Rezension zu Narzissmus und Macht

Neue Zürcher Zeitung

Rezension von Ludger Lütkehaus

Selbstliebe der Machthaber – Psychoanalytisches zur Politik

Muss man sich Narziss als unglücklichen Menschen vorstellen? Man muss, sofern man sich an den griechischen Mythos hält. Die Liebe der anderen verschmähend, selbst die der Nymphe Echo, die doch zu einem Narziss gepasst hätte, verzehrt sich der schöne Jüngling hoffnungslos in Liebe zu seinem Spiegelbild. Doch Narziss ist, wie es scheint, kein Politiker. Und von den Politikern wiederum hört man nur selten, dass sie sich in hoffnungsloser Selbstliebe verzehrten. Selbst dann aber, wenn sie das täten, hätten sie zur Kompensation immer noch die Macht. Was sie freilich im Kampf um den Erwerb und die Erhaltung der Macht und durch sie erleben, welche Impulse sie mit ihr befriedigen – es sei denn, man glaubte mit Nietzsche an einen Willen zur Macht als primäres, nicht weiter bedingtes und motiviertes Triebziel -, das führt dann doch wieder öfters auf die narzisstische Selbstliebe zurück.

Der Giessener Psychoanalytiker und Privatdozent Hans-Jürgen Wirth interpretiert in seiner erhellenden Untersuchung zur »Psychoanalyse seelischer Störungen in der Politik« Macht und Narzissmus als »siamesische Zwillinge«. Allzu buchstäblich verstanden, geht die Metapher vielleicht etwas zu weit: Untrennbar, allenfalls um den Preis einer eingreifenden Operation, sind Macht und Narzissmus trotz ihrem engen Zusammenhang nicht. Der Narzissmus in der Politik geht auch andere Wege als die der Macht, wie die Macht sich zwar stets selber geniessen wird, aber nicht notwendigerweise in den Genuss libidinöser Zuwendung kommen will. Die sadistische und die narzisstische Ausübung von Macht können konkurrieren. Von demokratisch kontrollierten, auf eine Medienöffentlichkeit zugeschnittenen Verhältnissen, die die Macht zwingen, sich jedenfalls coram publico moderat zu geben, gegebenenfalls zu verbergen, wenn sie erhalten werden und der Narzissmus auf seine Rechnung kommen soll, sind ohnehin weniger klare Resultate zu erwarten.

Aber diese obligaten Differenzierungen sind dem Autor sehr bewusst; in etlichen Fällen treibt er sie selber voran. Freuds noch allzu grobschlächtige Narzissmus-Konzepte etwa werden von ihm mit Nachdruck revidiert. Auch die methodischen Schwierigkeiten werden nicht verleugnet. Man muss nicht fürchten, die Politik werde hier trivialpsychoanalytisch »auf die Couch« gelegt. Das kann die recht verstandene Psychoanalyse, für die das therapeutische Bündnis mit dem – einsichtigen – Patienten unabdingbar ist, sowieso nicht.

Trotzdem sind die Fallstudien, die Wirth auf Grund genauer Recherchen zur Barschel-Affäre, zu Helmut Kohl (mit zurückhaltendem Einbezug des Freitods von Hannelore Kohl), zur 68er Generation und zu Joschka Fischers stupenden Metamorphosen sowie zu Slobodan Milosevics Paranoia vorlegt, sehr ergiebig, besonders eindrucksvoll im Falle Uwe Barschels. Hier wird die seelische Störung im Junktim von Narzissmus und dem so bedingungs- wie skrupellosen Ringen um den Machterhalt bis zur Tragödie des Suizids deutlich. Latent suizidal kann freilich auch die scheinbar nicht irritierbare Selbstgewissheit sein. Und wie steht es gar mit der Macht und der narzisstischen Herrlichkeit bei den scheinbar Ungestörten, den manifest Normalen? Ein unabsehbar weites Feld.

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