verfolgen. Ernst
Federn wird verhaftet und überlebt schließlich mit viel Glück den
Aufenthalt in den Konzentrationslagern Dachau und Buchenwald. Seine
Verlobte und spätere Frau Hilde Paar überlebte als „Halbjüdin“ die
nazistische Herrschaft. Allen anderen gelingt schließlich vor ihrer
Verhaftung mit viel Mühe, Österreich zu verlassen und in die USA
ins Exil zu gehen.
Allen ist auch gemeinsam, dass sie, auch Ernst und Hilde Federn,
ihre spezifischen Theorien zu psychoanalytischen Themen in den USA
entwickeln. Und eine weitere Gemeinsamkeit wird deutlich: Sie
nehmen nach dem Ende der nationalsozialistischen
Schreckensherrschaft wieder intensive Kontakte mit ihrer
österreichischen Heimat auf. Die Federns kehrten 1964 nach Wien
zurück, Ekstein und Bettelheim ab den 70er Jahren wenn auch nicht
für immer, so doch in regelmäßigen Besuchsabständen.
Einflüsse
Ihre Einflüsse auf die Entwicklung der
psychoanalytisch-pädagogischen Bewegung: Ernst Federn mit seiner
Psychologie der Extremsituationen, den Theorien über den
Zusammenhang von Gewalt und Drogenkonsum, sowie seinen Arbeiten zur
Strafrechtsreform und der Psychoanalyse im Strafvollzug; Hilde
Federn als Pionierin der psychoanalytisch orientierten
Kleinkindpädagogik; Eksteins psychoanalytisch-pädagogische Arbeiten
mit autistisch-psychotischen und Grenzfallkindern; und Bruno
Bettelheims Werk zu Milieutherapie, Sozialpsychologie, Geschichte
und Technik der Psychoanalyse, Anthropologie, Psychologie des
Terrors, Kibbuz- und Kindererziehung.
Notwendigkeit vorhanden
Roland Kaufhold gelingt es in seinem Buch, die Biografien der
Vertreter der zweiten Generation der Psychoanalytischen Pädagogik
zu einer »Spurensuche« in der Geschichte und einer
Weiterentwicklung der pädagogischen Disziplin zu etablieren. Ob
seine Hoffnung, dass daraus – im Rahmen der verschiedenen
akademischen Lehr- und Forschungsfelder, und schließlich auch für
die pädagogische Praxis – Impulse für eine psychoanalytische
Bewegung entstehen, Wirklichkeit werden kann, wird nicht zuletzt
von der Kenntnisnahme der Geschichte dessen abhängen, was war und
da ist.
Dass wir in unserer Gesellschaft ein Nachdenken über
psychoanalytisch-pädagogische Möglichkeiten und Interventionen
benötigen, dürfte angesichts des Zustandes in unserem Gemeinwesen
unumstritten sein. Ernst Federn drückt dies in seinem Vorwort so
aus: »Psychoanalytisch gesehen versetzt die Vergesellschaftung des
sozialen Lebens in dem Sinne, dass aller Erfolg in Geld ausgedrückt
wird, die Menschheit auf die Stufe des zweijährigen Kindes; das
aber ist zugleich die Stufe der Aggression«.